Die Identifikation von Patienten mit chronischer Nierenkrankheit (CKD) beruht im Wesentlichen auf zwei Parametern: der Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) durch Messung des Serumkreatinins und der Urin-Albuminausscheidung bezogen auf das Urinkreatinin (Urin-Albumin zu K(C)reatinin Ratio: UACR). Legt man die großen Stichprobenstudien zur Erfassung der CKD zugrunde, ist der Anteil der Patienten, die über eine Albumin-Messung im Urin detektiert werden, deutlich höher verglichen mit Kreatinin. So lag die Schätzung der CKD-Prävalenz in Deutschland in der viel zitierten Stichproben-Studie von Girndt et al. bei Messung des Kreatinins mit 2,3 % deutlich niedriger als bei Messung der Albuminurie (11,5 %). Als wirksamstes Mittel zur Detektion der CKD muss deswegen die UACR gelten. Gleichzeitig ist die UACR ähnlich wie die Messung der GFR über das Kreatinin ein wichtiger Risikomarker für entscheidende renale und kardiale Ereignisse (Dialyse, Herztod, etc.). Ein hohes Risiko ist dann auch die Indikation für die Einleitung einer spezifischen Therapie zur Risikominimierung (SGLT-2 Hemmer, nicht-steroidaler Aldosteronantagonist, GLP-1 Agonist). Die KDIGO Leitlinien empfehlen deswegen zurecht die GFR und die UACR bei gefährdeten Patienten sowohl zur Detektion einer CKD sowie bei Patienten mit manifester CKD zur Prognoseabschätzung zu messen. Bedenkt man die Patientenzahlen mit Risikofaktoren für eine CKD oder auch nur die Patienten mit einer manifesten CKD – bei einer Prävalenz von ca. 10 % in Deutschland wären dies alleine schon ca. 8,5 Millionen Menschen – wird klar, dass das Screening oder die Risikoabschätzung bei CKD nicht alleine durch die Nephrologen erbracht werden kann. Die große Hausarztgruppe muss deswegen in Zusammenarbeit mit der nephrologischen Facharztgruppe die tragende Säule der Versorgung bei der CKD sein. Schaut man sich jedoch nun Versorgungsstudien an, welche sich mit der Messung der renalen Risikomarker bei CKD beschäftigen, so wird insbesondere die UACR trotz klarer Empfehlungen der gängigen Leitlinien nur unzureichend zur Detektion als auch zur Risikoabschätzung bestimmt. Ergo wird weder die CKD bzw. deren Risikopotential entdeckt noch das vorhandene therapeutische Potential voll ausgeschöpft. Dies hat eine unnötige Erhöhung der Morbidität und Mortalität der CKD zur Folge.
Was sind die Gründe für diese eingeschränkte Versorgung? In der Vergangenheit war häufig das Fehlen therapeutischer Möglichkeiten Ursache der mangelnden Detektion oder Risikoabschätzung bei der CKD. Wie oben erwähnt sieht dies heutzutage fundamental anders aus, so legen große randomisierte Studien nahe, dass uns ein breites Spektrum an hochwirksamen progressionshemmenden und lebensverlängerten Medikamenten für die Behandlung der CKD zur Verfügung steht.
Ein weiterer Faktor für die unzureichende Messung der UACR könnten wirtschaftliche Zwänge sein. Hierbei könnte der sogenannte Wirtschaftlichkeitsbonus (WiBo) Labor und das Laborbudget eine Rolle spielen. Zweck dieser Instrumente ist es, das Mengenwachstum der Laborleistungen zu begrenzen, da Ärzte bei „wirtschaftlicher“ Veranlassung und Erbringung von Laborleistungen eine Bonuszahlung erhalten. Konkret bedeutet dies: Sind die Kosten für veranlasste und erbrachte Laborleistungen unterhalb der Bewertungsgrenze (Fallwert, Budget) ihrer Arztgruppe (z.B. hausärztliche oder nephrologische Arztgruppe), wird ein zusätzliches Honorar durch die KV automatisch ausgezahlt. Hier können je nach Zahl der Behandlungsfälle und Fachgruppe mehrere Tausend Euro zusammenkommen. Durch Bestimmung der UACR wird das Laborbudget der Hausarztgruppe beispielsweise stark belastet, da die UACR-Messung pro Patientenfall mit einem relativ hohen Kostengewicht von 3,38 EUR bzw. 3,53 EUR (zusammengesetzt aus 3,13 EUR für die Albuminbestimmung (GOP 32435) plus Kreatininbestimmung 0,25 EUR (GOP 32066) bzw. 0,40 EUR (GOP 32067) zum Laborbudget von 3,80 € pro Patient (Stand 30.05.2025) zu Buche schlägt. Dies bedeutet für die hausärztliche Gruppe, dass nahezu das gesamte Laborbudget für einen Patientenfall durch die Messung der UACR ausgeschöpft ist. Zwar erwächst dem Hausarzt oder der Hausärztin im Regelfall kein direkter finanzieller Verlust durch eine Überschreitung des Laborbudgets, allerdings entfällt bei Überschreitung des Laborbudgets der WiBo komplett. Dies wäre im Falle der hausärztlichen Gruppe pro 1.000 anrechenbare Behandlungsfälle im Quartal jährlich ca. 9.400 €, im Falle der nephrologischen Facharztgruppe würde der WiBo ca. 18.300 € jährlich pro 1.000 Quartalsfälle betragen. D. h. es besteht schon ein wirtschaftlicher Anreiz, die Laborkosten nicht ausufern zu lassen. Und dies ist ja auch genau der Zweck des Laborbudgets, eine wirksame Steuerung zum zweckmäßigen und wirtschaftlichen Einsatz von Laboruntersuchungen zu erreichen. Nun fragt man sich natürlich, wo ist die Steuerung im System, denn es scheint ja, dass nur ein weniger an Laborleistungen stimuliert wird.
