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„Mehr Fortschritt wagen“ – nur nicht für Poolärzte?

Dass in Baden-Württemberg die KV die Notbremse im ärztlichen Bereitschaftsdienst gezogen hat, hätte verhindert werden können. Das ist Politikversagen. Noch wäre aber ein Gegensteuern möglich – gerade auch im Sinne der Bürgerinnen und Bürger.

© Phil Dera / BDI

Politikversagen hoch drei. So kann man die Situation nach dem BSG-Urteil zusammenfassen. Alle verlieren – die Bürger, die Ärztinnen und Ärzte, die Selbstverwaltung und schlussendlich auch die Politik. Wenn die Ampel-Koalition das unter „Fortschritt wagen“ versteht, dann wird es höchste Zeit für die „Ampeldämmerung“!

Von vorne: Das Bundessozialgericht hat am 24.10.2023 entschieden, dass ein nicht zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassener Zahnarzt als abhängig beschäftigt einzustufen ist, wenn er am kassenzahnärztlichen Notdienst teilnimmt. Im Klartext heißt das, dass er für seine Tätigkeit als Poolarzt sozialversicherungspflichtig ist. Nur Stunden nach Verkündung des Urteils hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg verkündet,

dass sie zukünftig im Notdienst keine Poolärzte mehr einsetzen wird. Der finanzielle und verwaltungstechnische Aufwand ist unter den neuen Voraussetzungen schlichtweg zu groß. Zudem würde ein „weiter so“ die Terminknappheit in der Regelversorgung weiter verstärken. Vertragsärzte, die Notdienst leisten, sind halt nicht in ihrer Praxis, um dort Patienten zu versorgen. Was Jahre gut funktionierte, findet so ein jähes Ende.

Wer verliert? Der Bürger! Weniger Ärzte, weniger Leistung. So einfach ist die Gleichung. Aber damit nicht genug, auch die Ärzteschaft verliert. Die Poolärzte, da ihnen eine Beschäftigungsoption genommen wird. Warum auch, liebe Ampel-Politiker, sollte man Menschen, die freiwillig zu Unzeiten arbeiten, dies unkompliziert ermöglichen? Aber damit nicht genug: Letztlich verlieren auch die Klinikärzte, die schlussendlich den von der Politik sehenden Auges in Kauf genommenen Schlamassel in den Notaufnahmen ausputzen müssen.

Da die ganze Sachlage komplex ist und einige Gesundheitspolitiker sie genussvoll nutzen, um ihre strategische Agenda zu lancieren, verlieren auch die KVen. Sie nämlich, so beispielsweise die Lesart von Dr. Janosch Dahmen, dem gesundheitspolitischen Sprecher der Grünen, müssten anerkennen, dass das Urteil einen unsolidarischen Missstand beendet und sie nichtsdestotrotz ihrem Sicherstellungsauftrag nachkommen müssten. Andernfalls – ein Schelm wer hier eine Strategie vermutet – müssten halt die Kliniken den überforderten Vertragsärzten unter die Arme greifen. Was hier geflissentlich verschwiegen wird: Sozialversicherungspflicht hin oder her, die Renten- und Krankenversicherungen haben von der gerichtlichen Klarstellung fast nichts, da die allermeisten Ärztinnen und Ärzte im Versorgungswerk sind, sich privat versichert haben oder durch ihre hauptberufliche Tätigkeit oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegen. Um es auf den Punkt zu bringen: Es geht hier nicht um Geld, sondern um einen politischen Schachzug. Denn natürlich hätte die Misere politisch vermieden werden können, wenn der Gesetzgeber rechtzeitig gehandelt hätte. Viele ärztliche Verbände, so auch der BDI, haben wiederholt vor der Urteilssprechung auf eine zeitgerechte gesetzliche Anpassung gedrängt.

Das Tragische an der Sache: Noch nicht einmal das politische Ziel, welches mit dem Schachzug erreicht werden soll, ist vernünftig. Was in aller Welt sollen diese Patienten in den Notaufnahmen der Kliniken? Mit welchem Geld und welchem Personal sollen die Patienten dort versorgt werden? Andersherum würde ein Schuh aus der Nummer: Jeder Akutfall, der vertragsärztlich versorgt werden kann, sollte vertragsärztlich versorgt werden. Zigmal wurde gezeigt, dass es effizienter ist, Notfälle ambulant zu versorgen, wenn denn möglich.

Wenn nun in Berlin nicht rasch gehandelt wird – einzig die FDP gibt Anlass für einen Lichtblick – wird die Geschichte enden wie eine Tragödie von Shakespeare: Am Ende ist alles dahin. Auch das Vertrauen in die Gesundheitspolitik!

Ein Beitrag von Dr. Kevin Schulte, 2. Vizepräsident des BDI, erschienen in der BDI aktuell 12/2023/1/2024