BDI aktuell 01_2016 - page 14

Mehr als neun Millionen Menschen
erkranken jährlich weltweit neu an
einer Tuberkulose (TB); 1,5 Millio­
nen von ihnen sterben daran. Er­
schwert wird die Therapie dadurch,
dass sich Antibiotika­resistente Er­
reger­Stämme ausbreiten.
Das Klinische Tuberkulosezent­
rum des Deutschen Zentrums für
Infektionsforschung (DZIF) am
Forschungszentrum Borstel gehört
weltweit zu den führenden medizi­
nischen Einrichtungen für die
Grundlagenforschung und die klini­
sche Anwendung von Tuberkulosta­
tika. Vor allem ist man auch auf die
Behandlung multiresistenter Tuber­
kulosen (MDR­TB) spezialisiert.
„Wir setzen zunehmend auf maßge­
schneiderte Behandlungskonzepte,
bei denen die Antibiotika individu­
ell zusammengestellt werden“, er­
klärt Professor Christoph Lange,
Ärztlicher Leiter der Klinischen In­
fektiologie in Borstel in einer Mit­
teilung des Zentrums.
Den aktuellen Stand der Tuber­
kulosetherapie haben die Forscher
nun im „New England Journal of
Medicine“ publiziert (NEJM 2015;
372: 2149). In einer interaktiven
Grafik können Ärzte weltweit für
unterschiedliche Behandlungssitua­
tionen eine geeignete Therapie fin­
den. Daneben bietet ein Ärzte­
Team um Lange einen klinischen
Beratungsservice für Fragen zu TB
und Erkrankungen durch nicht­
tuberkulöse Mykobakterien an. Für
die Beratung von Ärzten zur Thera­
pie von Patienten mit multiresisten­
ter TB haben sie mit Mitteln des
DZIF ein nationales TB­Online­
Consilium aufgebaut.
(eb/eis)
Beratungsservice zu TB und anderen
Infektionen durch Mykobakterien unter
Tel.: 04537 / 188 2110. Nationales
TB­Online­Consilium unter
Consilium für
die Therapie der
Tuberkulose
Das Forschungszentrum
Borstel berät Ärzte zur
Therapie von Patienten
mit multiresistenter TB.
ONLINE
Die deutsche Version der Leitlinie
des European Resuscitation Coun­
cil (ERC) 2015 ist in der Zeitschrift
„Notfall + Rettungsmedizin“ sowie
im Internet auf
ver­
öffentlicht. In der neuen Leitlinie
werden Strategien zu mehr ausge­
bildeten Ersthelfern, für intelligente
Alarmierungssysteme und für eine
deutliche Zunahme der Reanimati­
onen durch Laien angeregt. The­
men sind unter anderem
Basismaßnahmen und erweiterte
Maßnahmen zur Wiederbelebung
Erwachsener und Kinder,
Kreislaufstillstand unter beson­
derern Umständen,
Initiales Management des akuten
Koronarsyndroms,
Ausbildung und Implementie­
rung der Reanimation.
(eb)
Ausgaben der „Notfall + Rettungsme­
dizin“ können bestellt werden über
Reanimation:
ERC­Leitlinien
aktualisiert
NOTFALLMEDIZIN
Ein 24­jähriger männlicher Patient
stellte sich in unserer Notaufnahme
vor. Er berichtete über einen seit vier
Tagen bestehenden generalisierten
Hautausschlag (siehe Abbildung). An
welcher Stelle der Ausschlag begonnen
habe, könne er nicht mehr sagen. Be­
reits seit sechs Tagen leide er unter
Appetitlosigkeit, habe Übelkeit und
Schüttelfrost. Zusätzlich habe er seit
zwei Tagen Durchfälle. Seit heute
klagte er außerdem über Halsschmer­
zen, Husten und Gliederschmerzen.
Brennen beim Wasserlassen wurde
verneint.
Der Patient war Nichtraucher, lebte
noch bei seinen Eltern und befand
sich in einer kaufmännischen Ausbil­
dung. Enge Kontaktpersonen wiesen
keine ähnlichen Symptome auf. Eine
feste Partnerschaft, Promiskuität,
homosexuelle Kontakte und ein Kon­
sum illegaler Drogen verneinte der Pa­
tient.
Befunde
Bei der körperlichen Untersuchung in
der zentralen Notaufnahme zeigten
sich ein generalisiertes, morbilliformes,
makulopapulöses Exanthem sowie ein
Enanthem am weichen Gaumen.
