BDI aktuell 01_2016 - page 15

Mit dem selektiven Vasopressin
2
­Re­
zeptor­Antagonisten Tolvaptan wurde
jetzt erstmals beim erwachsenen
ADPKD­Patienten mit chronischer
Nierenerkrankung im Stadium 1–3 zu
Behandlungsbeginn mit Anzeichen für
rasch fortschreitende Erkrankung ein
nierenspezifisches Medikament zuge­
lassen, das die Progression der Zysten­
entwicklung und Niereninsuffizienz
verlangsamen kann.
2
Klinisch ist die
ADPKD durch die Entwicklung von
flüssigkeitsgefüllten Zysten in den
Nieren charakterisiert, die zur fort­
schreitenden Nierenschädigung führt
und oftmals im Alter von etwa 50 bis
60 Jahren in ein terminales, dialyse­
pflichtiges Nierenversagen sowie spä­
tere Nierentransplantation mündet.
Die ADPKD gehört zu den häufigsten
erblich verursachten Erkrankungen:
Mehrheitlich durch eine Mutation im
PKD1­ oder PKD2­Gen bedingt, wird
zyklisches Adenosinmonophosphat
(cAMP) hochreguliert
3
, was die Ent­
stehung und Vergrößerung von
Nierenzysten begünstigt.
3, 4
Zusätzlich
wirkt Vasopressin als Hauptstimulus
der cAMP­Produktion.
5,6
Die ADPKD
befällt häufig auch Organe wie Leber,
Gehirn oder Gefäßsystem.
Seit Mai 2015 ist Tolvaptan
(Jinarc
®
) bei ADPKD in Europa zuge­
lassen. Der selektive Vasopressin
2
­Re­
zeptor­Antagonist blockiert die Bin­
dung von Arginin­Vasopressin (AVP)
an die V
2
­Rezeptoren der distalen Be­
reiche des Nephrons spezifisch und
verfügt über eine um 1,8­fach höhere
Affinität für den humanen V
2
­Rezep­
tor als natives AVP.
2
Die Zulassung
basierte auf den Ergebnissen der
dreijährigen Phase­III­Studie TEMPO
3/4, die mit 1445 ADPKD­Patienten
im Alter von 18–50 Jahren durchge­
führt wurde.
7
Die Patienten wurden
randomisiert entweder mit Tolvaptan
(n=961) oder Placebo (n=484) be­
handelt. Primärer Endpunkt der Stu­
die war die jährliche Veränderung des
Gesamtnierenvolumens (TKV). Wich­
tigster sekundärer Endpunkt war ein
kombinierter Endpunkt zur klinischen
Progression, der sich aus der 25­pro­
zentigen Reduktion des reziproken
Serum­Kreatinin­Werts, der Entwick­
lung und der Verschlechterung einer
Hypertonie, Nierenschmerzen oder
Albuminurie zusammensetzte.
Unter Tolvaptan war die jährliche
Zunahme des TKV im Vergleich zu
Placebo signifikant geringer (2,8 vs.
5,5 Prozent, p<0,001). Mit Tolvaptan
wurde vs. Placebo über die gesamte
Studiendauer eine relative Reduktion
des Nierenvolumenwachstums um
49 Prozent (p 0,0001) erreicht. Die
Wahrscheinlichkeit für eine Verschlech­
terung der Nierenfunktion sank unter
Tolvaptan um 61 Prozent, die für das
Auftreten von Nierenschmerzen um
36 Prozent (Abb. 1). In Bezug auf die
Albuminurie oder Hypertonie ergaben
sich keine Unterschiede. Die Häufig­
keit therapiebedingter unerwünschter
Begleiterscheinungen war vergleichbar
(96,9 vs. 97,1 Prozent).
