Seit über 30 Jahren findet jeden Sommer im norddeutschen Örtchen Wacken das größte und bekannteste Musikfestival statt, früher dem Genre Heavy-Metal zugerechnet. Mittlerweile wird auf den Zusatz „heavy“ verzichtet, es heißt nur noch Metal. Unter Musikfans ist dieses Happening bekannt für harten Gitarren- und Drums-lastigen Sound verbunden mit lauten angerauten Stimmen aus vorwiegend männlichen Kehlen. Wahrscheinlich ist die neue Gesundheitsministerin noch nie dort gewesen, obwohl der Name Nina Warken phonetische Assoziationen weckt. Und vielleicht wäre zum Amtsantritt ein Festivalbesuch gar nicht verkehrt. Das Erfolgskonzept der Veranstalter spricht für sich – grölende Bühnenakteure mit völlig unterschiedlicher künstlerischer Ausrichtung begeistern ein riesiges Publikum und hinterlassen eine weitgehend friedliche Stimmung.
Vielfältige Aufgaben
Es ist nicht bekannt, ob es in der Gesundheitspolitik beziehungsweise im Bundesgesundheitsministerium (BMG) genauso zugeht. Gerne wird hier der Vergleich mit einem Haifischbecken bemüht oder der neuen Amtsinhaberin neben Blumen auch ein ordentlicher Nussknacker überreicht. Das klingt nach schwerer und gefährlicher Arbeit, denn neben einem großen Fachpublikum schauen auch knapp 80 Millionen Versicherte zu, wie sich die neue Ministerin den großen Herausforderungen unseres Gesundheitssystem stellt. Dazu gehören unter anderem die Fortführung der beschlossenen Krankenhausreform, Ausbau der Digitalisierung, Konsolidierung der GKV-Finanzen (aktuelles Defizit 6,2 Milliarden Euro) und die Verbesserung der ambulanten Versorgung durch Einführung „eines verbindlichen Primärarztsystems bei freier Arztwahl durch Aus- und Kinderärzte in der HzV und im Kollektivvertrag“ - zitiert aus dem Koalitionsvertrag. An dieser Stelle mögen die Leser einmal innehalten, tief durchatmen und sich die Frage stellen: wie genau soll das aussehen, ein Primärarztsystem zwischen Kollektiv- und Selektivvertrag, zwischen „Jahresüberweisungen oder Fachinternist als steuernder Primärarzt“ (wörtlich: Koalitionsvertrag), zwischen Hausärzteverband und Kassenärztlicher Vereinigung?
Primärarztsystem ist komplex
Antworten auf diese Fragen gibt es viele. Allen voran beansprucht das Spitzenduo des Hausärzteverbandes (HÄV), Dr. Markus Beier und Professor Dr. Nicola Bulinger-Göpfarth, medienwirksam die Deutungshoheit und stellt klar: Allgemeinmediziner - wie immer synonym und exklusiv für die Spezies Hausarzt - allein seien in der Lage, ein echtes Primärarztsystem zu repräsentieren, und zwar am besten im Selektivvertrag zur hausarztzentrierten Versorgung (HzV) nach § 73 b SGB V. Eine echte Patientensteuerung im kollektivvertraglichen System funktioniere nicht. Dieser Haltung hatte der BDI bereits in einer Presseerklärung Ende März dieses Jahres deutlich widersprochen. Mittlerweile mehren sich die kritischen Stimmen, allen voran aus der KBV. Der Tenor: die Zersplitterung in HzV-Selektivverträgen führe zur Entsolidarisierung und letztlich zur Schwächung der Ärzteschaft gegenüber der Politik. Besonders scharf reagierte Annette Rommel, KV-Chefin aus Thüringen, die dem HÄV spalterische Tendenzen und ein Allmachtsstreben vorwarf.
Und wie sieht es vor Ort in den Praxen aus? Bereits jetzt arbeiten viele Hausarztpraxen am Limit und sind weder personell noch logistisch in der Lage, jeden Patienten, der eine Überweisung zum Facharzt verlangt, genau zu untersuchen und die Indikation zu überprüfen. Die Folge ist, dass auch zukünftig Überweisungen auf „Zuruf“ durch MFA ausgestellt werden. Eine echte Steuerung sieht anders aus. Völlig unklar bleibt auch, wie man dem Patienten erklären will, dass es künftig vorbei ist mit der freien Arztwahl. Oder will man die Zweiklassen-Medizin befördern - mit Zuzahlung oder als Selbstzahler schneller zum Facharzt?
Harter Sound - gute Lösungen
Das Beispiel zeigt, wie vielfältig und komplex unser Gesundheitssystem ist. Und wie schwierig es sein kann, mit allen Akteuren vernünftige Lösungen zum Wohle einer verbesserten Patientenversorgung zu entwickeln. Der BDI hat dazu gute Vorschläge in seinen Positionspapieren zur Hausärztlichen und Vertragsärztlichen Versorgung gemacht, weitere Positionierungen folgen. Heavy Metal ist nicht unser Sound, sondern das offene und konstruktive Gespräch mit dem BMG. Es bleibt zu hoffen, dass Frau Warken zuhört und sich nicht vom lauten Getöse und durch kontroverse Positionen innerhalb der Ärzteschaft abschrecken lässt.
Ihr
Dr. med. Ivo Grebe
Vorsitzender der AG Hausärztlich tätige Internistinnen und Internisten
Erschienen in "CME" 7+8/2025