Lymphknoten an Kopf/Hals, axillär
und inguinal waren nicht vergrößert
palpabel. Periphere Ödeme fanden
sich nicht. Die Auskultation von Herz
und Lunge war unauffällig. Im Auf­
nahmelabor fanden sich ein erhöhtes
Creatinin von 124 mol/l (
,
103
mol/l), eine verminderte GFR von
69 ml/min (80–140 ml/min), eine er­
höhte GOT von 148 U/l (
,
40 U/l), ei­
ne erhöhte GPT von 46 U/l (
,
41 U/l),
eine Leukopenie von 4,4 G/l (4,5–11,0
G/l) und eine Thrombopenie von 96
G/l (150–400 G/l). In der Lymphkno­
tensonographie fielen axillär und in­
guinal beidseits kokardenförmig ver­
größerte Lymphknoten auf. In der Ab­
domensonographie fand sich eine
leicht vergrößerte Milz mit 12 cm im
Längsdurchmesser. Die Röntgenun­
tersuchung des Thorax war unauffäl­
lig.
Der Patient wurde unter der Ar­
beitsdiagnose „Virusexanthem“ zur
weiteren Durchuntersuchung stationär
aufgenommen.
Zum Ausschluss einer HI­Virus­In­
fektion führten wir während eines sta­
tionären Aufenthalts einen HIV­1/2­
Antikörper­/p24­Antigen­Suchtest
(Elecsys
®
HIV combi PT) durch. Auf­
grund eines reaktiven Befundes erfolg­
te am Folgetag eine Testwiederholung
mit einer erneuten Blutprobe. Bei wie­
derholter Reaktivität erfolgte zur Absi­
cherung der Diagnose die Durchfüh­
rung eines Line­Immunoassays (IN­
NO­LIATM HIV I/II Score). Dieser
fiel negativ aus. Auf Grundlage des kli­
nischen Bildes und des reaktiven
HIV­Suchtests führten wir unter der
Verdachtsdiagnose eines akuten retro­
viralen Syndroms eine HIV­RNA­
PCR („polymerase­chain­reaction“)
durch, die mit
.
800000 Kopien hoch
positiv ausfiel und somit die Ver­
dachtsdiagnose bestätigte.
Im ergänzenden Labor waren die
CD4­Zellen normwertig mit 744 Zel­
len pro l. Der CD4/8­Quotient be­
trug 1,82. Als Begleitinfektion fand
sich eine akute Zytomegalievirus
(CMV)­Infektion. Die Verdachtsdiag­
nose akutes retrovirales Syndrom wur­
de somit bestätigt.
Therapie und Verlauf
Eine antiretrovirale Therapie mit Efa­
virenz und Lamivudine/Zidovudine
wurde zeitnah eingeleitet. Bereits 92
Tage nach Therapiebeginn fiel die
Viruslast unter die Nachweisgrenze.
Der Infektionsweg blieb aufgrund
mangelnder Mitarbeit des Patienten
unklar.
Diskussion
HIV Typ I, erstmalig 1983 von Fran­
çoise Barré­Sinoussi und Luc Montag­
nier beschrieben, ist auch heute noch
mit 2954 Erstdiagnosen (2012) in
Deutschland ein hochaktuelles The­
ma.
Untersuchungen an Patienten mit
früher HIV­1­Infektion haben gezeigt,
dass die Zeit bis zur HIV­Serokonver­
sion in verschiedene Phasen eingeteilt
werden kann. Fiebig und Kollegen de­
finierten sechs Phasen auf der Grund­
lage der zeitlichen Aufeinanderfolge,
wann welches HIV­Nachweisverfahren
anspricht. Hierbei entspricht die Ec­
lipse der Zeit, in der eine HIV­Infekti­
on nicht nachgewiesen werden kann.
In Phase I kann HIV­RNA mittels
PCR nachgewiesen werden. In Phase
II besteht zusätzlich die Möglichkeit,
das p24­Antigen mittels ELISA nach­
zuweisen. In Phase III werden Anti­
körpersuchtests (ELISA) ebenfalls po­
sitiv. Das Auftreten der Antikörper er­
schwert hierbei die p24­Detektion. Ab
Phase IV wird der Western­Blot indif­
ferent, ab Phase V positiv. In Phase VI
ist der Western­Blot vollständig ausge­
bildet, p31 ist nun ebenfalls nachweis­
bar.
Auf Basis dieser Chronologie wird
heute zur Testung zunächst die
Durchführung sogenannter Viertgene­
rationssuchtests empfohlen. Diese
Testsysteme sind in der Lage, neben
den HIV­1­ und ­2­Antikörpern auch
das bereits früher nachweisbare p24­
Antigen nachzuweisen. Hierdurch ist
es möglich, die „diagnostische Lücke“
um sieben bis elf Tage zu verkürzen.
Da diese Testsysteme hochsensitiv
sind, ist es notwendig, bei reaktivem
Ausfall das Ergebnis durch hochspezi­
fische Testsysteme, zum Beispiel dem
Western­Blot oder dem Line­Immu­
noassay, zu bestätigen.
