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| Meinung

Prioritäten in der Gesundheitspolitik

© Phil Dera

Nun liegt der Koalitionsvertrag also vor. Zuallererst: Es gibt Licht und Schatten. Viele Forderungen des BDI aus den vergangenen Jahren haben darin Eingang gefunden. Endlich, will man sagen, auch wenn vieles noch nicht konsequent zu Ende gedacht oder aber nur halbherzig aufgegriffen ist. Aber die von der Vernunft bestimmten Ansätze sind in meinen Augen klar sichtbar.

Wenn wir uns aus internistischer Sicht die Konsequenzen einiger der zentralen Punkte des Koalitionsvertrages anschauen, sollten wir uns im Klaren darüber sein, dass sie gravierend in unsere tagtägliche Berufsausübung eingreifen werden. Auch die Patientinnen und Patienten müssen sich an die darin festgeschriebenen neuen Rahmenbedingungen gewöhnen und sie werden mit Fragen auf uns zukommen.

Zum Beispiel bei der Einführung des verbindlichen Primärarztsystems in HZV und im Kollektivvertrag. Damit wird es für viele den direkten Zugang zum Facharzt nicht mehr geben, mit Ausnahme chronisch Kranker.

Wenn das in den Hausarztpraxen konsequent umgesetzt wird, muss am Anfang mehr als nur eine schnelle Überweisung stehen, sondern eine zielgenaue Zuweisung. Das käme den internistischen Facharztpraxen entgegen und wäre ein sinnvoller Schritt, um die knapper werdenden fachärztlichen Ressourcen besser einzusetzen. Dazu gehört aber auch zwingend eine Entbudgetierung der Fachärztinnen und Fachärzte, nachdem sie für die hausärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen ab Oktober gemäß Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) in Kraft tritt. Die im Koalitionsvertrag nur noch angekündigte Prüfung einer Entbudgetierung in unterversorgten Gebieten ist da nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein, sondern ein Rückschritt, und ein geplanter Honorarabschlag in überversorgten Gebieten ein Affront, auch in der Diskussion um eine faire Honorierung aller erbrachten ärztlichen Leistungen.

Zur besseren Steuerung gehört auch die strukturierte Ersteinschätzung in der Notfallversorgung. Dabei können digitale Tools uns unterstützen, wenn sie reibungslos funktionieren und im Einsatz auf beiden Seiten das Vertrauen wächst, dass dahinter unser gesammeltes Wissen steckt und sich die Versorgung für den Einzelnen spürbar verbessert. Es wäre eine enorme Entlastung, wenn dadurch der unkontrollierte Zugang in die Notaufnahmen reduziert werden könnte und in den Kliniken diejenigen behandelt werden, die dort wirklich hingehören.

Und in der Krankenhausreform wird nach dem kurzzeitigen Sprint am Ende der Legislaturperiode das Tempo wieder gezügelt. Die Gesundheitsministerien der Länder haben bei den Beratungen zum Koalitionsvertrag Einfluss genommen und fordern nun eine stärkere Berücksichtigung regionaler Bedürfnisse. Das kann unnötiges Kliniksterben verhindern, andererseits wird sich dadurch die höhere Standortkonzentration nicht aufhalten lassen. Eine sinnvolle Zentrenbildung mit besserer personeller Ausstattung kann aber auch die Behandlungsqualität steigern und den Patienten nützen – wenn denn dann Klarheit über den Finanzierungsbedarf und die Finanzierung besteht.

Womit wir direkt zu den beiden großen Haken kommen. Das ist einerseits die im Koalitionsvertrag immer wiederkehrende Einschränkung „unter Finanzierungsvorbehalt“. In der Zeit knapper Kassen womöglich ein Totschlagargument, um kostspielige, aber notwendige Mehrausgaben und Investition zu verschieben oder ganz zu streichen. Dabei ist es höchst bedauerlich, dass es die Herausnahme versicherungsfremder Leistungen aus der GKV-Finanzierung, die von der AG Gesundheit noch vorgesehen war, nicht in den Koalitionsvertrag geschafft hat.

Der zweite liegt in der Person der neuen Gesundheitsministerin Nina Warken begründet. Ohne große Erfahrungen im Gesundheitsbereich bietet sich ihr die Chance, mit unverstelltem Blick an die Lösung anstehender Aufgaben zu gehen und dabei unsere Stimmen aus der Praxis anzuhören. Mit ihren beiden parlamentarischen Staatssekretären Tino Sorge und Dr. Georg Kippels hat sie zwei ausgewiesene Gesundheitsexperten an ihrer Seite – wir sind also gespannt.

Ihre

Christine Neumann-Grutzeck
Präsidentin

Erschienen in BDI aktuell 5/2025