330_0029_186761_BDI_aktuell_24 - page 16

Eine Stunde lag zwischen dem letzten
Patienten in seiner Praxis und dem
Start in den Notdienst. Dr. Stanislaw
Nawka wirkt trotzdem frisch – als ob
er sich auf die weiteren fünf Stunden
Arbeit, die noch vor ihm liegen, freut.
Der Eindruck täuscht nicht. Wie sonst
sollte der Hamburger Hausarzt neben
seiner Praxis rund 100 Abend­und
Nachtdienste im Jahr bewältigen? „Ich
bin einer, der wenig Schlaf braucht.
Außerdem macht es viel Spaß, nichts
ist abwechslungsreicher“, sagt Nawka
mit einem Lächeln. Er zieht seine rote
Jacke über und schnappt sich seinen
Arztkoffer, als er den Wagen des fah­
renden Notdienstes auf seine Auffahrt
einbiegen sieht. Am Steuer sitzt Ret­
tungssanitäterin Nicole Graf, die ihn
im Auftrag des privaten Unterneh­
mens G.A.R.D durch die Nacht be­
gleiten wird.
13 Teams im Einsatz
G.A.R.D ist als Dienstleister der KV
Hamburg im fahrenden Notdienst ein­
gesetzt. Diesen hält die KV vor, damit
Patienten auch nach den Sprechstun­
den noch ambulante ärztliche Hilfe in
Anspruch nehmen können und nicht
in die Klinikambulanzen fahren müs­
sen. Zeitgleich mit Graf und Nawka
treten zu diesem Zeitpunkt zwölf wei­
tere Teams in verschiedenen Bezir­
ken ihre Dienste an. Diesen
Service bietet die KV den
Patienten in der Han­
sestadt jeden Tag
nach Praxisschluss,
bis zum nächsten
Morgen um 8 Uhr.
Gearbeitet wird
in zwei Schichten.
Ihre Einsätze bekommen die Teams
aus der Notdienstzentrale auf ein Dis­
play im Auto geschickt, auf dem die
Aufträge nach Dringlichkeit abgestuft
sind. „Normal“, „baldig“ und „dring­
lich“ gibt es. Den einzigen „baldigen“
Auftrag zum Dienstbeginn erledigen
Graf und Nawka sofort – eine
COPD­Patientin, die das Gefühl hat,
schlechter als sonst Luft zu bekom­
men. Dies ist die einzige Information
für das Team, das nach wenigen Mi­
nuten die Wohnung der Patientin er­
reicht. Die alleinstehende Frau klagt
über viele Beschwerden, muss gründ­
lich untersucht werden.
Währenddessen liest Graf die Versi­
cherungskarte über ein mobiles Lese­
gerät ein und erledigt die formalen
Anforderungen. Rund fünfzehn Minu­
ten haben sie für die Patientin ge­
braucht, dann sind sie auf dem Weg
zum nächsten Einsatz.
Die Zentrale hat inzwischen weitere
Patienten auf dem Display aufgelistet.
Die nächste Patientin braucht lediglich
ein neues Rezept. Die alte Dame be­
müht den fahrenden Notdienst, weil
ihr Arzt in Urlaub und sie schlecht zu
Fuß ist. „Toll, dass es so etwas gibt“,
lobt sie das Konzept. Eine Diskussion
darüber, ob für solche Fälle der fah­
rende Notdienst eingeschaltet werden
sollte, erspart sich Nawka. Er verord­
net und ist nach wenigen Minuten
wieder auf der Straße. Die nächste
Patientin leidet seit Wochen un­
ter Appetitlosigkeit und Ma­
genproblemen, hat Angst vor
Krebs und will eine Magen­
spiegelung. Nawka rät ihr zur
Abklärung bei ihrem Hausarzt.
Ob solche Fälle die Regel
sind? „Die einzige Regel im
Notdienst ist: Es gibt keine“, sagt
Nawka, der seit 25 Jahren solche
Dienste leistet. Es ist alles dabei – von
völlig gesunden Patienten bis zu
schweren Erkrankungen. Mal sind es
verwirrte und aggressive, mal klar
strukturierte und höfliche Menschen,
die den Dienst anfordern – insgesamt
rund 100 000 im Jahr.
Auf Spurensuche
Keiner von ihnen macht sich Gedan­
ken darüber, wie gut ihre Adressen zu
finden sind. Manchmal müssen die
Teams wegen schlechter Ausleuchtung
oder unzureichender Beschilderung
der Häuser mitten in der Nacht lange
suchen, bis sie beim Patienten sind.