Hinsichtlich der reduzierten klini­
schen Progression ergab sich für Tol­
vaptan vs. Placebo eine deutliche Über­
legenheit: Es kam signifikant seltener
zu ADPKD­bezogenen Ereignissen pro
100 Patientenjahre (Pj) (44/100 Pj vs.
50/100 Pj; HR=0,87; p=0,01) und
einer Verschlechterung der Nieren­
funktion (2/100 Pj vs. 5/100 Pj;
p 0,001). Therapiepflichtige Nieren­
schmerzen traten unter Tolvaptan vs.
Placebo ebenfalls seltener auf (5/100 Pj
vs. 7/100 Pj; p=0,007). Eine erste
Zwischenauswertung der über weitere
drei Jahre laufenden Extensionsstudie
TEMPO 4/4 bestätigt die Effektivität
von Tolvaptan auch langfristig.
8
Erste nierenspezifische Therapie
Die autosomal-dominante
polyzystische Nierenerkran-
kung (ADPKD) stellt die
vierthäufigste Ursache einer
terminalen Niereninsuffizienz
dar.
1
Bislang war keine
Therapie verfügbar, die eine
Verschiebung der Dialyse-
pflicht ermöglichte.
Studien-Visite (Monate)
0,20
0,15
0,10
0,05
0
0,25
0,20
0,15
0,10
0,05
0
Baseline 4
8 12 16 20 24 28 32 36
-61%
-36%
Kumulatives
Ereignisrisiko
Kumulatives
Ereignisrisiko
Nierenfunktionsverlust
Nierenschmerzen
Quelle: Torres VE et al., N Engl J Med 2012, 367: 2407–2418
Tolvaptan
Placebo
HR=0,39 (95% KI: 0,26–0,57)
p<0,0001
HR=0,64 (95% KI: 0,47–0,89)
p=0,007
Grafik: Springer-Verlag
Abb. 1: Nierenfunktionsverlust und ­schmerzen signifikant reduziert
LITERATUR
:
(1)
Grantham JJ et al., N Engl J Med 2006, 354: 2122­2130;
(2)
Fachinformation Jinarc
®
; Stand: Mai 2015;
(3)
Torres VE et al., Lancet 2007, 369: 1287­1301;
(4)
Dell KM, Adv Chronic Kidney Dis 2011, 18: 339­347;
(5)
Grantham JJ et al., Nat Rev Nephrol 2011, 7: 556­566;
(6)
Meijer E et al., Kidney Blood Press Res 2011, 34: 235­244;
(7)
Torres VE et al., N Engl J Med 2012, 367: 2407­2418;
(8)
Torres VE et al., Nephrol Dial Transplant 2014, 29 (suppl 3): iii5–iii6. Abstract SO016
IMPRESSUM
:
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, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg, Verantwortlich: Ulrike Hafner
Bericht: Dr. Yuri Sankawa, Stuttgart › Redaktion: Dr. Monika Prinoth
Mit freundlicher Unterstützung der
Otsuka Pharma GmbH
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Die Herausgeber der Zeitung übernehmen keine Verantwortung für diese Rubrik.
Sonderbericht
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Medizin
BDI aktuell
Januar 2016
15
Die klassische Meningitis­Symptom­
konstellation kann besonders bei Kin­
dern und Jugendlichen fehlen. Darauf
haben Pädiater um Dr. Urban Johans­
son Kostenniemi von der Umeå­Uni­
versität in Schweden hingewiesen.
Um Symptome bei Krankheitsbe­
ginn zu eruieren, haben sie Daten von
unter 18­Jährigen aus einem Register
des Landes der Jahre 1986 bis 2013
analysiert. Angaben von insgesamt 103
Heranwachsenden mit akuter bakteri­
eller Meningitis – 52 Jungen und 51
Mädchen – lagen vor. 77 Kinder wa­
ren jünger als fünf Jahre (Acta Paedia­
trica 2015; online 30. September). Die
meisten hatten sich mit Haemophilus
influenzae angesteckt, nämlich fast 41
Prozent, etwa 30 Prozent mit Pneu­
mokokken und knapp 10 Prozent mit
Meningokokken. Die meisten Daten
stammen dabei aus der Ära vor den
konjugierten Impfstoffen: Denn der
größte Teil dieser Infektionen lässt
sich inzwischen durch Impfungen ge­
gen Pneumokokken, H. influenzae b
(Hib) und Meningokokken vermeiden.
