Berufspolitik ist oft mit einem langen Atem verbunden, insbesondere, wenn es um tiefgreifende Strukturreformen geht. Die Früchte beharrlicher Arbeit ernten oft erst diejenigen, die nachkommen. Das kann dazu führen, dass manch einer sich frustriert wieder abwendet. Mit Blick auf die dringenden Probleme in allen Bereichen unseres Gesundheitswesens ist Aufgeben aber keine Option. Vielmehr müssen wir uns noch entschlossener für Strukturen und Arbeitsbedingungen einsetzen, die es uns ermöglichen, die Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen, ohne selbst vom System verbrannt zu werden.
Zukunftsfähige Gesundheitspolitik wird nicht nur für, sondern vor allem mit Ärztinnen und Ärzten gemacht. Das muss insbesondere für die jüngeren Kolleginnen und Kollegen gelten, die auch in zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren noch die Versorgung sicherstellen sollen. Die Bereitschaft, sich zusätzlich zum anstrengenden Arbeitsalltag ehrenamtlich zu engagieren, ist bei vielen da. Wir können das Engagement jedoch fördern und junge Stimmen besser integrieren, indem wir in der Politik, den Organisationen der ärztlichen Selbstverwaltung und auch in den Berufsverbänden Strukturen schaffen, die eine Teilhabe möglichst niedrigschwellig ermöglicht.
Mit eben diesem Anspruch sind wir als BDI-Präsidium vor ziemlich genau zwei Jahren angetreten. Dafür haben wir die Verbandskommunikation direkter, inklusiver und partizipativer gestaltet und unsere Gremien gezielt für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung geöffnet.
Mit wie viel Engagement und Herzblut die jungen Kolleginnen und Kollegen dabei sind, zeigen nicht nur innovative Fortbildungsformate wie die Rotationskickstarter, sondern auch unsere Arbeitskreise Internistinnen und das Junge Forum, das beim Deutschen Internistentag (DIT) Anfang September in Berlin wieder ein spannendes Symposium zum Thema interprofessionelle Zusammenarbeit beigesteuert hat. Dieselbe Denkweise haben wir auch in Formulierung unserer politischen Positionen übertragen. Im Vorstand arbeiten wir jetzt projektbasierter in Ressorts und binden hier auch die breite Expertise der Mitglieder ein, die aktuell kein Amt innehaben. Mithilfe des Fachwissens vieler engagierter Mitglieder haben wir allein in diesem Jahr schon vier neue BDI Positionen zu einem breiten Themenspektrum verfasst – von der Notfallversorgung und intersektoralen Versorgung, über Selektivverträge bishin zu Klimawandel und Gesundheit. Die Positionen dienen nicht nur der internen Standortbestimmung und der Information der Mitglieder. Sie sind auch die Argumentationsgrundlage für unsere politische Arbeit.
In der Umsetzung unserer Vorschläge für dringende Strukturreformen sind wir natürlich darauf angewiesen, dass diese Themen auch auf den gesundheitspolitischen Agenden in Berlin oder den Bundesländern landen. Bisher lassen die Vorhaben aus dem Bundesgesundheitsministerium noch auf sich warten. Aber sie werden kommen. Sie müssen kommen. Und das nicht in Form kurzsichtiger Sparmaßnahmen an den falschen Stellen. Sondern als echte Entlastung für diejenigen, die nicht erst seit der Coronapandemie die Versorgung der Patientinnen und Patienten in den Kliniken und Praxen mit viel Schweiß und Tränen sicherstellen.
Mit Blick auf die steigende Arbeitsbelastung, explodierende Kosten, Ärger mit der Digitalisierung und der Bürokratie steht in der Gesundheitspolitik nichts Geringeres auf dem Spiel als die Versorgung der Patientinnen und Patienten. Wenn der Bundesgesundheitsminister der letzte ist, der sich den großen Strukturfragen widmet, dann darf er sich nicht wundern, wenn in ein paar Jahren niemand mehr in diesem System arbeiten will.
Ihre
Christine Neumann-Grutzeck
Präsidentin
Erschienen in BDIaktuell 10/2022