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Medizin
BDI aktuell
Juni 2016
15
Wir berichten von einer 39­jährigen,
asylsuchenden syrischen Patientin, die
uns zur Abklärung pulmonaler und
kutaner Veränderungen im März 2014
eingewiesen wurde. 3,5 Jahre vorher
erlitt sie nach einer fraglichen Giftgas­
exposition in Homs eine langsam zu­
nehmende Dyspnoe. Zusätzlich waren
Hautveränderungen sichtbar, welche
sich mit entzündlichen, plattenartigen
zum Teil akneiformen Veränderungen
manifestierten. Die primäre Vorstel­
lung erfolgte in der Dermatologie und
anschließend in der Pneumologie we­
gen zunehmender respiratorischer In­
suffizienz bei ausgeprägten zystischen
Veränderungen in beiden Lungen. Die
Patientin ist Nieraucherin und Mutter
von drei gesunden Kindern. In Syrien
wurde die Patientin bereits wegen
eines Pneumothorax operiert. Anfang
2014 kam sie nach Deutschland. Die
Familienanamnese im Hinblick auf
pulmonale und dermatologische Er­
krankungen ist leer.
Klinischer Befund
Die Patientin befand sich in einem re­
duzierten Allgemeinzustand und un­
auffälligen Ernährungszustand. Sie
war tachypnoisch. Am Kopf waren
scharf begrenzte plattenartig indurier­
te entzündliche Hautveränderungen
zu erkennen (siehe Abbildung). Inner­
halb dieser bis zu 10 cm durchmessen­
den Plaques manifestierten sich neben
Pusteln vereinzelt auch eitrige ulzerie­
rende Knoten an der frontalen Halsre­
gion, am Unterbauch und in der Geni­
talregion. Keine Ödeme. Pulmohyper­
sonorer Klopfschall beidseits und aus­
kultatorisch abgeschwächtes Atemge­
räusch, Herztöne rein und rhythmisch,
Bauch weich, kein Druckschmerz. Ori­
entierende neurologische Untersu­
chung unauffällig.
Diagnostik
Routinelabor: Unauffällig, Alpha­
1­Antitrypsin normal.
BGA vom 18.03.2014 unter Raum­
luft: pH 7,47, pO
2
56 mmHg, pCO
2
33 mmHg, Sauerstoffsättigung 91%, –
schwere Hypoxämie.
BGA mit 4 l Sauerstoff/Minute
02.07.2015: pH 7,49, pCO
2
37,0
mmHg, pO
2
70,4 mmHg, Sauerstoff­
sättigung 93,7%.
Bodyplethysmographie: In der Lun­
genfunktion liegt spirometrisch keine
Obstruktion vor. Es zeigt sich eine re­
lative Lungenüberblähung (FEV1 1,15
l (46,1%), VC 1,44 l (45,4%),
FEV1/VC 86,12%, TLC 4,43 l
(95,5%)). Die Diffusionskapazität
(TLCOcSB) ist mit 17,3% stark ein­
geschränkt.
Röntgenthorax: Ausgeprägte fibroti­
sche Veränderungen der Lungenmit­
tel­und ­unterfelder beidseits sowie
der Oberfelder rechts mehr als links.
Weitere bullös emphysematische Ver­
änderungen auch in den übrigen Lun­
genabschnitten. Normale Herzgröße.
Pulmonalissegment prominent.
Schmales u. mittelständiges oberes
Mediastinum (siehe Abbildung).
CT­Thorax: Hochgradiger panlobu­
lärer Emphysemaspekt mit multiplen
bullösen Veränderungen. Kein Pneu­
mothorax oder Pleuraerguss. Kein In­
filtrat erkennbar. Im Knochenfenster
keine metastasenverdächtigen Verän­
derungen. Altersentsprechende ossäre
Strukturen.
Flexible Bronchoskopie: Im Oro­
pharynx und Nasenbereich bds. ent­
zündlich kontaktvulnerable Schleim­
haut. Die Kehlkopfregion unauffällig,
dichter Stimmlippenschluss. Im ge­
samten Bronchialsystem bds. diffuse
leichtgradige Hämorrhagien. Nach
Absaugung freie Sicht in alle Segmen­
te, kein zentraler Tumor sichtbar, kei­
ne Sekretretention.
Bronchoalveoläre Lavage: Lympho­
zyten 13%, Alveolarmakrophagen
60%; Neutrophile 24%, Eosinophile
3%; CD4/CD8 0.97; CD1a­positive
Zellen 4%.