Andere Erreger als Auslöser der
Meningitis waren unter anderem B­
Streptokokken, Fusobacterium necro­
phorum und Streptococcus oralis. Die
jeweiligen Infektionsraten unterschie­
den sich jedoch je nach Alter. So wa­
ren zum Beispiel H.­influenzae­Infek­
tionen bei Patienten zwischen einem
und vier Jahren häufiger (52 versus 11
Prozent) als in der älteren Vergleichs­
gruppe, ebenso Infektionen mit Me­
ningokokken (29 versus 3 Prozent).
Ältere Patienten fühlten sich der retro­
spektiven Studie zufolge eher unwohl
als jüngere und hatten zudem diffuse­
re Symptome bei der Erstaufnahme.
Die Leukozytenwerte waren bei
den kleinen Kindern signifikant nied­
riger als bei den älteren, die Zahl der
positiven Liquorkulturen dagegen hö­
her. Bei Kindern im Alter zwischen
fünf und 17 Jahren war die Wahr­
scheinlichkeit für Kopfschmerzen,
Lichtempfindlichkeit, Vertigo und ge­
steigerte Schmerzempfindlichkeit so­
wie für Petechien bei der Erstaufnah­
me deutlich größer als bei den kleinen
Kindern.
Darüber hinaus war bei Jungen die
Wahrscheinlichkeit für eine gestörte
Blut­Hirn­Schranke größer als bei
Mädchen, was anhand der erhöhten
Proteinspiegel im Liquor geschlossen
wurde. Als häufigstes Zeichen für
einen erhöhten intrakraniellen Druck
hatten Jungen eher Kopfschmerzen als
Mädchen. Schließlich erfüllten Mäd­
chen besser die SIRS­Kriterien (syste­
mic inflammatory response syndro­
me), als Zeichen für eine Sepsis, wenn
die überschießende Entzündungsreak­
tion durch eine Infektion ausgelöst
wird.
Die Forscher um Kostenniemi er­
innern daran, dass die häufigste Sym­
ptomkombination Fieber, Bewusst­
seinsstörung und Nackensteifigkeit ist.
35 Prozent der Kinder zwischen
einem Monat und vier Jahren hatten
alle drei Zeichen, 32 Prozent der Kin­
der in der älteren Vergleichsgruppe.
74 und 75 Prozent hätten mindestens
zwei der drei Symptome gehabt.
Durch Hinzunahme eines vierten
Symptoms, nämlich Krampfanfälle,
liege die Sensitivität bei 78 und 75
Prozent und durch Hinzunahme eines
weiteren Symptoms, nämlich Kopf­
schmerzen, bei 78 und 89 Prozent.
Für die schwedischen Pädiater
bleibt die Diagnose akute bakterielle
Meningitis eine Herausforderung, da
es bisher keine Empfehlungen gebe,
mit deren Hilfe sich die Infektions­
krankheit hundertprozentig ausschlie­
ßen oder bestätigen lasse.
Die Symptome einer
bakteriellen Meningitis
bei Kindern und Jugend­
lichen sind offenbar
geschlechtsspezifisch:
Jungen haben eher
Kopfschmerzen, Mädchen
eher Krampfanfälle.
Meningitis: Symptome hängen
von Alter und Geschlecht ab
Von Peter Leiner
Meningokokken: Die Keime sind heute bei uns die häufigste Ursache bakterieller
Meningitiden.
© SCHREITER / SPRINGER VERLAG
Es gibt bisher keine
Empfehlung, mit
der sich eine
bakterielle Meningi­
tis hundertprozentig
ausschließen oder
bestätigen lässt.
Dr. Urban Johansson Kostenniemi
und Kollegen, Universität Umeå
1...,5,6,7,8,9,10,11,12,13,14 16,17,18,19,20,21,22,23,24
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