Meinen Schritt 2013 aus der Klinik heraus aufs Land habe ich nie bereut. Im Vordergrund stand zunächst der Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Als Kardiologin in der Klinik konnte ich mir das "Mama-sein" neben dem Beruf aufgrund der Schicht-/Wochenend- Dienste nicht vorstellen. Besonders gefällt mir bis heute die Nähe zu den Patienten, die man langjährig intensiv begleitet.
Trotzdem fällt meine Bilanz nach 9 Jahren in der Praxis leider sehr gemischt aus. Ich fühle mich insbesondere im Abrechnungsbereich durch die aktuellen Regeln stark unter Druck gesetzt. Die Abrechnungsziffern im Hausarztbereich sind inzwischen völlig "explodiert". Aktuell arbeite ich schwerpunktmäßig im kardiologischen Facharztbereich und generiere dort mit ca. zehn Abrechnungsziffern 90 Prozent meiner Einnahmen. Hiervon können hausärztliche Kolleginnen und Kollegen nur träumen. Hausärztinnen und Hausärzte müssen Hunderte von Ziffern kennen und alle hierzu vorhandenen Regeln parat haben. "Ältere" Ärzte sehen dies wahrscheinlich positiv, denn es bietet vielfältige Abrechnungsmöglichkeiten. Für uns Jüngere ist es oft ein Buch mit sieben Siegeln und es braucht Jahre, bis man sich in diesem System halbwegs sicher bewegen kann.
Dies ist aus meiner Sicht auch der Grund, warum sich immer weniger Ärzte den Schritt in die Selbstständigkeit alleine zutrauen und lieber in ein Angestelltenverhältnis gehen. Leider werden zudem auch etliche "Fehlanreize" gesetzt. Wie kann es sein, dass Vorsorgen (Prävention) höher und zudem extrabudgetär bewertet werden, jedoch die Versorgung kranker Patientinnen und Patienten, bei denen z.B. ein Notfalltermin erforderlich ist, in einer Grundpauschale "versenkt" wird? Überspitzt formuliert bedeutet es: Wenn wir durchgehend bei gesunden Menschen Check-up, Krebsvorsorgen und Impfungen machen, dann haben wir am Quartalsende ein gesichertes Einkommen. Kümmern wir uns aber um die Versorgung von Kranken - was ja eigentlich unser Hauptanliegen sein sollte - dann droht uns eine Kürzung (Budgetierung) unseres Honorars bzw. mehrfache Kontakte werden gar nicht vergütet, da in der Grundpauschale enthalten.
Schade, dass man politisch einzig auf den Erfolg einer Landarztquote setzt, deren Effekt wir frühestens in 12 Jahren erleben können - mir ist rätselhaft, wie dies die aktuell angespannte Lage in der hausärztlichen Versorgung verbessern soll.
Mein klarer Wunsch an die Politik: Erleichtert uns endlich unser Leben als Landärzte! Sinnvoll wäre beispielsweise auch werdenden Internistinnen und Internisten die Möglichkeit einer geförderten, ambulanten Weiterbildung im hausärztlichen Bereich zu bieten. Es ist doch völlig unverständlich, dass Internistinnen und Internisten knapp ein Drittel der hausärztlichen Versorgung bestreiten, aber von dieser Fördermöglichkeit ausgeschlossen wurden. Gerade vor dem Hintergrund, dass jedes Jahr Tausende geförderte Weiterbildungsstellen nicht abgerufen werden, kann ich diesen unnötigen Flaschenhals nicht nachvollziehen. Die bestehenden Regeln sind weder inhaltlich zu begründen noch dazu geeignet, dem bestehenden Nachwuchsmangel zu begegnen! Kurzum, an dieser Stelle könnte die Politik uns einfach und unkompliziert das Leben leichter machen.
Dr. Silvia Steinebach arbeitet aktuell im Landarzt MVZ Fulda. Außer ihr sind dort fünf weitere Ärztinnen und 18 MFA/Krankenpflegerinnen tätig
Erschienen in BDIaktuell 04/2022