In den vergangenen Monaten fand in NRW ein mehrwöchiger Streik statt, der die innerhalb von ver.di organisierten Berufsgruppen, insbesondere die Pflegenden, an allen Universitätsklinika umfasste. Es kam zu starken Einschränkungen des Klinikbetriebs mit Verschiebung oder Absage auch lebenswichtiger Therapien und Operationen. Es entstanden Nachteile für normalerweise an diesen Klinika versorgte Patienten. Seitens der Streikenden wurde argumentiert, dass nachhaltige Verbesserungen der Arbeitsbedingungen nur mit einem Streik zu erreichen seien, dessen Auswirkungen auch für Patienten spürbar seien. Vor diesem Hintergrund ist eine grundsätzliche Debatte angebracht, welcher Rahmen für künftige Arbeitskämpfe im Gesundheitswesen gelten sollte.
Um es klar sagen: Das Streikrecht ist ein unbestrittenes und wichtiges Recht aller Arbeitnehmer. Auch einige der Ziele des Streiks in NRW, insbesondere die Festlegung von verbindlichen Belastungsregelungen für die Pflegenden waren sehr berechtigt und werden helfen, die Arbeitswelt dieser Berufsgruppe sinnvoll und besser zu regeln. Der Streik hat hier Positives bewirkt. Dennoch muss im Nachgang über die Art des Streiks, also das „Wie“ geredet werden. Ist es legitim, umfassende Streikmaßnahmen der Ärzte oder Pflege zulasten der Patientengesundheit durchzuführen? Ist es zu rechtfertigen, dass bei Krebserkrankungen Eingriffe verzögert werden, während sonst alle einschlägigen Empfehlungen stets auf die schnellstmögliche Behandlung ausgerichtet sind, um ein Wachsen des Tumors oder eine Metastasierung in andere Organe zu verhindern? Auch die in diesem Kontext zitierten Notdienstvereinbarungen regeln das Problem unzureichend, weil eine Krebserkrankung oft noch keinen medizinischen Notfall darstellt, aber bei Voranschreiten gelegentlich schnell zu einem Notfall wird.
Es gilt, das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Patienten zu schützen und gegen das Streikrecht abzuwägen. Dieses Dilemma ist von grundsätzlicher Natur. Es existiert auch in anderen Berufsgruppen, die für die allgemeine Fürsorge und Sicherheit zuständig sind. So ist bei Beamten das Recht auf Streik eingeschränkt, um gewisse, dem Staat übertragene Aufgaben nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verlässlich erfüllen zu können. Ein ähnlicher Sicherstellungsauftrag gilt vermutlich auch für einige Bereiche des Gesundheitswesens. Daher existieren in vielen EU-Ländern unterschiedliche Regelungen, die den Versorgungsauftrag im Gesundheitswesen zu Streikzeiten sicherstellen sollen.
Eine künftige Lösung für tarifliche Auseinandersetzungen im Gesundheitswesen könnte darin bestehen, dass ein Streikgeschehen implementiert wird, welches sorgfältiger und am Patientenwohl und am Patienten-Urteil orientiert sicherstellt, dass durch den Streik keinem Patienten ein wesentlicher Schaden entsteht. Es ist in dieser Hinsicht erstaunlich, dass die Beurteilung über das Funktionieren der Notdienstvereinbarung offensichtlich weitgehend den Streikparteien unterlag und nicht mit den Vertretungen von Patienten abgestimmt wurde. Die Durchführung von Streiks im Gesundheitswesen sollte stets darauf ausgerichtet sein, die Rechte der Arbeitnehmer in Einklang zu bringen mit den Rechten der Patienten.
Prof. Dr. med. Michael Hallek, Direktor, Klinik I für Innere Medizin, Center für Integrierte Onkologie ABCD der Universitätsklinik Köln
Erschienen in BDIaktuell 10/2022