| Meinung

Jenseits der Grenzen - alles besser?

© Phil Dera

Die Vorfreude auf den Urlaub ist groß. Endlich raus aus dem stressigen Praxisalltag, der Terminfülle, den vielen Diskussionen rund um die anstehenden Reformen unseres Gesundheitssystems: Zuerst die Notfallversorgung, dann die Umsetzung der Krankenhausreform, Kostenreduktion, Primärarztsystem, und und... 

Im Gepäck Badehose, kurze Hose, T-Shirt, Sandalen, Strandlektüre - und dann ziehen Regenwolken über die Seelandschaft der Südalpen, die Temperaturen sinken unter 15 Grad, plötzlich wechselt das Urlaubsfeeling in Anspannung und gipfelt in der Frage: Warum denken wir eigentlich, außerhalb der Heimat sei alles besser? Besorgte Blicke auf die Wetter-App des Smartphones zeigen, auch in der Heimat macht der Sommer Pause. Immerhin, ein schwacher Trost. 

Beim Blättern im ausliegenden Pressestapel des Hotels stoße ich auf einen Artikel über Probleme des österreichischen Gesundheitssystems. Mehr noch, ein weiterer Aufsatz zum Vergleich von Gesundheitssystemen weltweit blickt gleich bis Singapur. Also auch hier die Frage, was ist jenseits der eigenen Landesgrenze besser? Die Antwort fällt nicht leicht, denn bei genauer Analyse müssen unterschiedliche Versicherungssysteme, die staatliche Lenkung und jeweilige gesellschaftliche Strukturen Berücksichtigung finden. 

Hohe Eigenbeteiligung in den Alpenrepubliken 

Bleiben wir in Österreich, einem EU-Land, das uns nicht nur wegen der gemeinsamen Sprache vertraut ist. 

Die 21 Krankenkassen erwirtschafteten im letzten Jahr ein sattes Defizit, die Kosten für Krankenhäuser steigen, die Wartezeiten auf Facharzttermine werden länger. Die privaten Zuzahlungen für Patientinnen und Patienten der staatlichen „Gesundheitskassen“ belaufen sich auf insgesamt 13,5 Milliarden Euro jährlich. 

Knapp 40 Prozent der Bürger sind mit speziellen Verträgen und unterschiedlicher Eigenbeteiligung privat krankenversichert. Auch hier ist der Eigenanteil in den letzten Jahren stetig angestiegen. 

Die Ursachenanalyse der enormen Kostensteigerung bringt wenig Überraschendes zu Tage. Die veränderte Morbiditätsstruktur in einer immer älter werdenden Gesellschaft fordert ihr Tribut. Daneben die viel zu häufigen Arztbesuche, die Gratismentalität („ich zahle den Versicherungsbeitrag, also steht mir das zu“), die ungebremste Inanspruchnahme der Notaufnahmen in den Spitälern etc. und dazu die ernüchternde Diskussion um die Fusion der staatlichen Krankenkassen - das Einsparvolumen trägt nach Expertenmeinung wenig bis nichts zur Kostenreduktion im Gesamtsystem bei. 

Steigende Gesundheitskosten weltweit 

Bei Betrachtung anderer Länder wie Frankreich, Italien oder Großbritannien ergibt sich ein ähnliches Bild. Auch hier laufen die Kosten für die Gesundheitsversorgung aus dem Ruder, wenn auch mit unterschiedlichen Auswirkungen für die Bevölkerung dank staatlicher Gegenregulierung. 

Global betrachtet deutet die Entwicklung auf eine schleichende Entsolidarisierung hin: Wer mehr zahlt, bekommt schneller Termine, umfassendere Leistungen oder Zugang zu speziellen Therapien. Ein Positivbeispiel ist vielleicht die Schweiz, wo der neben der gesetzlichen Grundversicherung eine liberale, eigenverantwortliche Versicherungsstruktur den Einzelnen dazu bringt, sich rechtzeitig und umfassend mit seiner persönlichen Gesundheitsvorsorge zu beschäftigen. 

Beim grenzüberschreitenden Blick wird klar: Die Probleme des deutschen Gesundheitssystems sind kein Einzelfall. Vielmehr sehen sich nahezu alle modernen Gesellschaften mit vergleichbaren Strukturproblemen konfrontiert. 

Die Gesundheitsausgaben hierzulande beliefen sich 2024 auf rund 12 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, damit ist Deutschland weltweit nach den USA Spitzenreiter. Es ist also viel Geld vorhanden, um unser Gesundheitssystem für die Herausforderungen der kommenden Jahre gut aufzustellen. 

Dafür bedarf es grundlegender Strukturreformen im ambulanten wie stationären Sektor, einer klaren Kommunikation von Seiten der Politik, sowie der Förderung von Gesundheitskompetenz und Mitverantwortung der Patientinnen und Patienten. Nach der Sommerpause wird sich zeigen, wieviel ehrlichen Reformwillen die neue Regierung hat - die Erwartungen sind groß. 

Ihr

Dr. med. Ivo Grebe
Vorsitzender der AG Hausärztlich tätige Internistinnen und Internisten 

Erschienen in "CME" 9/2025