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Vor der Delegiertenversammlung
unseres Verbandes hat Uwe Deh
vom AOK-Bundesverband das ge-
meinsame Interesse von Ärzten und
Kassen bei der Versorgungsqualität
beschworen. Er hat aber auch Re-
formen im System eingefordert.
So unterstützt er prinzipiell – wie
auch der BDI – den gesetzlichen
Ansatz der ambulanten spezialfach-
ärztlichen Versorgung (ASV) nach
dem neuen Paragrafen 116b SGB V
mit einer vorsichtigen Lockerung
der Sektorengrenzen ambulant und
stationär. Die derzeitige Umsetzung
im Gemeinsamen Bundesausschuss
(GBA) lässt aber befürchten, dass
der gute Ansatz durch eine überzo-
gene Bürokratisierung konterkariert
wird. So kann man sich auch vor-
stellen, dass das Modell ASV ohne
GBA über Selektivverträge modell-
haft erprobt werden könnte.
Deh stellt zudem die Systemfra-
ge im Gesundheitswesen. Jeder Ver-
tragsarzt, der zugelassen ist, jedes
Krankenhaus, das im Klinikbe-
darfsplan verzeichnet ist, muss von
den Kassen finanziert werden, ohne
dass auf Qualitätsvorgaben ernst-
haft Rücksicht genommen wird. Er
plädiert deshalb dafür, diesen Kon-
trahierungszwang modellhaft durch
selektives Kontrahieren zu durchlö-
chern. Dies hätte für die gesetzliche
Krankenversicherung weitreichende
Folgen - von der rechtlichen Be-
deutung einer Zulassung bis hin zur
Budgetierung im System.
Systemfrage
mit Gewicht
DER CHEFREDAKTEUR MEINT
Schreiben Sie dem Autor unter:
Von Dr. Hans-Friedrich
Spies
Die Krankenkassen wollen mit den
Ärzten gemeinsam eine Qualitätsde-
batte für die ambulante Versorgung
führen. Das machte der stellvertreten-
de AOK-Vorsitzende Uwe Deh auf der
Delegiertenversammlung des Berufs-
verbandes Deutscher Internisten deut-
lich, die am Rande des Internistenkon-
gresses Ende April in Wiesbaden statt-
gefunden hat.
Zu Beginn warb Deh um Vertrau-
en: Das Verhältnis von Ärzten und
Kassen scheine nicht frei von Span-
nungen. Doch ein ernsthafter Diskurs
zwischen beiden Seiten sei unumgäng-
lich. „Wir wollen kein Ärzte-Bashing!“
(Anm. d. Red.: bashing bedeutet öf-
fentliche Beschimpfung) Dieser Ein-
druck hatte sich aufgedrängt, nachdem
die AOK Ende Januar kräftige Kritik
an der Qualität der stationären Versor-
gung geäußert hatte.
Deh will Streit vermeiden. „Die
Debatte über Qualität müsste uns mit-
einander verbinden“, warb er in Wies-
baden. Das Ringen um bedarfsgerech-
te Versorgung und Qualität sollte
mehr an Fakten als an Emotionen ori-
entiert sein. Das gehe aber nur durch
den Diskurs in der Selbstverwaltung.
Es sei dabei nicht nützlich, auf dem
kürzesten Weg zur Politik zu rennen
und dann auf Lösungen zu hoffen.
Patienten vertrauen auf Versorgung
Der AOK-Funktionär zeigte sich über-
zeugt, dass es im Gesundheitswesen
noch eine starke Werte-Orientierung
gebe. „Die Patienten verlassen sich da-
rauf, dass das Gesundheitswesen ih-
nen eine gute Versorgung zur Verfü-
gung stellt. Ich bin froh, dass Ärzte
und Kassen darüber einig sind.“
Mit der morbiditätsorientierten
Vergütung im Krankenhaus habe man
viel erreicht, erklärte er. Die Mittel
würden morbiditätsorientiert aufge-
bracht und verteilt. In der ambulanten
Versorgung sei man noch nicht so
weit. Es sei wichtig, künftig medizini-
sche und ökonomische Ziele zusam-
menzuführen. Der Diagnosebezug sei
dazu der beste Ansatz. Dass die Ärzte
hier eine strukturelle Optimierung for-
dern, finde die Zustimmung der Kran-
kenkassen. Dass die Diskussion über
Qualität inzwischen aus dem Elfen-
beinturm heraus sei und auf allen Ebe-
nen geführt werde, habe mit dem Dis-
kurs zwischen Ärzten und Kranken-
kassen zu tun.
