| Meinung

Arzt aus der Kiste

Erinnern Sie sich noch an die Fernseh-Serien „Der Landarzt“, „Praxis Bülowbogen“ oder „Doktor Sommerfeld“? Von Mitte der 1980er bis weit in 2000er Jahre hinein erfreuten sich die bewegenden Geschichten rund um die ambulante Medizin großer Beliebtheit. Meist wurde ein verklärt-romantisches Bild des Hausarztes gezeichnet: der weise ältere Mann, ständig ein offenes Ohr für die Leiden seiner Patientinnen oder Patienten, aber auch nicht frei von eigenen menschlichen Sorgen und Nöten. Heute läuft - wenn auch im Staffelformat - als letztes Relikt dieses Genres die TV-Kultserie „Der Bergdoktor“, in der ein sympathischer, gutaussehender Doktor Gruber mit seinem Oldtimer-Mercedes durch die österreichische Bergwelt cruisend nahezu jede medizinische und menschliche Herausforderung meistert - einfach phantastisch.

© Phil Dera

Machen wir uns nichts vor: Das ist Vergangenheit, nicht nur auf auf dem Bildschirm, sondern auch in der Realität. Den klassischen Landarzt oder Hausarzt, der immer ansprechbar ist, Lösungen parat hält, in sämtlichen Lebenslagen Auswege findet und auch etwas von seltenen Krankheiten versteht, wird es absehbar so nicht mehr geben. Wenn, dann vielleicht noch in einigen Regionen Ostfrieslands oder im Bayrischen Wald. Oder eben beim „Bergdoktor“.

Fakt ist: schon heute sind mehr als 5.000 Hausarztstellen nicht besetzt, Tendenz steigend. Fast jeder dritte praktizierende Hausarzt ist über 60 Jahre. Immer mehr Ärzte, vor allem Ärztinnen in der ambulanten Versorgung wählen die angestellte Tätigkeit, davon viele in Teilzeit. Gleichzeitig steigen die Kosten für die Gesundheitsversorgung enorm an, bereits jetzt schieben die Gesetzlichen Krankenkassen ein Defizit von über 6,5 Milliarden Euro vor sich her.

Vom Arztkontakt zum Praxiskontakt

Da liegt es nahe, wenn man nach praktikablen und möglichst kostengünstigen Alternativen sucht. Die Telemedizin steht bereit, um rund um die Uhr sowohl in ländlichen, aber auch städtischen Regionen professionelle Beratung anzubieten. Große Praxisnetze entstehen, in denen neben Ärzten auch andere Gesundheitsberufe im Team arbeiten und ärztliche Leistungen an Physician Assistent (PA) oder Community Nurses delegiert werden. Der Hausärzteverband spricht konsequenterweise davon, dass die Versorgung der Zukunft so aussieht: weg vom Arztkontakt, hin zum Praxiskontakt.

In Frankreich will man noch radikale Lösungen umsetzten: den Arzt aus der Kiste. Dort, wo in abgelegenen Dörfern Praxissitze vakant bleiben, werden jetzt sogenannte „Box médical“ aufgestellt. Begehbare containerartige Gebilde, die der Patient durchläuft und am Ende mit einer fertigen Diagnose und einem Therapievorschlag verlässt – ohne einen Arzt physisch gesehen zu haben. Lediglich der virtuelle telemedizinische Kontakt ist bei Bedarf möglich. Bisher stehen diese Stationen in 12 Orten als Pilotprojekt, sollen aber in Kürze auf 100 Gemeinden im ganzen Land verteilt werden. Ziel ist es nach Worten der Betreiber, den Gemeinden zu helfen, die trotz aller Bemühungen keinen Arzt, keine Ärztin finden.

Berührungsmedizin bleibt wichtig

Fazit bleibt, der typische Hausarzt wie oben beschrieben ist ein Auslaufmodell. Hier und da wird es noch möglich sein, rudimentäre Spuren der klassischen Versorgung zu erhalten. Längst aber ist man hierzulande ähnlich wie in Frankreich dabei, neue kostengünstige Konzepte zu etablieren, um eine angemessene medizinische Versorgung in der Fläche sicherzustellen. Dazu gehören die Delegation (bis hin zur Substitution) ärztlicher Leistungen an andere Gesundheitsberufe, der Ausbau digitalunterstützter Projekte wie der Telemedizin oder die Schaffung von Gesundheitszentren, die in einer Art Teamwork die gesundheitliche Versorgung übernehmen. Was dabei verloren geht, ist die Berührungsmedizin, die emotionale und physische Nähe der Ärztin oder des Arztes, der seinen Patienten durch empathische Grundhaltung, aktives Zuhören oder tatsächlich durch manuelle Berührung Hoffnung und Trost spendet. Dies sind kleine, aber wichtige Teile einer gelebten medizinischen Heilkunde, die wir auch im 21. Jahrhundert gut gebrauchen können.

Ihr

Dr. med. Ivo Grebe
Vorsitzender der AG Hausärztlich tätige Internistinnen und Internisten 

Erschienen in "CME" 11/2025