Mit den Stellungnahmen der Regierungskommission zur Tagesbehandlung im Krankenhaus, Krankenhausvergütung und jüngst auch der Notfall- und Akutversorgung in Deutschland scheint der Reformstau in der Gesundheitspolitik gebrochen zu sein. Der BDI hat lange für Strukturreformen dieser Art gekämpft, insbesondere für ein neues System der Krankenhausfinanzierung und Notfallversorgung. Jetzt gilt es, die Vorschläge der Kommission in Gesetzesform zu gießen. Das hätte zwangsläufig erheblichen Einfluss auf das Leistungsgeschehen in der stationären und ambulanten Versorgung.
Wie sehr die Rahmenbedingungen die tatsächlichen Versorgungsstrukturen beeinflussen, haben wir in den letzten 20 Jahren anschaulich durch das DRG-System erfahren: Neben der massiven Ausweitung der Fallzahlen hat gleichzeitig eine Konzentration auf lukrative, technische Leistungen stattgefunden. In der Inneren Medizin hat das dazu geführt, dass nicht-invasive Schwerpunkte heute kaum noch stationär abgebildet werden.
Die Strukturveränderungen haben auch dazu geführt, dass die Struktur der ärztlichen Weiterbildung sich gewandelt hat. Die neue (Muster-)Weiterbildungsordnung (MWBO) aus dem Jahr 2018 hat versucht, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, indem große Teile der Weiterbildung ambulant absolviert werden können. Bisher scheitert die flächendeckende Umsetzung jedoch häufig an der unzureichenden Finanzierung. Im stationären Bereich ist die ärztliche Weiterbildung hingegen unmittelbar an den wirtschaftlichen Ertrag der Klinik gekoppelt. Das führt unweigerlich dazu, dass die Qualität unter dem wirtschaftlichen Druck und dem Personalmangel leidet und Weiterbildung nicht selten zu einem Abfallprodukt des Alltags verkommt – einmal davon abgesehen, dass insbesondere in der Corona-Zeit viele Ärztinnen und Ärzte ihre Weiterbildung zurückstellen mussten.
In der aktuellen Form ist unser Gesundheitssystem auf eine Angebotsmedizin ausgerichtet. Mit den geplanten Strukturreformen soll der Wandel hin zu einer Bedarfsmedizin eingeleitet werden. Neben Anreizen, die Finanzierung auf Bedarf und Qualität auszurichten, braucht es in diesem System jedoch auch Anreize, um gute Aus- und Weiterbildung zu fördern – sektorenübergreifend und interdisziplinär. Denn derzeit fehlt von wenigen Ausnahmen abgesehen sowohl stationär als auch ambulant der Ansporn, Zeit und Ressourcen in eine gute Ausbildung junger Ärztinnen und Ärzte zu investieren.
In den Empfehlungen der Regierungskommission spielt die Weiterbildung jedoch keine Rolle. Auch von den Folgen der Reform auf die Weiterbildung ist nirgendwo eine Rede. Das verkennt leichtfertig die Tragweite: Sowohl die gestufte Krankenhausplanung als auch die Ambulantisierung haben weitreichende Konsequenzen. Die Leistungsgruppen sind zwar an die MWBO angelehnt. Wenn zukünftig jedoch nur noch Krankenhäuser ab Level 2 ausgestattet sind, alle notwendigen Kompetenzen zu vermitteln, wird es massive Abwanderung aus Level-1-Häusern in die großen Zentren geben. Dass die Weiterbildung im Rahmen einer Kooperation von kleinen und großen Kliniken – und im Optimalfall auch Praxen – an verschiedenen Standorten erfolgen soll, klingt in der Theorie zwar gut. In der praktischen Umsetzung stellt die Kommission sich das aber ein bisschen zu einfach vor, denn bis auf wenige Fächer sind sowohl die Strukturen als auch die Weiterbildungsordnung selbst auf diese Veränderung nicht vorbereitet. Was wir stattdessen benötigen, ist ein tragfähiges Konzept, inklusive Finanzierung, für eine sektorenübergreifende Weiterbildung. Die Politik hat jetzt die Gelegenheit und Verantwortung, den Grundstein für die nächsten Jahrzehnte der ärztlichen Versorgung zu legen. Dafür muss die Weiterbildung früh in die Planung einbezogen werden, damit der ärztliche Nachwuchs am Ende nicht im Regen steht.
Ihre
Christine Neumann-Grutzeck
Präsidentin
Erschienen in BDIaktuell 03/2023