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Kassensturz

© Phil Dera

Nicht erst durch die parlamentarische Sommerpause hindurch begleitet uns ein Thema: das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen. Allen Beteiligten ist klar, dass die Finanzierungslücke weiter wachsen wird und ein Anstieg der Beitragssätze droht – wenn es nicht zu den zwingend notwendigen Reformen kommt. Dementsprechend haben kreative Lösungsvorschläge Konjunktur, wo, wie und bei wem am besten reformiert und eingespart werden könnte.

Das von der Koalition vereinbarte Primärarztmodell allein ist als Rettungsanker nur bedingt geeignet. Die avisierten zwei Milliarden Euro an Einsparpotenzial halten auch Player wie der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Professor Josef Hecken, und die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, für unrealistisch.

Schon seit längerem diskutiert wird der Umgang mit versicherungsfremden Leistungen. Darunter fallen unter anderem die Finanzierungslücke bei den Bürgergeldempfängerinnen und -empfängern sowie die Mitversicherung von Kindern und nicht erwerbstätigen Ehepartnern, aber auch die finanzielle Hauptlast bei der Entwicklung und Einführung der elektronischen Patientenakte. Diese Ausgaben werden leider nicht vom zugesicherten Bundeszuschuss gegenfinanziert, sondern gehen zu Lasten der Beitragszahlerinnen und -zahler. Selbst das beschlossene zusätzliche Darlehen von jeweils 2,3 Milliarden Euro in den Jahren 2025 und 2026 schließt diese Lücke nicht.

Nicht nur das, ab 2029 muss es zurückgezahlt werden. Die versicherungsfremden Leistungen müssen aus Steuermitteln finanziert werden und nicht aus denen der GKV, wie es schon die AG Gesundheit im Rahmen der Koalitionsverhandlungen richtig vorgeschlagen hatte. Aber leider wurde diese Forderung nicht in den Koalitionsvertrag übernommen und auch Gesundheitsministerin Warken konnte sich an dieser Stelle nicht gegen Finanzminister Klingbeil durchsetzen.

Es lohnt aber der Blick auf die Verteilung der Ausgaben. Der größte Posten sind weiterhin die Behandlungskosten im Krankenhaus, die ein Drittel der Gesamtausgaben ausmachen und allein im vergangenen Jahr um knapp zehn Prozent gestiegen sind – obwohl die Zahl der behandelten Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern relativ konstant blieb. Wenn das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) und das nun beratene Krankenhausanpassungsgesetz (KHAG) umgesetzt werden, stehen vor allem die Qualitätsverbesserung und die Sicherung der Versorgung im ländlichen Raum im Mittelpunkt. Ob damit Einsparergebnisse erzielt werden, ist nicht abzusehen.

Der zweitgrößte Posten sind die Ausgaben für Arzneimittel. Der gefühlten Wahrnehmung zu hoher Preise stehen Untersuchungen gegenüber, die Deutschland eher im europäischen Mittelfeld verorten. Wenn wir aus Gründen der Versorgungssicherheit die Herstellung teilweise wieder nach Europa holen wollen, wird das die Produktion verteuern. Ebenso stehen schon jetzt viele hochpreisige moderne Therapien auf der Ausgabenseite.

Darum müssen wir realistisch sein und eine gesellschaftliche Debatte führen: Ist das allumfassende Leistungsversprechen für alle so noch aufrechtzuerhalten? Muss alles sofort und für jede und jeden verfügbar sein? Und wenn wir Dinge in Frage stellen, worauf können wir dann medizinisch vertretbar verzichten? Manches ließe sich abfedern, wenn wir stärker in Gesundheitsbildung und Prävention investieren. Das würde auch dabei helfen, die knapper werdenden Mittel zielgerichteter dort einsetzen zu können, wo sie wirklich gebraucht werden.

Um die Probleme der GKV-Finanzierung zu lösen, dürfen wir nicht mit Denkverboten in die Diskussion gehen. Klar ist aber auch, dass das immerwährende Stopfen von Finanzlöchern aus Steuermitteln keine nachhaltige Lösung ist. Hier bedarf es grundlegender Reformen, die den Solidargedanken nicht aufgeben, aber die Finanzierung tragfähig gestalten.

Darum ist es wichtig, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarte Fachkommission, die Vorschläge zur kurz-, mittel- und langfristigen Stabilisierung der GKV-Beitragssätze vorlegen soll, schnellstmöglich ihre Arbeit aufnimmt und ihre Ergebnisse schon vor 2027 präsentiert. Vor allem aber müssen dort Ärztinnen und Ärzte mitarbeiten, die nah dran sind an den Bedürfnissen und Erwartungen ihrer Patientinnen und Patienten. Denn schlussendlich sind sie die Beitragszahlenden, die eine verlässliche und hochqualitative Gesundheitsversorgung erwarten.

Ihre

Christine Neumann-Grutzeck
Präsidentin

Erschienen in BDI aktuell 9/2025