Seit Anfang April sind die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen. Nach rund anderthalbwöchigen Beratungen haben Union und SPD im Rahmen des Koalitionsvertrages einige Vereinbarungen zu künftigen Reformen im Gesundheitswesen vorgelegt. Dieser Teil der Verhandlungen verlief geräuschlos. Schwerpunkte will die schwarzrote Regierung auf eine Stabilisierung der Versicherungsbeiträge, einen schnelleren Zugang zu Terminen und bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte im Gesundheitswesen sowie ein krisenresilientes Gesundheitswesen legen.
Ambulante Versorgung
Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, das Honorarsystem der niedergelassenen Ärzte durch Jahrespauschalen zu ergänzen. Ziel ist, die Anzahl der nicht bedarfsgerechten Arzt-PatientInnen-Kontakte zu verringern. Zudem wollen die Koalitionäre die ambulante Weiterbildung stärken. Gleichzeitig will Schwarz-Rot die Patienten künftig stärker steuern. Dafür setzen die Koalitionäre auf ein verbindliches Primärarztsystem bei freier Arztwahl von Haus- und Kinderärzten. Für die Nephrologie von Interesse: Menschen mit chronischen Erkrankungen sollen auch von Gebietsärztinnen und -ärzten durch das Gesundheitssystem gelotst werden können. Um die Sicherstellung der ambulanten Versorgung zu gewährleisten, kündigen die Koalitionäre an, den Ländern eine zusätzliche Stimme in den Zulassungsausschüssen zu ermöglichen. Das solle eine kleinteiligere Bedarfsplanung ermöglichen. Gleichzeitig sollen Facharztpraxen in unterversorgten und drohend unterversorgten Gebieten unter dem Budgetdeckel hervorgeholt werden. In überversorgten Gebieten will die Koalition mit Abschlägen arbeiten.
Fachkräftegewinnung
Gerade im Gesundheitswesen ist es wichtig, Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern zu gewinnen. Es gilt, bürokratische Hürden einzureißen, etwa durch eine konsequente Digitalisierung sowie die Zentralisierung der Prozesse und eine beschleunigte Anerkennung der Berufsqualifikationen. Dafür schafft die Koalition eine digitale Agentur für Fachkräfteeinwanderung – „Work-and-stay-Agentur“ – als einheitliche Ansprechpartnerin für ausländische Fachkräfte.
Klinikreform
Im Vertrag steht, dass Schwarz-Rot bei der Krankenhausreform auf den Vorarbeiten von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach aufbauen will. Zugleich kommt der Vertrag der Kritik der Länder an Lauterbachs Klinikreform weit entgegen: Den Ländern wird ermöglicht zur Sicherstellung der Grund- (Innere, Chirurgie, Gynäkologie und Geburtshilfe) und Notfallversorgung der Menschen besonders im ländlichen Raum Ausnahmen und erweiterte Kooperationen einzurichten. Der bisher für die GKV vorgesehene Anteil für den Transformationsfonds für Krankenhäuser wird finanziert aus dem Sondervermögen Infrastruktur. Die Summe von 2,5 Milliarden Euro wird also vom Bund bezahlt, weitere 2,5 Milliarden Euro jährlich sollen von den Ländern bezahlt werden. Das Jahr 2027 wird dabei für alle Krankenhäuser erlösneutral ausgestaltet, um die neuen Vergütungsregeln und die Wirkung der Vorhaltefinanzierung transparent aufzuzeigen und -gegebenenfalls nachzujustieren.
Praktisches Jahr
Mit Blick auf die Lage von Medizinstudierenden heißt es im Vertrag: „Wir wollen eine Vergütungsstruktur im Praktischen Jahr (PJ) modernisieren, die mindestens dem BAföG-Satz entspricht und wollen eine gerechte und einheitliche Fehlzeitenregelung schaffen.
MVZ-Regulation
Der Passus zu den MVZ wird dahingehend konkretisiert, dass „Transparenz über die Eigentümerstruktur sowie die systemgerechte Verwendung der Beitragsmittel sichergestellt“ werden soll. Der erste Teil dieser Ergänzung entspricht der vielfach erhobenen Forderung nach einem MVZ-Register. Der zweite Teil kann dahingehend verstanden werden, dass die Kontrollpflichten der KVen hinsichtlich etwaiger Rosinenpickerei intensiviert werden.
Pflegereform
Die soziale Pflegeversicherung, vor genau 30 Jahren eingeführt, steckt tief im Minus. Union und SPD wollen die Probleme mit einer großen Pflegereform angehen. Inhalte der Reform soll eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände erarbeiten. Diese soll ihre Ergebnisse noch in diesem Jahr vorlegen. Prüfen soll die Kommission unter anderem die Frage, wo die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen wie die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige und die Ausbildungsumlage in der Altenpflege verortet sein sollen. Bislang stemmen die Pflegekassen beide Aufgaben – allein die Rentenbeiträge für Pflege-Angehörige schlagen mit jährlich über drei Milliarden Euro zu Buche. Auch soll die Kommission ausloten, wie sich die steigenden pflegebedingten Eigenanteile der rund 750.000 Altenheimbewohner drosseln lassen. Zudem wollen Union und SPD die rund fünf Millionen pflegenden An- und Zugehörigen stärken und mehr Angebote für pflegerische Akutsituationen schaffen. Die sektorübergreifende Pflegeversorgung und Übernahme von Modellprojekten sollen in die Regelversorgung überführt werden.
Gestärkt werden soll auch die professionelle Pflege. Die Koalition kündigt an, zügig eine große Pflegereform erarbeiten zu wollen, die das System einfacher, flexibler und bezahlbarer machen soll.
Die Bedeutung der globalen Gesundheit hebt die AG hervor – in Zeiten, in denen die Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump große Einschnitte in dem Bereich durchführen. Deutschland bringt gezielt Gesundheitsexpertise in die globale Politik ein. Dazu gehören Reformen bei WHO und UNAIDS, verstärkte Sekundierungen und mehr deutsche Expertise in Schlüsselpositionen.
Die schnelle Einigung im Bereich Gesundheit mag als Einsicht gedeutet werden. Eine hohe Priorität wird diesen Themen nicht eingeräumt. Hat die SPD mit Karl Lauterbach noch einen Politiker mit Überzeugung, so sind bei der Union die Gesundheitspolitiker im Hintertreffen. Dies ist Indikator eines geringen Interesses an der Gesundheitspolitik, in diesem Bereich macht der handelnde Politiker eher keine Karriere.
Die SPD arbeitet somit an Ihrer Vision der Bürgerversicherung. Die Rücklagen der PKV sind attraktiv. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, wie wenig Verlass auf Zusagen der Politik in der dualen Krankenhausfinanzierung war. Gerne wurden die Rücklagen der GKV genutzt, um fremde Politikbereiche zu finanzieren. Immerhin wird ein großer Teil der Krankenhausreform aus den Beitragsgeldern der GKV finanziert.
Nach Wegfall der FDP steht nur noch die Union gegen die Bürgerversicherung, aber wie lange noch? Hoffen wir, dass die großen Ziele der Gesundheitspolitik nicht nur angekündigt, sondern auch angegangen werden. Nun wissen wir auch, dass die CDU Nina Warken für die Position der Gesundheitsministerin nominiert hat. Mehr Mut bei der Vertretung der Interessen der Medizin in Berlin ist gewünscht.
Ihr
Prof. Dr. med. Peter J. Heering
Vorsitzender der Sektion Nephrologie
Erschienen in "Die Nephrologie" 3/2025