„Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein, wie die Jugend zuvor, und es wird ihr niemals gelingen unsere Kultur zu erhalten.“ (ca. 1000 v. Chr. auf einer babylonischen Tontafel)
Dieses Klischee wird seit Jahrtausenden repetiert. Jahr für Jahr, von Menschen, die sich erhaben fühlen gegenüber der Jugend, gegenüber ihren Kindern, vielleicht auch aus Neid.
Ähnliches habe ich gehört, als letztens thematisiert wurde, dass heutzutage in vielen Berufsverbänden der Nachwuchs aus den Generationen X, Y, Z fehle und sich kaum noch jemand berufspolitisch engagiere. Ja natürlich, auch ich erlebe Unterschiede der heutigen Generation gegenüber meiner Generation. Aber ist das falsch? Die junge Generation muss ihre eigene Identität finden, um selbständig zu werden. Sie muss sich loslösen. Loslösen ist manchmal drastisch und geht bisweilen sonderbare Wege. Ich bin Mutter von zwei Jugendlichen, ich weiß, wovon ich spreche. Das erfordert oft ganz viel Geduld, Toleranz und Resilienz. Zuhören hilft, auch wenn man manchmal schreiend davonlaufen möchte.
Das Junge Forum im BDI
Im Rahmen unseres letzten Hauptstadtforums war daher Zuhören mein Stichwort und ich habe bewusst das Junge Forum im BDI besucht. Das Junge Forum ist der Arbeitskreis, der sich mit der Verbesserung der Fort- und Weiterbildungsqualität, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie der Integration von Forschung in die klinische Tätigkeit beschäftigt. Was habe ich erlebt? Die berufspolitische Verdrossenheit der jungen Generation?
Nicht wirklich! Da waren konkrete Karrierevorstellungen, Diskussion um Hindernisse auf ihrem Weg und klare Ziele. Da waren aber auch große Sorgen bezüglich der Entwicklung des Arztberufes unter Delegation, Substitution und KI.
Hat mir die Entwicklung von KI für meinen bisherigen Alltag Sorgen bereitet? Eigentlich nicht. Ich sehe in KI eine Bereicherung. Allerdings sind meine Patienten auch noch gewohnt, „ihren“ persönlichen Arzt zu haben. Aber was ist mit der kommenden Generation. Wird KI dann zur direkten Konkurrenz?
War mir wirklich bewusst, dass unsere jungen Ärztinnen und Ärzte bereits heute vor dem Problem stehen, wie Delegation und Substitution mit Aus- und Weiterbildung in Einklang zu bringen sind oder waren diese Diskussionen für mich eher noch Zukunftsmusik?
Die Jungen schärfen unseren Blick
Andere Genrationen helfen uns den Blick zu schärfen. Sie holen uns aus unserem Trott. Wir kümmern uns um Patientensteuerung, 10 Punkte-Pläne, um das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz etc.. Wir restaurieren ein altes Bild, während unsere junge Generation bereits ein neues denkt: Wie wird der Arzt der Zukunft aussehen? Wie können wir unsere Rolle im zukünftigen Gesundheitssystem behaupten? Wie können wir mit KI leben – oder müssen wir lernen mit KI zu überleben?
Wo ist sie, die Politikverdrossenheit, die unserer jungen Generationen angelastet wird? Aus der aktuellen Shell-Jugendstudie von 2024 ergab sich, dass das allgemeine politische Interesse der 12-25-Jährigen in den letzten 20 Jahren gestiegen ist und aktuell sogar einen Höchstwert aufweist. Wir haben sie doch erlebt, die Jugendlichen, die bei Fridays for Future auf die Straßen gezogen sind, um sich für ihre Belange einzusetzen. Das sind unsere zukünftigen jungen Ärztinnen und Ärzte.
Wenn also viele Berufsverbände feststellen müssen, dass die Mitgliederzahlen zurückgehen, dann könnte es daran liegen, dass unsere jungen Kolleginnen und Kollegen / Studentinnen und Studenten vielleicht noch nicht erkannt haben, wo Wege sind, sich zusammenzuschließen. Ganz davon abgesehen, dass entsprechend unserer gesellschaftlichen Entwicklung zwangsläufig mehr Ärztinnen und Ärzte altersgemäß aus den Berufsverbänden aussteigen als junge nachkommen.
Jugend ist anders. Jugend hat andere Probleme. Jugend geht Probleme anders an. Aber Jugend ist neugierig und kämpferisch. Wir können uns im Verband sehr glücklich schätzen, ein starkes Junges Forum zu haben, und ich kann nur jeden aufrufen, der sich aktiv an der Gestaltung des zukünftigen Arztberufs beteiligen möchte, den Weg in unser Junges Forum zu finden.
Ihre
Dr. med. Iris Cathrin Illing
AG Hausärztlich tätige Internistinnen und Internisten
Erschienen in "CME" 12/2025