Für die Vision einer „indikationsgerechten Laborbeauftragung“ und Steuerung existieren nun die sogenannten Kennnummern, welche bei bestimmten Untersuchungsindikationen einzelne Laborleistungen (zusammengefasst in Ziffernkränzen von Gebührenordnungspositionen (GOP)) auf die Anrechnung der Laborkosten ausnehmen und diese somit nicht in die Berechnung des Fallwerts bzw. Budgets für die Bestimmung des WiBo einfließen. Für die CKD bzw. als Risikofaktor für die CKD relevant sind die Ausnahmekennnummern 32018 (Untersuchungsindikation: CKD mit einer endogenen Kreatininclearance < 25ml/min) und 32022 (Untersuchungsindikation: manifester Diabetes mellitus).
Schaut man sich die Ausnahmen genauer an, beginnt man sich langsam aber sicher in dem bürokratischen Dickicht der „zweckmäßigen Steuerung“ der Laborleistungen zu verstricken. So darf man im Fall der ersten Ausnahmekennnummer, die UACR erst ab einer GFR < 25 ml/min (gemessen als Kreatininclearance!) laborbudgetneutral verordnen. Jedem Mediziner oder Medizinerin ist klar, dass ab einer GFR von < 25 ml/min die CKD schon so weit fortgeschritten ist, dass eine Prognoseabschätzung mittels UACR nicht mehr sinnvoll ist. Denn hier kommen spezifische Therapien zu spät bzw. sind aufgrund der verringerten Nierenfunktion teilweise nicht mehr anwendbar. Die Bestimmung der UACR erst ab einer GFR < 25 ml/min wäre in etwa so, als wenn man bei einem lichterloh brennenden Gebäude, Rauchmelder installieren würde. Diese Ausnahmekennnummer fördert somit die Verschleppung zielgerechter Therapien bei der CKD und führt damit zu einer Verschlechterung der Prognose von Patienten mit CKD. Dies hat im Endeffekt eine Steigerung der Kosten im Gesundheitswesen zur Folge. Diese Ausnahmekennnummer ist also ein echter „Schildbürgerstreich“! Hat man nun von der o. g. Nummer 32018 und den internationalen Leitlinien gelernt, dass die UACR in bestimmten Fällen laborbudgetneutral verordnet werden kann, bzw. international anerkannter Standard zur Prognoseabschätzung bei CKD ist, lässt einen der Ziffernkranz der Ausnahmekennnummer 32022 bei manifestem Diabetes mellitus etwas ratlos zurück. Denn nun soll es hier der semiquantitativer Urin-Streifentest (GOP 32135) richten, da die UACR nicht im Ziffernkranz enthalten ist. D. h. eine Bestimmung des Albumins (GOP 32435) im Urin würde also komplett auf das Laborbudget angerechnet werden. Nur ein sehr sachgerechter Kenner in der Systematik des WiBo und deren Ausnahmekennnummern würde hier nicht reinfallen, hingegen wäre die Kenntnis der aktuellen internationalen Leitlinien wirtschaftlich schädlich.
Natürlich ist dieses System zur Mengenbegrenzung der Laborleistungen sinnvoll, aber eine Verschlechterung der Versorgung der CKD Patienten, welche am Ende dem Gesamtsystem mehr Geld kostet, kann nicht in unserem Interesse sein. Der BDI fordert deswegen, die UACR-Messung zumindest schon bei einer GFR von < 60 ml/min laborbudgetneutral zu erlauben, besser noch GFR unabhängig auch bei Risikogruppen. Zusätzlich sollte die Messung der GFR dabei ausschließlich wie in den großen Therapiestudien über die Bestimmung der errechneten GFR anhand der gängigen Formeln (CKD-EPI, MDR, etc.) erfolgen. Dies würde die Prognoseabschätzung der CKD verbessern, frühzeitig zielgerichtete Therapien erlauben und somit Kosten im Gesundheitswesen einsparen.
Herzliche Grüße
Ihr
Prof. Dr. med. Thorsten Feldkamp
Erschienen in "Die Nephrologie" 4/2025