Die gegenwärtige Situation im
Krankenhaus sei dadurch gekenn-
zeichnet, dass die Politik im Wesentli-
chen strukturelle Probleme diskutiere.
Die Kassen dagegen legten mehr Ge-
wicht auf die Ergebnisqualität als auf
Struktur- und Prozessqualität. Heute
seien die Krankenkassen in der Lage,
mit Routinedaten über die Sektoren-
grenzen hinweg zu schauen. Für sechs
Indikationsbereiche gebe es vergleich-
bare Ergebnisse über die Qualität.
Es sei klar, meinte Deh, dass die
AOK keine Begeisterungsstürme aus-
gelöst habe, als sie ihre Ergebnisse an
die Öffentlichkeit gebracht habe. „Wir
kämen nie auf den Gedanken, Ärzten
und Krankenkassen vorzuschreiben,
wie sie ihr Geschäft besser machen
können. Aber wir wollen über die Vor-
aussetzungen und Strukturen für bes-
sere Qualität sprechen.“
Es sei die Pflicht der Kassen, mit
Informationen über die Qualität ihren
Versicherten gegenüber aufzutreten.
Natürlich hätten sie auch Pflichten ge-
genüber ihren Vertragspartnern. „Ich
glaube, dass wir zusammen die Pflicht
haben, das Gesundheitswesen so ein-
zurichten, dass die Voraussetzungen
für gute Qualität da sind.“
Von daher stellten die Krankenkas-
sen Forderungen zur Krankenhauspla-
nung und -finanzierung und zu einem
insgesamt funktionierenden Wettbe-
werb. Abschläge für schlechte Qualität
werde es mit der AOK nicht geben,
beteuerte Deh. Das wäre nichts ande-
res als ein Rabatt für schlechte Quali-
tät. Allerdings bräuchten die Kassen
Handlungsspielräume, um bessere
Qualität zu erreichen. „Wir müssen
uns zusammensetzen, bevor Versor-
gung passiert.“
Neue Klinikfinanzierung ist nötig
Nötig seien vor allem wettbewerbliche
Spielräume. Die Krankenhausfinanzie-
rung müsse neu geregelt werden, weil
es sonst bei den schädlichen Anreizen
bleibe, in die Menge zu gehen. Der
Begriff des Qualitätswettbewerbs sollte
nicht zerredet werden, mahnte der
AOK-Vertreter. Er könnte sich am
ehesten eine Lockerung des Kontra-
hierungszwangs vorstellen.
Die AOK wolle die Chance nutzen,
die in einer übergroßen Koalition wie
der jetzigen von Union und SPD in
Berlin stecke: nicht nur das Tagesge-
schäft zu erledigen, sondern auch für
die Zukunft relevante Weichenstellun-
gen vorzunehmen. Er glaube, dass die-
se Impulse in den nächsten zwei Jah-
ren vom stationären Sektor ausgehen
werden. Wichtig sei es, dass sich auch
der ambulante Sektor, über die The-
men EBM und GOÄ hinaus, an dieser
Diskussion beteilige.
Die AOK geht einen Schritt
auf die Ärzte zu. Die
Qualität in der Versorgung
sollten Ärzte und Kassen
gemeinsam erreichen, sagt
AOK-Vize Uwe Deh. Ab-
schläge für schlechte Quali-
tät kämen nicht infrage.
AOK will mit Ärzten über
Versorgungsqualität reden
Von Klaus Schmidt
Wie kann im abulanten Sektor mehr Qualität etabliert werden? Das will die AOK mit den Ärzten erörtern.
© ALEXANDER RATHS / FOTOLIA.COM
© ANDREA KATHEDER
Wir haben zusam-
men die Pflicht, das
Gesundheitswesen
so einzurichten,
dass die Vorausset-
zungen für gute
Qualität da sind.