Leicht ist es bei der 96­jährigen Pati­
entin im Pflegeheim, die aggressiv ge­
worden war, deshalb riefen die Mitar­
beiter Hilfe. Als Nawka eintrifft,
schläft die alte Dame ganz friedlich.
Schwieriger zu finden ist die junge Fa­
milie mit Kleinkind, das aber ebenfalls
schon friedlich eingeschlafen ist, als
der Arzt kommt. Fälle wie diese sor­
gen dafür, dass Nawka und Graf
zwar ununterbrochen unterwegs
sind, der Abend aber ruhig ver­
läuft.
Nächster Abend, Notfallpraxis
in Hamburg­Farmsen. Als der
diensthabende Christoph Albrecht
direkt aus der Sprechstunde sei­
nen Dienst in der Notfallpra­
xis antritt, warten schon rund ein Dut­
zend Patienten. Die meisten von ihnen
wirken angeschlagen und ungeduldig.
Viele haben Kinder dabei, fast alle
sind erkältet. Albrecht beginnt sofort
mit der Arbeit. Auf rund 130 Quadrat­
metern stehen ihm fünf Sprechzim­
mer zur Verfügung. Während die KV­
Angestellten Jannin Muths und Mari­
on Ruge die weiteren Anmeldungen
entgegennehmen und über Mikrofone
die Patienten in die Behandlungszim­
mer lotsen, ist Albrecht schon beim
ersten Patienten. Er arbeitet schnell
und routiniert, wirkt nie hektisch.
Seine Patienten haben zunächst Ba­
gatellerkrankungen. Nur einen echten
Notfall gibt es an dem Abend: Eine
türkische Familie stürmt mit einem
reglosen Kleinkind auf dem Arm in
die Praxis. 35 Minuten dauert es, das
Kind mit Status Epilepticus zu stabili­
sieren. Die meisten der jährlich rund
70000 Patientenanliegen in den bei­
den Notfallpraxen stuft Albrecht aber
zwischen „leicht er­
krankt“ und völlig
unsinnig“ ein. Ohne
die Notfallpraxen
und den fahrenden
Notdienst würden
allerdings noch
mehr von ihnen in
die Notaufnah­
men der Klini­
ken strömen.
Die fahrenden Notdienstärzte
Zuerst geht’s zur akut
kranken COPD­Patientin,
dann folgt eine Zwischen­
station bei einer älteren
Dame, die nur ein Rezept
braucht: Unterwegs mit
dem fahrenden Notdienst
der KV Hamburg.
Von Dirk Schnack
Ich bin einer, der
wenig Schlaf
braucht. Außerdem
macht es viel Spaß,
nichts ist abwechs­
lungsreicher.
Dr. Stanislaw Nawka
Notdienst­Arzt
Start in der Praxis: Dr. Stanislaw Nawka
schnappt sich seinen Arztkoffer.
© DIRK SCHNACK
16
Juni 2016
BDI aktuell
Panorama
ZITIERT
Wir haben ein
großes Interesse
daran, dass die
Selbstverwaltung
zur Gestaltung
von Reformen
handlungsfähig
bleibt.
Bundesgesundheitsminister
Hermann Gröhe (CDU)
auf dem
119. Deutschen Ärztetag in Hamburg
TOMICEK’S WELT
Wir haben noch genug Sicherungen ...
Ein kleiner blauer Roboter mahnt
in Augsburg zur Einhaltung des
Rauchverbots. Es gilt an den Bahn­
steigen des Haltestellenknoten­
punkts am Königsplatz seit zweiein­
halb Jahren, doch trotz entspre­
chender Schilder qualmen viele
weiter. Nun versuchen es die örtli­
chen Stadtwerke mit ihrem neuen
Gehilfen, den Tüftler eigens für
diesen Zweck konstruiert haben.
Sprecher Thomas Hosemann
bestätigte einen Bericht der „Augs­
burger Allgemeinen“: „Das Wichti­
ge ist, das auf eine charmante und
sympathische Art rüberzubringen –
nicht mit erhobenem Zeigefinger.“
Der kleine Roboter, der mit ver­
drehten Augen und betrübtem
Blick auf den Bahnsteigen am Kö­
nigsplatz herumrollt, weist die Pas­
santen darauf hin: „Der Kö ist
Nichtraucher“. Oder er fährt mit
dem Hinweis „Bitte folgen Sie mir“
in Richtung Nichtraucherzone. Er
werde über WLAN durch eine App
gesteuert.
(dpa)
Blauer Roboter
gegen blauen
Dunst
AUCH DAS NOCH
1...,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15 17,18,19,20,21,22,23,24
Powered by FlippingBook