Bakteriologie: Vergrünende Strepto­
kokken.
Tuberkulose: Mikroskopisch und
kulturell negativ.
Hautbiopsie: Entnahme von 2
Hautproben mittels Biopsie vom be­
haarten Kopf sowie vom Mons pubis
in Lokalanästhesie mit primärem
Wundverschluss.
Histologie: In Zusammenschau der
konventionell histologischen und im­
munhistochemischen Befunde handelt
es sich um eine lymphoplasmazellulä­
re, ulzerierende und hier auch mit
Granulozyten versehene Entzündungs­
reaktion der Dermis im Bereich des
Kopfes und des Mons pubis. Keine
Anteile einer epithelialen Neoplasie.
Keine klassische Granulomatose. Kein
Anhalt für Malignität. Die Hautbiop­
sie ergab ein dichtes Infiltrat histiozy­
tärer Zellen, daneben Plasmazellen
und Eosinophile sowie die histiozytä­
ren Zellen exprimieren CD1a und
S100 und Langerin.
Verlauf
Nach Aufnahme der Patientin konnte
in Zusammenschau von klinischen Be­
funden, Bildgebung, Histologie und
Immunhistologie eine Langerhans­
Zell­Histiozytose gesichert werden,
welche sich in der Lunge, an der Haut
und den Knochen manifestierte. An­
fänglich zeigte sich eine schwere noch
nicht sauerstoffpflichtige respiratori­
sche Insuffizienz, die sich aber weiter
verschlechterte und eine Sauerstoff­
therapie notwendig machte.
Zur Behandlung der Langerhans­
Zell­Histiozytose leiteten wir gemein­
sam mit der Evangelischen Lungenkli­
nik Berlin­Buch eine Therapie mit
Prednisolon 60 mg Tag 1–5 und Vin­
blastin (3,7 mg/m
2
) als Bolus aller 3
Wochen ein. Die dermatologischen
Manifestationen zeigen eine deutliche
Besserung, während die pulmonalen
Veränderungen sich erwartungsgemäß
irreversibel zeigen. Bei zunehmender
Sauerstoffpflichtigkeit wird Lungen­
transplantation erwogen. Begleiter­
krankungen oder schwere Nebenwir­
kungen sind nicht zu verzeichnen.
Diskussion
Die Erstbeschreibung der Langer­
hans­Zell­Histiozytose erfolgte 1868
durch Paul Langerhans. Er vermutete
bei Hautveränderungen aufgrund der
dendritischen Gestalt dieser Zellen,
dass es sich um intraepidermale Ner­
venzellen handelt, und interpretiert sie
als das anatomische Substrat der Be­
rührungsempfindung. Die Langer­
hans­Zell­Histiozytose (LCH) ist eine
seltene Erkrankung, bei Erwachsenen
wird ihre Inzidenz auf mindestens
10–15 pro 1000000 pro Jahr ge­
schätzt. Sie tritt am häufigsten bei
Kindern zwischen 1 und 15 Jahren auf
vorwiegend mit einem disseminierten
Befall der inneren Organe und des
ZNS. Bei Erwachsenen ist ein isolier­
ter pulmonaler Befall am häufigsten.
Die Histiozytose X kann man in eine
monosystemische LCH („single sys­
tem disease“) und eine multisystemi­
sche LCH („multisystem disease“)
unterscheiden. Je nach der Anzahl be­
fallener Organe und Einzelorganbetei­
ligung spricht man von einer uniloku­
lären oder von einer multilokuären Er­
krankung. 50 Prozent der Erkrankun­
gen treten bis zum 10. Lebensjahr auf
und 75 Prozent bis zum 30. Lebens­
jahr. Bei unserer Patientin liegt eine
seltene multisystemische LCH mit
pulmonalem Befall, Haut­ und ossärer
Beteiligung bei einer 38­jährigen Pati­
entin vor. Die LCH tritt praktisch nie
bei Nichtrauchern auf, ein Passivrau­
chen liegt bei ihr vor, der Giftgasan­
griff bleibt spekulativ.
Zur Diagnosesicherung ist die Bi­
opsie mit histopathologischer bzw. im­
munhistochemischer Untersuchung
von befallenem Gewebe unerlässlich.
