StartseitePresseKontakt

| Meinung

Krisen, Tod und Ethik

© Phil Dera

Kürzlich hatte ich Gelegenheit, den bekannten Psychiater und Philosophen, Inhaber der Karl-Jaspers-Professur in Heidelberg, Professor Dr. Dr. Thomas Fuchs zu hören. Sein Thema: Krisen als Grenzsituation: Erlebnis - Reaktion - Bewältigung. Nach Karl Jaspers bedeutet die Konfrontation des Menschen mit Extremereignissen - gesellschaftlich wie individuell - zunächst die Notwendigkeit, den gewohnten Pfad, die bekannte Ordnung, sein „Gehäuse“ zu verlassen, um sich dann anhand vorhandener Ressourcen neu zu orientieren. Eine schwere Aufgabe, die nicht immer gelingt und an der der Einzelne zerbricht, wenn er es nicht rechtzeitig schafft, Hilfe zu bekommen.

In Studium und Weiterbildung kein Thema

Eine der existentiellen menschlichen Krisen sind das Sterben und der Tod. Obwohl wir im ärztlichen Alltag nahezu täglich damit konfrontiert sind, führt die Thematik ganz im Sinnbild von Thanatos aus der griechischen Mythologie ein Schattendasein. Im Studium lernen wir etwas über die sicheren Zeichen des Todes, die verschiedenen Todesursachen und vielleicht etwas über Hirntod und Organspende. Palliativmedizin und Begleitung des Sterbeprozesses spielen eine eher untergeordnete Rolle. Später in der fachärztlichen Weiterbildung beschäftigen wir uns mit Reanimationstechniken, erfahren, wie auf der Intensivstation Leben durch künstliche Beatmung und Dialyseapparate verlängert wird und werden erstmals mit dem Scheitern ärztlicher Kunst, dem Sterben konfrontiert. Häufig sind wir dabei auf uns allein gestellt, ohne fachliche Unterstützung. Der technische Automatismus, das Primat der Lebensverlängerung steht ganz oben auf der Agenda. Nicht selten entwickelt sich in uns eine gewisse Distanz im Umgang mit dieser sensiblen Thematik. Emotionale und ethische Fragen tauchen allenfalls am Rande auf und verschwinden schnell in der Routine des Krankenhaus- oder Praxisalltags.

Ziel: würdevolles Lebensende

In der hausärztlich-internistischen Praxis entsteht im Laufe der Tätigkeit allmählich ein anderer Zugang zum Tod. Wir werden unmittelbar mit den Lebensumständen, dem vorhandenen oder nicht vorhandenen sozialen Netzwerk und vielen persönlichen Einstellungen unserer Patienten konfrontiert. Nicht selten taucht die Frage nach einer Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht auf. Daneben entstehen kurzfristig organisatorische Probleme rund um die weitere Betreuung zum Beispiel nach Schlaganfall oder bei fortgeschrittener Tumorerkrankung. Muss eine gesetzliche Betreuung eingerichtet werden? Welche Aufgaben übernimmt der ambulante Pflegedienst? Braucht es eine SAPV, eine spezielle ambulante Palliativversorgung? Wie reagieren die Angehörigen, lässt sich die vormals gute Arzt-Patienten-Beziehung weiterführen? Die Gratwanderung zwischen Lebensrettung und Loslassen bestimmt unseren Alltag. Es ist nicht immer einfach, jedem ein würdevolles Lebensende zu ermöglichen, dennoch sollte das unser oberstes Ziel sein.

Ethik - fester Platz im ärztlichen Alltag

Ein Grundsatz in der Medizinethik lautet: Sterben ist kein medizinischer Fehler, sondern Teil des Lebens. Oder anders ausgedrückt: der Tod ist kein Versagen, sondern Teil des Behandlungsauftrags. Lebensverlängerung um jeden Preis hilft niemandem, entscheidend sind Lebensqualität und Lebensumstände. Viele Patienten wünschen sich ein Sterben zu Hause, friedlich einschlafen und nicht mehr aufwachen. Leider ist das die Ausnahme - etwa 70 Prozent sterben in Pflegeheimen oder Krankenhäusern. Sterbehilfe ist laut Verfassung und geänderter ärztlicher Berufsordnung mittlerweile möglich. Allerdings hat es der Gesetzgeber bisher nicht geschafft, einen gesetzlich klaren Rahmen für die Sterbehilfe zu schaffen. Verboten ist es nicht, aber auch nicht erlaubt - so die aktuelle Rechtslage. In dieser Ambiguitätszone bewegen sich Patienten wie Ärztinnen und Ärzte in der Hoffnung, dass in der gerade begonnen Legislatur endlich eine transparente Regelung gefunden wird.

Unsere Aufgabe als Internistinnen und Internisten gemeinsam mit der gesamten Ärzteschaft bleibt es, sich den grundlegenden ethischen Fragen rund um Sterben und Tod zu stellen und den gesellschaftlichen Diskurs aktiv zu begleiten. Wie eingangs zitiert, zeigt sich erst in Krisensituationen, nämlich dann, wenn gewohnte „Gehäuse“ verlassen werden, wie tragfähig und hilfreich unsere ethische Haltung wirklich ist.

Ihr

Dr. med. Ivo Grebe
Vorsitzender der AG Hausärztlich tätige Internistinnen und Internisten 

Erschienen in "CME" 5/2025