Die Zahlen überschlagen sich vor meinen Augen. Ich lege mein Tablet zur Seite und lasse den Blick in die Weite schweifen. Ich bin gerade im Urlaub, hier hört man die Kühe muhen, dort einen Specht klopfen.
500,8 Milliarden Euro wurden 2023 an Gesundheitsausgaben getätigt
Sind wir auf dem richtigen Weg? Eine Kuh muht jetzt ziemlich eindringlich und laut. Sie kalbt. Ich recherchiere. Arzneimittel sind im Preis um 5,5 % pro Kopf gestiegen, die Kosten für stationäre Behandlungen um 3,2 %. Die Kuh scheint in die Austreibungsphase zu kommen. Die Geräuschkulisse übertönt mein Gedankenkarussell. Laut WHO liegt das Gesundheitssystem in Deutschland nur auf Platz 25. Mehr Kosten heißt also nicht automatisch besser. Im EU-Durchschnitt der privat getätigten Gesundheitsausgaben liegen die Deutschen mit 12,5 % unter dem Durchschnitt von 21,6 %. 4 von 10 Todesfällen sagt der State of Health Bericht gehen auf Risiken durch eigenes Verhalten zurück. Nach einer Befragung durch die Krankenkassen im Jahr 2022 sind 45% der Deutschen Sportmuffel. Ich lehne ich mich zurück und genieße die Stille. Das Kälbchen muss da sein.
Was wird unserem Gesundheitssystem konkret vorgeworfen?
Ineffizienz durch Informationsverluste zwischen den behandelnden Ärzten, die zu Doppeluntersuchungen führen, fehlende Patientensteuerung, zu viele Krankenhausbetten mit zu langen Verweildauern.
Zum ersten Punkt haben wir Abhilfe geschaffen. Die e-PA. Schon lange haben wir die elektronische Patientenakte ersehnt. Die Digitalisierung hat uns zusätzlich mit dem e-Rezept und der e-Au nach schwieriger Anlaufphase doch eine Erleichterung erbracht.
Eingeleitet durch das KHVVG wird die Zahl der Krankenhausbetten reduziert. Unumstritten ist, dass wir zu hohe Krankenhausverweildauern haben im Vergleich mit anderen EU-Staaten. Aber letztlich ist diesbezüglich auch die Gesellschaft gefragt. Das Krankenhaus ersetzt nicht private Pflege.
Zur Patientensteuerung hat Ivo Grebe bereits in der letzten Ausgabe viel gesagt, dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Interessante weitere Vorschläge zur Rettung des Gesundheitswesens
kamen dieses Jahr von C. Karagiannidis (Intensivmediziner), B. Augurzky (Gesundheitsökonom) und M.D. Alscher (Bosch Health Campus). Ihre zentrale Forderung lautet die Mengen im System zu senken. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 6,6 Arztbesuchen – Deutschland liegt auf dem 5. Platz mit ca. 10 Arztbesuchen pro Jahr. Auch hier begegnen uns Worte wie Patientensteuerung und bewusste Ressourcennutzung statt -ausnutzung.
Weiter empfiehlt das Autorentrio KI zu nutzen. Aber KI-Antworten können immer nur so gut sein, wie die Fragen formuliert werden. Nutzung von KI muss erlernt werden.
Bezüglich der Finanzierung des Gesundheitswesens plädieren die Autoren für eine gedeckelte Eigenbeteiligung von einem Prozent des beitragspflichtigen Einkommens. Sie schlagen vor, die GKV und die PKV zusammenzuführen. Es soll eine verpflichtende Basisversorgung geben, Zusatzleistungen sollen künftig privat zusätzlich versichert werden. Dieses System erinnert stark an das niederländische System. Auch hier werden Zusatzleistungen individuell und privat versichert, die Grundversorgung allerdings übernimmt das Basispaket. GKV und PKV sind beide wichtige Säulen des deutschen Gesundheitssystems. Wettbewerb beflügelt das System und sorgt für einen hohen Qualitätsstandard. Aber wieviel Wettbewerb ist notwendig? 2024 gab es in Deutschland 95 gesetzliche Krankenkassen und 42 private Krankenkassen.
Es ist schwierig angesichts dieser Fakten, aber in meinem Kopf hallen die folgenden Worte nach: mehr Eigenverantwortung, private Absicherung von Zusatzleistungen und bewusste Ressourcennutzung.
Ich stehe auf und beschließe jetzt präventiv 10 000 Schritte zu gehen. Und auf meinem Weg das frischgeborene Kälbchen zu begrüßen.
Ihre
Dr. med. Iris Cathrin Illing
AG Hausärztlich tätige Internistinnen und Internisten
Erschienen in "CME" 6/2025