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119. Deutscher Ärztetag
BDI aktuell
Juni 2016
7
Ärztetag zeigt klare Kante
© DOMINIK REIPKA (4 FOTOS); BDI (FOTO DR. SPIES)
Neuer Verhandlungsführer bei der GOÄ­Reform: Dr. Klaus Reinhardt.
Abstimmung auf dem Deutschen Ärztetag 2016 in Hamburg.
Schon einmal hat Dr. Thomas Drabins­
ki, Leiter des Kieler Instituts für Mikro­
daten Analyse (IfMDA) ein GOÄ­Gut­
achten erstellt. Damals ging es darum,
wie die GOÄ­Reform der Bürgerversi­
cherung die Türen öffnet (vgl. Ausgabe
2/2016; S. 3). Nun stellt er die Frage, ob
die Ausgabenbegrenzung der GOÄneu
nicht doch noch Reglements aus dem
EBM in der PKV einführt. Wir drucken
das Gutachten in Auszügen ab:
Die Problemstellung
In der Diskussion um die GOÄneu
konnte auf dem Ärztetag ein Sachver­
halt nicht aufgeklärt werden: Handelt
es sich bei der GOÄneu­Ausgabenbe­
grenzung von 5,8 Prozent (summiert
über drei Abrechnungsjahre) um ein
Budget? Ermittelt werden soll der Pro­
zentbetrag über ein sog. GOÄneu­
Monitoring. Das Monitoring soll zent­
raler Bestandteil der von BÄK, PKV
und BMG neu geschaffenen staatlichen
Datenstelle sein, mit dem die Arbeiten
der Gemeinsamen Kommission (Ge­
Ko) unterstützt werden sollen.
Wie sieht die Datenlage aus?
Im Jahr 2014 wurden ambulant und
stationär über die GOÄalt rund 18,355
Mrd. Euro abgerechnet (Quelle: Eigene
Schätzungen auf Grundlage Statisti­
sches Bundesamt, Fachserie 12, Reihe
7.1.1, 2014). Eine 5,8­prozentige Stei­
gerung wären 1,065 Mrd. Euro. Wird
dieser Betrag auf drei Jahre verteilt, er­
gibt sich ein Betrag von 0,355 Mrd.
Euro pro Jahr. Sind, wie auf dem Ärz­
tetag diskutiert, jährliche zusätzliche
Wachstumsraten von 0,6 Prozent zuläs­
sig, so ergibt sich ein jährlicher, nicht­
sanktionierter Steigerungsbetrag von
0,465 Mrd. Euro. Diese 0,465 Mrd.
Euro würden bei der Einführung der
GOÄneu den abrechnenden Praxen
und Kliniken zusätzlich zugestanden
(Hier als Simulation berechnet, so als
wäre die GOÄneu hypothetisch mit der
diskutierten 5,8 Prozent Steigerung
zum Jahr 2015 eingeführt worden).
Werden die Beträge 0,465 Mrd.
Euro und 18,355 Mrd. Euro addiert,
so erhält man den Betrag von 18,820
Mrd. Euro als zulässigen Betrag für
das Jahr 2015. Für 2016 ergäben sich
dann 19,285 Mrd. Euro und für 2017
ein hypothetischer Betrag von 19,750
Mrd. Euro. Nach Ablauf der drei Jah­
re soll, nach Mitteilung auf dem Ärz­
tetag, wie in der Schweiz „open sky“
gelten, also keine 5,8­prozentige Stei­
gerung mehr. Dies wäre der Fall,
wenn das BMG nach Ablauf der drei
Jahre keine Fortführung der Begren­
zung umsetzen würde.
Budget oder kein Budget?
Ein Budget ist dabei definiert als jähr­
licher Euro­Betrag, der für die Erbrin­
gung aller ärztlichen Leistungen fest­
gelegt wird. Überschreiten die tatsäch­
lichen Ausgaben eines Jahres das vor­
gegebene Jahres­Budget, werden fi­
nanzielle Sanktionen für die Leis­
tungsanbieter ausgelöst. Aus dem
EBM sind für solche Fälle Sanktionen
wie „Abstaffelungen“ und „Quoten“
bekannt. Ein über die 5,8­prozentige
Steigerung definierter Mrd. Euro­Be­
trag ist daher mit einem Budget
gleichzusetzen, da dieser Betrag über
den Euro­Wert des Vorjahres errech­
net wird und methodisch damit ni­
veau­ und pfadabhängig ist. Dadurch
stellt das GOÄ­Monitoring einen Pa­
radigmenwechsel in der GOÄ dar, mit
dem echte Budgets eingeführt werden.
Unklar ist, wie eine mögliche Sank­
tionierung bei Überschreitung der Pro­
zentschwelle auf die einzelnen „Verur­
sacher“, d.h. Arztgruppen herunterge­
brochen wird. „Verursachergerecht“
wäre eine arztgruppenbezogene Sankti­
onierung, d.h. die Ermittlung von Pro­
zentschwellen je Arztgruppen. Damit
einher würden Budgets je Arztgruppe
gehen. Vorteile gibt es somit eher für
die Kostenträger, da die Ärzte gesund­
heitspolitischen Kontrollmechanismen
wie im EBM ausgesetzt würden.
Weitere Infos unter
Die Debatten auf dem Ärz­
tetag haben nicht eindeutig
klären können, wie die
künftige Ausgabenobergren­
ze in der GOÄ zu bewerten
ist. Das Institut für Mikro­
daten Analyse (IfMDA) ver­
sucht sich an einer Antwort.
Was unterscheidet
das GOÄ­Monitoring
von einem Budget?