Uwe Deh
stellvertretender AOK-Vorsitzender
BDI-Chef Dr. Wolfgang Wesiack
nahm bei der Abendveranstaltung
beim 120. Internistenkongress in
Wiesbaden kein Blatt vor den Mund:
Eine Reform der GOÄ sei längst über-
fällig, mahnte er, und wies auf den
Mangel an Wertschätzung hin, der vie-
le Ärzte veranlasse, der kurativen Me-
dizin den Rücken zu kehren. „Wir
Ärzte sind die zentralen Steuerer des
Gesundheitssystems“, stellte Wesiack
klar. „Doch statt sie zu stärken, wirft
man ihnen immer neue Knüppel zwi-
schen die Beine.“
Diesen Vorwurf wollte Hessens So-
zialminister Stefan Grüttner (CDU)
eigentlich nicht auf sich sitzen lassen.
Er positionierte sich klar zum Thema
Transplantationsmedizin („Ich bin für
die Widerspruchslösung“), verzichtete
aber auf eine Reaktion zu den Vorwür-
fen Wesiacks: „Das würde den Rah-
men sprengen.“ Verständnis für die
Sorgen der Ärzte zeigte er allerdings
ebenso wie seine Minister-Kollegin
Doris Ahnen - mit Blick auf die
schwierige Situation der Unikliniken,
die bei dieser Veranstaltung besonders
im Fokus standen.
„Alle Studien und Gutachten kom-
men zu dem Ergebnis, dass die Uni-
versitätsmedizin für den Gesundheits-
bereich systemrelevant ist“, sagte Ah-
nen (SPD), Ministerin für Bildung
und Wissenschaft in Rheinland-Pfalz.
„Das muss dann auch Konsequenzen
im Finanzierungssystem haben.“ Als
ein Beispiel nannte Ahnen Extremkos-
tenfälle. „Oft liegen Mehrfacherkran-
kungen vor, für die eine Standardisie-
rung und eine adäquate Abbildung in
den Fallpauschalen nicht möglich ist,“
sagte sie. Diese Patienten würden
meist in Unikliniken behandelt, „denn
hier finden die Ergebnisse der For-
schung am schnellsten direkt und un-
mittelbar Anwendung“.
Ahnen würdigte die Tatsache, dass
die Probleme der Unimedizin auch im
Koalitionsvertrag aufgenommen wur-
den. Sie äußerte sich positiv zu einer
möglichen Einführung eines System-
zuschlags bei den DRG.
(fuh)
Auf dem Internistenkon-
gress äußerten sich Politi-
ker vor allem besorgt über
die Lage der Unimedizin.
Wesiack: Reform der GOÄ ist überfällig
Der neue Bundesgesundheitsminis-
ter will Krankenhausbetten abbau-
en, weil die Krankenhäuser im
Durchschnitt nur zu 77 Prozent
ausgelastet seien.
In den Augen von Dr. Wolfgang
Wesiack, Präsident des Berufsver-
bandes Deutscher Internisten e.V.,
ist das ein falscher Ansatz: „Es geht
im Krankenhaus nicht um Betten,
sondern um Fälle.“ Nicht wenige
Hotels wären froh, wenn sie eine
Auslastung von 77 Prozent errei-
chen könnten.
Auf der Mitgliederversammlung
des Berufsverbandes Deutscher In-
ternisten (BDI e.V.) im Rahmen
des 120. Internistenkongresses En-
de April in Wiesbaden hielt Wesi-
ack Minister Hermann Gröhe
(CDU) entgegen, dass sich die Ge-
sundheitspolitik noch zu sehr in
den alten Kategorien bewege.
Die Koalitionsvereinbarung sei
ziemlich nichtssagend. Wohin die
Reise gehe, sei mit einem großen
Fragezeichen versehen.
Der BDI-Chef plädiert für einen
gleichberechtigten Wettbewerb zwi-
schen Selektiv- und Kollektiv-Ver-
tragssystem. Er lehnt es ab, dass Se-
lektivverträge nur noch dazu dienen
sollen, Verbesserungen des Kollek-
tivvertragssystems vorzubereiten. Er
will ein Nebeneinander von Kollek-
tiv- und Selektivverträgen.
BDI: Vertrag der
Koalition bisher
nichtssagend
BDI-PRESSEMITTEILUNG
4
Juni 2014
BDI aktuell
120. Internistenkongress
1,2,3 5,6,7,8,9,10,11,12,13,14,...24
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