Ein altes Sprichwort sagt: Hast Du kein Ziel, wundere Dich nicht, wenn Du nicht ankommst. Ähnliches gilt für die viel diskutierte Steuerung im Gesundheitswesen. Die große und wichtigste Frage lautet schlicht: Wohin soll unser System ausgerichtet, gesteuert werden? Mehr staatliche Fürsorge, Ausbau als Einrichtung der Daseinsvorsorge (ähnlich wie Feuerwehr) oder Stärkung der Eigenverantwortung mit beispielsweiser finanzieller Selbstbeteiligung im Notdienst, Ausbau der Angebote für Selbstzahler und Einführung differenzierter Kassenbeiträge? Und wohin führen diese Gedankenspiele? Bessere Volksgesundheit, größere Patientenzufriedenheit, auskömmlich bezahltes Personal, eine befriedete Vertragsärzteschaft? Das alles bleibt Illusion, weil Vonjedem-etwas das genaue Gegenteil von Zielorientierung ist.
Mutige Visionen fehlen
In absehbarer Zeit wird unser Gesundheitssystem weiter als Dauerbaustelle verwaltet. Mutige und klare Visionen fehlen. Unter der Ampelregierung ist eine eindeutige Zielrichtung nicht erkennbar. Dabei mangelt es nicht an legislativer Aktivität. Allein in diesem Jahr sind bisher
13 Verordnungen und neun Gesetze vorgelegt worden oder in Kraft getreten. Das Wording liegt dabei schwerpunktmäßig auf Begriffen wie „Bekämpfung“, „Entlastung“, „Unterstützung“ oder „Stärkung“ – Nebelkerzen, die eher wie verzweifelte Reaktionen auf Missstände denn als durchdachte Manöver erscheinen.
Eine andere Strategie ist bei der Krankenhausreform auszumachen. Von aktivem Reformeifer getrieben wurde vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) ein Vorhaben auf den Weg gebracht, dass die Krankenhauslandschaft in den nächsten fünf Jahren gründlich verändern, sprich ausdünnen soll. Die Forderung nach Abschaffung der DRG und den damit verbundenen ökonomischen Fehlanreizen besteht schon lange, auch der BDI hatte dazu klar Stellung bezogen. Allerdings wirft das Ganze mehr Fragen als Antworten auf.
Fakt ist, durch Einführung unterschiedlicher Versorgungsstufen und dem partiellen Ersatz der DRGVergütung durch Vorhaltepauschalen werden einige Häuser auf der Strecke bleiben. Schaut man genauer hin, wird klar, in welchem Ausmaß auch der ambulante Sektor von der Klinikreform betroffen ist. Dabei liegt der Fokus besonders auf den Level-Ii- Häusern. Diese sollen „stationäre Leistungen der interdisziplinären Grundversorgung wohnortnah sowohl mit ambulanten fachärztlichen sowie hausärztlichen Leistungen als auch mit medizinisch-pflegerischen Leistungen“ verbinden, heißt es im Eckpunktepapier von Bund und Ländern.
Da machen wir uns also Gedanken um Patientensteuerung, sogar der Begriff des Primärarztsystems taucht wieder auf. Gesundheitspolitiker der Opposition sprechen von der Einführung eines „Lotsenmodells“, um die ungezielte Inanspruchnahme der fachärztlichen Versorgungsschiene zu unterbinden. Die „Flatrate Mentalität“ in der Gruppe der gesetzlich Versicherten müsse ein Ende finden, so Tino Sorge (CDU). Und schon liegt die Lösung parat: Durch Öffnung von Krankenhäusern der Stufe I wird die ambulante Versorgung um einen zusätzlichen Player erweitert, man könnte auch von der Schaffung einer Konkurrenzsituation sprechen.
Wie passen nun die beiden Ansätze „Patientensteuerung“ und „Stärkung der intersektoralen Versorgung“ zusammen? Dazu gibt es leider wenig konkrete Vorschläge. Insbesondere bei der Vergütung der Leistungen bleibt der Gesetzgeber vage und spricht von einem „Vergütungsmix“ aus Hybrid-DRG, EBM und Abrechnung ambulanter Leistungen nach §§ 115 b und f SGB V. Selbst, wenn das geplante Modell einer eigenen sektorenübergreifenden Vergütung etabliert wird, bleibt fraglich, ob die Gesundheitsversorgung damit nachhaltig verbessert wird. Denn um kooperative intersektorale Strukturen auf Augenhöhe zu schaffen, bedarf es in erster Linie der Stärkung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung, die von rund 90.000 Fach- und 55.000 Hausärztinnen und -ärzten sichergestellt wird.
Das wären die Bedingungen
Nicht erst seit der Corona-Pandemie und der seit 2022 anhaltenden Inflation beklagen viele Praxen eine schwierige, zum Teil bedrohliche wirtschaftliche Lage. Vonseiten der Politik werden diese Stimmen allerdings nicht gehört – im Gegenteil: Der Bundesgesundheitsminister hat offenbar mehr Verständnis für die Defizite und Argumente der GKV als für die prekäre Lage in der Vertragsärzteschaft.
Erst wenn die Entbudgetierung für alle Haus- und Fachärzte auf der Agenda steht, die Bedarfsplanung an den morbiditätsbedingten gesteigerten Bedarf angepasst und eine angemessene Vergütung für alle Praxisbeschäftigten bezahlbar wird, können Patientensteuerung und Ausbau der intersektoralen Versorgung ernsthaft in Angriff genommen werden. Niemand bezweifelt, dass die gezielte Patientensteuerung eine mögliche Win-win-Situation für alle Beteiligten ist. Die Zuweisung in die richtige Facharztschiene oder die qualitativ hochwertige Betreuung in einer spezialisierten Klinik steigern nicht nur den Outcome und die Patientenzufriedenheit, sondern tragen auch zur effizienteren Ressourcennutzung und frühen Diagnostik bzw. richtigen Therapie bei. Für eine effektive und zielorientierte Steuerung braucht es jedoch Instrumente, die vonseiten der Politik bereitgestellt werden müssen. Dazu gehören gesetzliche Rahmenbedingungen, der Ausbau digitaler Kommunikations-Plattformen, finanzielle Anreize und ein deutliches Signal der Unterstützung der Vertragsärzte.
Ein Beitrag von Dr. Ivo Grebe, BDI-Vorstandsmitglied, erschienen in der BDI aktuell 09/2023