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Interdisziplinäre Versorgung darf kein Randthema sein

Der 126. Ärztetag hat es leider versäumt, Beschlüsse zur interprofessionellen Zusammenarbeit zu fassen. Dabei wären einige wichtige Fragen dringend zu klären, bevor erste Modellprojekte starten. Ein Beitrag von Dr. Ivo Grebe, Mitglied im BDI-Vorstand sowie Delegierter der Ärztekammer Nordrhein.

© Michaela Illian

Geräuschlos, ohne Pauken und Trompeten endete der Deutsche Ärztetag in Bremen mit einem Abstimmungsmarathon. Über insgesamt 254 Anträge mussten die 250 Delegierten beraten und abstimmen. Neben aktueller Politik (Ukrainekrieg) ging es um Beschlüsse zur Digitalisierung, Kapitalinvestoren im Gesundheitswesen, GOÄ, Gendergerechtigkeit, die Auswirkung der Corona-Pandemie bei Kindern und Jugendlichen und vieles mehr. Da ist es nicht verwunderlich, wenn man bisweilen den Überblick verliert oder Anträge in Vergessenheit geraten.

Deutliche Handschrift des BDI

So geschehen mit den Anträgen zur interprofessionellen Zusammenarbeit: Die Anträge wurden allesamt ohne lange Diskussion mit Vorstandsüberweisung beschieden. Jeder der drei Anträge trägt die Handschrift des BDI. Die Antragssteller fordern mit unterschiedlicher Formulierung, die 2021 vorgestellten „Positionen der Bundesärztekammer zur interdisziplinären und teamorientierten Patientenversorgung“ gründlich zu diskutieren und zu überarbeiten. Daneben wird die Politik aufgefordert, Zuständigkeit und Verantwortung von interprofessioneller Zusammenarbeit „eindeutig zu definieren“ und dabei insbesondere Haftungs- und Budgetverantwortung zu klären.

Worum geht es dabei? Warum ist das Thema plötzlich wichtig geworden und wird auf Ärztetagen vorgestellt? Auf der Suche nach Antworten bedarf es eines Blickes in die Geschichte des SGB V. Bereits bei der großen Pflegereform 2008 (Pflegeweiterentwicklungsgesetz) wurde der G-BA aufgefordert, Richtlinien zur Übertragung spezieller ärztlicher Tätigkeiten auf Pflegeberufe zu entwickeln. Später formulierte man im Paragraf 63c SGB V: „Modellvorhaben ... können eine Übertragung ärztlicher Tätigkeiten, bei denen es um selbstständige Ausübung von Heilberufen handelt“ auf qualifizierte Pflegekräfte „vorsehen“. Konkreter wurde der Gesetzgeber schließlich im Gesundheitsversorgungs-Weiterentwicklungsgesetz 2021, das im ergänzten Paragrafen 64d SGB V die verpflichtende Durchführung von Modellvorhaben zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf Pflegefachkräfte vorschreibt. Daneben sollen „auch Standards für die interprofessionelle Zusammenarbeit“ entwickelt werden.

Das Gesetz sieht vor, dass erste Modellvorhaben zur Transferierung ärztlicher Leistungen auf Pflegeberufe im Januar 2023 starten, wobei das genaue Prozedere nicht festgelegt ist. Deswegen verwundert es nicht, dass die BÄK ihren Positionsentwurf lieber heute als morgen verabschiedet hat. Die Landesärztekammern arbeiten mit Hochdruck daran, die inhaltliche und logistische Umsetzung zu begleiten. Innerhalb des BDI ist die Diskussion bereits weit fortgeschritten, grundlegende Positionen zur Kooperation mit nicht-ärztlichen Heilberufen wurden in „BDI aktuell“ im Mai 2022 veröffentlicht.

Was sind die weiteren Schritte?

Aus unserer Sicht geht es um die Schärfung des ärztlichen Berufsbildes, die Beschreibung ärztlicher Kernkompetenz und die klare Definition von Delegation und Substitution. Unbedingt zu vermeiden ist eine Fragmentierung ärztlichen Handelns aus ökonomischen Gründen. Eine Übertragung ärztlicher Heilkunde auf andere Gesundheitsfachberufe ist in genau definiertem Rahmen möglich, wenn die Vertreter der Heilberufe über ausreichende Kompetenz und Qualifizierung verfügen. Die Patientenversorgung muss nachweislich verbessert, Fragen zu Verantwortung und Haftung müssen eindeutig geklärt werden. Ärztliche Aus- und Weiterbildung ist den Erfordernissen der interprofessionellen Kooperation im Team anzupassen.

Kooperation mit Pflegekräften und anderen Gesundheitsfachberufen ist eine Grundvoraussetzung für gute und qualitativ hochwertige Medizin. Zur Zufriedenheit aller Beteiligten müssen die Regeln der Zusammenarbeit dabei klar definiert sein, einer fortschreitenden Aushöhlung ärztlicher Heilkunst ist entgegenzuwirken.

Die inhaltliche Diskussion zu Gestaltung und Umsetzung von Kooperationsmodellen muss weitergeführt werden und spätestens beim nächsten Ärztetag 2023 in Essen in klaren Beschlüssen münden. Der BDI wird seinen Beitrag dazu leisten.