Weitere wichtige Beschlüsse des
119. Deutschen Ärztetages in
Hamburg:
Schutz des freien Arztberufes
Der Gesetzgeber hat in der Bun­
desärzteordnung festgelegt, dass
der ärztliche Beruf „seiner Natur
nach ein freier Beruf“ ist. Darin
verankert ist auch die Verpflich­
tung zur Übernahme der persön­
lichen Verantwortung für das
Wohl des Patienten. Gewinnma­
ximierung darf daher niemals
Vorrang haben vor ärztlich wohl
begründeten Entscheidungen.
GKV und PKV: Dualität erhalten
Das duale Versicherungssystem
mit den beiden Säulen Gesetzli­
che (GKV) und Private Kran­
kenversicherung (PKV) sichert
die große Leistungsfähigkeit des
deutschen Gesundheitswesens.
Diese Leistungsfähigkeit darf
nicht durch die Einführung eines
staatlich erzwungenen Einheits­
systems gefährdet werden.
Keine Substitution
Die persönliche Leistungserbrin­
gung ist eines der wesentlichen
Merkmale freiberuflicher Tätig­
keit. Dennoch kann der Arzt
Leistungen in Teilen auch an
nichtärztliche Mitarbeiter dele­
gieren. Der 119. Deutsche Ärzte­
tag lehnt die Substitution ärztli­
cher Tätigkeit, insbesondere für
Indikationsstellung, Diagnostik
und Therapie, jedoch strikt ab.
Nicht an Schweigepflicht rütteln
Seit dem Absturz des German­
wing­Fluges Nr. 4U9525 wird
von verschiedenen Stellen die
Aufweichung der ärztlichen
Schweigepflicht gefordert. Der
Ärztetag bekräftigt die Forderun­
gen der Ärzteschaft, im Interesse
des besonderen Vertrauensver­
hältnisses zwischen Patient und
Arzt den Schutz des Patientenge­
heimnisses unverändert zu belas­
sen. Denn bereits nach geltender
Rechtslage sind Ärzte dazu ver­
pflichtet, geplante Straftaten ge­
gen das Leben Dritter den zu­
ständigen Behörden anzuzeigen.
Arznei­Preisbremse gefordert
Der Gesetzgeber soll beim AM­
NOG­Verfahren nachbessern. In
einem Entschließungsantrag
sprachen sich die Delegierten
dafür aus, die freie Preisbildung
durch den Hersteller im ersten
Jahr nach der Zulassung „abzu­
schaffen“. Stattdessen solle sich
der Preis am patientenrelevanten
Nutzen orientieren. Bislang gilt
erst nach dem 13. Monat nach
der Zulassung ein Erstattungs­
preis. Dieser wird auf Basis der
Ergebnisse der frühen Nutzenbe­
wertung zwischen Hersteller und
GKV­Spitzenverband ausgehan­
delt.
Lieferengpässe vermeiden
Eine große Mehrheit gab es für
einen Antrag, der den Gesetzge­
ber auffordert, zusammen mit der
Ärzteschaft eine Medikamenten­
liste zu erstellen. Die dort aufge­
führten Präparate sollten die
Hersteller „jederzeit“ ausrei­
chend zur Verfügung stellen. Da­
mit soll Lieferengpässen bei Arz­
neimitteln vorgebeugt werden.
Ärztetags­Beschlüsse
Neben der GOÄ­Baustelle beschäftigt
die Gremien der Bundesärztekammer
ein weiteres Großprojekt: die grundle­
gende Überarbeitung der Musterwei­
terbildungsordnung (MWBO). Seit
2010 wird daran gewerkelt, in den
nächsten Monaten soll das Großpro­
jekt nun aber in die entscheidende
Phase kommen. Ein Novum dabei ist,
dass die Inhalte dieser Reform so in­
tensiv auch mit den Landesärztekam­
mern abgestimmt werden sollen, dass
2017 eine neue MWBO beschlossen
wird, die möglichst ohne regionale
Differenzierungen zeitnah in rechts­
gültige Weiterbildungsordnungen der
Kammern überführt wird. Damit sol­
len regionale Unterschiede weitgehend
vermieden werden.
Dabei soll die Bundesärztekammer
nach einem Beschluss des 119. Ärzte­
tages die geplanten vorgegebenen star­
ren Weiterbildungszeiten zugunsten
der Feststellung von Kompetenzen
überprüfen. Das soll etwa auch Wei­
terbildungsassistenten, die in Teilzeit
arbeiten, zugutekommen. Zudem sol­
len theoretische Weiterbildungsmög­
lichkeiten immer nur als Ergänzung
dienen, die praktische Weiterbildung
am Patienten aber nicht ersetzen. Und
die Reform soll den wachsenden An­
teil der ambulanten Medizin in der
Weiterbildung berücksichtigen.
Mit Blick auf den von der Koalition
geplanten „Masterplan Medizinstudi­
um 2020“ fordert der Ärztetag die
Bundesländer außerdem dazu auf,
mindestens 1000 weitere Studienplät­
ze in der Humanmedizin zu schaffen.
Der Aufbau der Kapazitäten müsse
von einer Aufstockung der Lehrmittel
flankiert werden, heißt es.
Der Deutsche Ärztetag tritt dabei
zwar für eine Stärkung des Fachs All­
gemeinmedizin im Studium ein, lehnt
eine Landarztquote und einen Pflicht­
abschnitt Allgemeinmedizin im PJ
aber ab. In mehreren Entschließungen
haben sich die Delegierten am 25. Mai
indes für die flächendeckende Einrich­
tung von Lehrstühlen für Allgemein­
medizin ausgesprochen.
(reh/HL/fst)
Die starren Weiterbildungs­
zeiten sollen nach dem
Wunsch des Ärztetages der
Vergangenheit angehören.
Weiterbildung soll flexibler werden
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