Herausforderung in der Diagnostik
Im Rahmen dieser Diagnostik stellt
das akute retrovirale Syndrom eine be­
sondere Herausforderung dar. Unter
diesem versteht man die symptomati­
sche Phase der HIV­Erstinfektion, die
allerdings nur bei einigen Infizierten
auftritt und selten länger als vier Wo­
chen andauert. Die Symptome sind
eher unspezifisch und variabel. Leit­
symptome sind Fieber, Lymphknoten­
schwellung, makulopapulöses Exan­
them und Myalgien. Spezifische Anti­
körper sind noch nicht nachweisbar,
da die spezifische Immunantwort ver­
zögert einsetzt und spezifische Anti­
körper erst im Verlauf produziert wer­
den. Somit fallen oben genannte Test­
systeme in Hinblick auf den Antikör­
pernachweis negativ aus, obwohl eine
Infektion mit dem HI­Virus vorliegt.
Hinzu kommt, dass zu diesem Zeit­
punkt die Viruslast im Blut und in Ge­
nitalsekreten höher ist als im weiteren
Verlauf. Dadurch bedingt ist die Infek­
tiosität während dieser Phase beson­
ders hoch. Erst im weiteren Verlauf
nimmt sie durch das Einsetzen der
spezifischen Immunantwort wieder ab.
Aus diesem Grund gehen einige Auto­
ren davon aus, dass ein Großteil der
sexuellen Transmissionen durch Pati­
enten, die sich in dieser Frühphase der
Erkrankung befinden, verursacht wer­
den.
Daher sollte bei Patienten mit
unspezifischen Zeichen einer akuten
Virusinfektion zumindest an die Mög­
lichkeit einer akuten HI­Virus­Infekti­
on gedacht und eine entsprechende
Anamnese zur Risikoabschätzung
durchgeführt werden. Sollte es Hin­
weise für das Vorliegen eines akuten
retroviralen Syndroms geben, ist die
Durchführung einer HIV­PCR sinn­
voll, um die Diagnose zu sichern, den
frühzeitigen Beginn einer antiretrovira­
len Therapie zu diskutieren und letzt­
endlich die Transmissionsraten effektiv
zu senken.
Der Nutzen eines frühzeitigen
Beginns der antiretroviralen Therapie
während der akuten HIV­Infektion
wird derzeit kontrovers diskutiert. Als
Nachteile werden unter anderem
Medikamententoxizität und Resistenz­
entwicklung aufgeführt. Aus unserer
Sicht ist der frühe Beginn jedoch
durchaus sinnvoll – zum einen um die
Viruslast und damit den viralen
Setpoint zu senken und zum anderen
zur Verringerung des Transmissions­
risikos während der Phase höchster In­
fektiosität.
Auch die Frage nach der Dauer der
antiretroviralen Therapie beziehungs­
weise nach Therapieunterbrechungen
wird kontrovers diskutiert. Therapie­
pausen sind nach den Ergebnissen der
SMART­Studie als obsolet anzusehen.
Sollte jedoch ein dringlicher Patien­
tenwunsch nach einer Therapiepause
bestehen, so ist es besser, eine kontrol­
lierte Pause durchzuführen und gege­
benenfalls frühzeitig wieder mit einer
antiretroviralen Therapie zu beginnen.
Dieser Beitrag von Dr. René Stranzenbach
und Professor Rudolf Stadler vom
Johannes Wesling Klinikum Minden wurde
bereits in der Zeitschrift Der Hautarzt
2015; 66: 282­284 veröffentlicht.
Zu Beginn eines akuten
retroviralen Syndroms hat
die spezifische Antikörper­
antwort noch nicht einge­
setzt, sodass auf Antikörper
basierende HIV­Suchtests
negativ ausfallen. Das ist
problematisch, da in dieser
Phase die Viruslast massiv
höher ist als im weiteren
Verlauf. Damit ist auch die
Infektiosität des Patienten
um ein Vielfaches erhöht.
Akutes retrovirales Syndrom:
Diagnostische Lücke verkürzen!
Von Dr. René Stranzenbach und
Professor Rudolf Stadler
Generalisiertes, morbilliformes, makulopapulöses Exanthem.
© SPRINGER VERLAG GMBH
Fazit für die Praxis
Bei Patienten
mit Zeichen eines
unklaren viralen Infektes (Fieber,
Lymphknotenschwellung, maku­
lopapulöses Exanthem, Myal­
gien) und positiver Risikoanam­
nese sollte im Rahmen der diffe­
renzialdiagnostischen Überle­
gungen an die Möglichkeit einer
akuten HIV­Infektion gedacht
werden.
Bei unklarer Konstellation
sollte die Durchführung einer
HIV­RNA­PCR zur frühzeitigen
Diagnosesicherung erfolgen.
Der frühzeitige Beginn
einer
antiretroviralen Therapie ist
anzustreben.
14
Januar 2016
BDI aktuell
Medizin
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