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Management der chronischen Nierenkrankheit (CKD) in Deutschland - Müssen wir umdenken?

© Roland Horn

Die Versorgung der Patientinnen und Patienten mit chronischer Nierenkrankheit (CKD) ist eine der originären Aufgaben der Nephrologie, gehört also sozusagen zu unserer DNA. Ziel bei der Versorgung dieser uns anvertrauten Patientengruppe ist es, diese vor dem terminalen Nierenversagen und dem kardiovaskulären Tod zu bewahren. Aber wie gut gelingt uns dies in der Realität? Glaubt man aktuellen Studien zur Versorgungslage der Patientinnen und Patienten mit chronischer Nierenkrankheit, dann scheint hier eine große Versorgungslücke zu klaffen bei der dringend Handlungsbedarf angezeigt ist.

Was sind die Gründe für diese pessimistische Annahme? Zunächst muss man konstatieren, dass nur ein sehr kleiner Teil der Patientinnen und Patienten, die an einer CKD leiden, entdeckt und fachärztlich behandelt werden. In einer aktuellen versorgungswissenschaftlichen Studie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), die erstmals eine vollständige Erfassung aller CKD-Patientinnen und -Patienten in Deutschland ermöglichen sollte, offenbart sich ein Anteil der CKD im Patientengut von 1,9%. D. h. bei 1,9 % der deutschen Bevölkerung wurden eine CKD diagnostiziert und kodiert. Dieser Anteil liegt allerdings deutlich unterhalb der Prävalenz, die wir aus Studien mit repräsentativen Stichproben der gesamtdeutschen Bevölkerung kennen. Hier nachgewiesene Prävalenzen liegen teilweise um einen Faktor 2 – 6-fach höher! Ein relevanter Anteil der Patientinnen und Patienten mit CKD wird also in Deutschland nicht erkannt und – wie die o. g. Studie weiterhin zeigt – auch die erkannten CKD-Fälle werden nicht in jedem Fall fachärztlich überwiesen. Pessimistische Berechnungen gehen deswegen davon aus, dass weniger als 10% der CKD-Patientinnen und Patienten überhaupt fachärztlich-nephrologisch versorgt werden. Dass dabei auch nur ein kleiner Teil (ca. 30%) der CKD-Patientinnen und Patienten über ihre Nierenkrankheit aufgeklärt wird, ist ein weiteres Detail, das sicher nicht zum Problembewusstsein auf der Patientenseite beiträgt. Weiterhin zeigen verschiedene Studien ein Versorgungsdefizit bei dem Management der CKD-Patientinnen und Patienten auf, so werden die vorhandenen diagnostischen und therapeutischen Optionen bei der CKD meist nicht voll ausgeschöpft. Dass diese schlechte Versorgung besonders Frauen betrifft, könnte man vielleicht als Randnotiz abtun, sollte uns aber ebenfalls zum Nachdenken anregen. Zusammengefasst besteht somit eine deutliche Versorgungslücke für unsere CKD-Patientinnen und Patienten in Deutschland, der vor dem Hintergrund der hohen Mortalität und Morbidität der CKD dringend behoben werden sollte.

Um diesen Missstand zu beheben muss man sich zunächst mit den Ursachen für die Unterversorgung unserer CKD-Patientinnen und -Patienten auseinandersetzen. Als Gründe für die Unterversorgung sind zuallererst die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu nennen, die eben nicht die Schwerpunkte auf die Verhinderung bzw. Prophylaxe der Folgen einer CKD setzen. So ist die finanzielle Vergütung, um Patientinnen und Patienten mit einer CKD zu erkennen und prophylaktisch zu behandeln nicht kostendeckend. D. h. die Prophylaxe wird nicht incentiviert, sondern ist im Gegenteil wirtschaftlich höchst unattraktiv! Und das obwohl sich die therapeutischen Möglichkeiten zur Progressionshemmung der CKD fundamental verändert haben, so sind hier in den letzten Jahren eine Vielzahl neuer hochwirksamer Medikamente zugelassen worden. Eine auf Prophylaxe abzielende Strategie bei der CKD wäre deswegen auf lange Sicht kostengünstiger, effizienter und auch ethisch besser zu vertreten. Weiterhin schränkt auch der Fachkräftemangel die Versorgung der CKD-Patientinnen und -Patienten ein, so stehen der großen Anzahl an CKD-Patientinnen und -Patienten nur eine kleine Anzahl von Nephrologinnen und Nephrologen gegenüber. Bei der Bedarfsplanung hat man schlicht die Prävalenz der CKD unterschätzt. Legt man allein die von den aktuellen Leitlinien geforderten Kontrollen im Rahmen der CKD-Behandlung und die in den Studien gefundenen Anzahl der Patientinnen und Patienten in den entsprechenden CKD-Stadien zugrunde, so müsste eine nephrologische Gemeinschaftspraxis mit 3 Fachärztinnen und Fachärzten pro Woche mehr als 500 Patientinnen und Patienten sehen und bei diesen Urin- und Blutproben abnehmen. Dies würde das nephrologische System ganz sicher schon alleine überfordern.

Diese Zustandsbeschreibung legt nahe, dass ein massives Umdenken in dem Management der CKD nötig ist und hier dringend Handlungsbedarf besteht. Fokus der therapeutischen Bemühungen sollte auf der Prophylaxe der Folgekrankheiten der CKD liegen. Diese sind neben der Verhinderung der terminalen Nierenkrankheit vor allen Dingen, die erhöhte Mortalität durch kardiovaskuläre Erkrankungen zu senken. Hierzu bedarf es einer engen Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen haus- und fachärztlicher Medizin, die auch andere Facharztgruppen miteinschließen sollte. Der hausärztlichen Medizin kommt in diesem System eine herausragende Bedeutung zu, denn nur mit ihnen ist die Mammutaufgabe mit der schieren Masse der CKD-Patientinnen und -Patienten zu stemmen. Jeder Risikopatient und jede Risikopatientin sollte deswegen – beispielsweise im Rahmen von Check-Up Untersuchungen - schon im hausärztlichen System durch Bestimmung der eGFR und der Albuminausscheidung auf eine CKD gescreent und im Falle des Vorliegens einer CKD in einem strukturierten Prozess erfasst und gemanagt werden. Wirtschaftliche Hemmnisse, die diesen Prozess behindern, sollten umgehend abgebaut werden. Intelligente und praxisangepasste digitale Plattformen können dann bei dem haus- und fachärztlichen Management und auch bei der Kommunikation helfen und so die Versorgung verbessern. Der Aufwand bei Diagnose, Nutzung der digitalen Plattform und leitliniengerechte Therapie der CKD sollte dann entsprechend vergütet werden, um hier einen wirtschaftlichen Anreiz zu schaffen und die Prophylaxe bei der Behandlung der CKD in den Vordergrund zu stellen. Dies würde meines Erachtens ein wichtiges Investment für die Zukunft unseres Gesundheitssystems bedeuten, dass sich auf lange Sicht sicher massiv rentieren würde, aber auch und vor allen Dingen zu einer nachhaltigen Verbesserung der Gesundheit und Lebensqualität unserer CKD-Patientinnen und -Patienten führen würde. Und dies liegt uns sicher allen am Herzen, in diesem Sinne

Ihr

Prof. Dr. med. Thorsten Feldkamp
Stell. Vorsitzender der Sektion Nephrologie

Erschienen in "Die Nephrologie" 1/2025