Die definitive Diagnose einer LCH be­
ruht neben Charakteristika in der kon­
ventionellen Lichtmikroskopie auf
dem immunhistochemischen Nach­
weis von CD1a Antigen und/oder
Langerin (CD207) auf der Zellober­
fläche. Da der immunhistochemische
Nachweis von Langerin mit dem elekt­
ronenmikroskopischen Nachweis von
Bierbeck­Granula korreliert, kann auf
die Elektronenmikroskopie verzichtet
werden. Zudem kann eine bronchoal­
veoläre Lavage mit dem Nachweis von
4% CD1­positiven Zellen die Diag­
nose festigen. Wir konnten in unserem
Fall die Diagnose histologisch über
den immunhistochemischen Nachweis
von histiozytären Zellen bestätigen, die
kräftig S100­Protein, CD1a und
Langerin (CD207) exprimieren. Zu­
sätzlich fand sich in der BAL (Bron­
choalveoläre Lavage) ein Nachweis
von 4% CD1a­positiven Zellen.
Der Therapie und die Prognose
hängen von der Einordnung und dem
Ausmaß der Manifestation ab. Eine
ungünstige Prognose besteht im ju­
gendlichen Alter bei ausgedehntem
Organbefall und geht einher mit des­
sen Grad der Dysfunktion. Ein inter­
disziplinärer Therapieansatz sollte er­
folgen. Neben einer lokalen Therapie
sind systemische Therapieansätze not­
wendig mittels Zytostatika wie 2­Chlo­
rodeoxyadenosin allein oder in Kom­
bination mit Cytosinarabinosid sowie
der immunmodulatorischen Substanz
Thalidomid. Eine risikoadaptierte Po­
lychemotherapie über ein Jahr kann
mit Vinblastin oder Etoposid in Kom­
bination mit Prednisolon erfolgen. Bei
Knochenbefall ist auch eine Bispho­
sponattherapie indiziert. Der Nach­
weis einer Mutation der „mitogen­ac­
tivated protein kinase“ (MAPK) er­
laubt eine Target­Therapie mit BRAF­
oder MAP2K1­Inhibitoren.
Aufgrund des Allgemeinzustandes
der Patientin und des Risikos der The­
rapietoxizität haben wir uns für eine
Behandlung mit Vinblastin und Pred­
nisolon mit bisher gutem Erfolg im
Hautbereich entschieden. Eine Besse­
rung der Lungenbeteiligung war und
wird unter der Therapie nicht zu er­
warten sein und eine Lungentrans­
plantation wird erwogen. Die pulmo­
nale Situation beeinflusst die Prognose
und wird entscheidend für den Verlauf
der Erkrankung. Da eine stabile klini­
sche Situation über 1 Jahr vorliegt, ist
eine Target­Therapie in diesem Fall
noch nicht in Erwägung gezogen wor­
den, vorher ist eine Bestimmung von
MAPK vorzunehmen.
Dieser Beitrag von Sadek Al­Doghaishi,
Dr. Konrad Wetzer, Dr. Lutz­Uwe Wölfer
und Frank Dietrich vom Lausitzer Seeland­
klinikum Hoyerswerda sowie· Dr. Christian
Grohé von der Evangelischen Lungenklinik
Berlin­Buch wurde bereits veröffentlicht in
Der Pneumologe 2016; 13: 120­123.
Literatur bei den Autoren
War Giftgas Ursache für die Symptome?
Eine 39­jährige Nie­Rauche­
rin wurde mit Zystenlunge,
Hautveränderungen und
Osteolysen eingewiesen. Seit
einer fraglichen Giftgasexpo­
sition 3,5 Jahre zuvor, litt
sie an langsam zunehmender
Dyspnoe. Was war Ursache
der Beschwerden?
Von Sadek Al­Doghaishi und Kollegen
Röntgenthorax.
© SPRINGER VERLAG GMBH
Langerhans­Zell­
Histiozytose (LCH)
Die Inzidenz
der LCH wird auf
mindestens 10–15 pro 1000000
pro Jahr geschätzt.
50 Prozent der Erkrankungen
treten bis zum 10. Lebensjahr
auf und 75 Prozent bis zum
30. Lebensjahr.
Zur Diagnosesicherung
ist die
Biopsie mit histopathologischer
bzw. immunhistochemischer
Untersuchung von befallenem
Gewebe unerlässlich.
Der Therapie und die Prognose
hängen von der Einordnung und
dem Ausmaß der Manifestation
ab.
Scharfbegrenzte plattenartig indurierte entzündliche Hautveränderungen (bis zu 10 cm)
auf dem Kopf der Patientin.
© SPRINGER VERLAG GMBH
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