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Berufspolitik
Nr. 3 • März 2014
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Fluch oder Segen?
Das System Kassenärztliche Vereini-
gung konnte nur durchgehalten wer-
den, indem die Vorgaben für die Kör-
perschaft immer enger gestrickt
wurden. Es führte dazu, dass der
gesetzliche Auftrag die von der Kas-
senärztlichen Vereinigung immer
wieder reklamierte Interessenvertre-
tung ihrer Mitglieder in den Hinter-
grund hat treten lassen. Inzwischen
stellt sich vielen die Frage, ob dieser
Sicherstellungsauftrag unter diesen
Umständen ein Segen oder inzwi-
schen auch ein Fluch für die Ver-
tragsärzte geworden ist.
Dieses System ist seit zahlreichen
Gesundheitsreformen an immer
mehr Stellen durchlöchert worden.
Hauptgrund ist dabei der medizini-
sche Fortschritt. Er hat dazu geführt,
dass viele medizinische Leistungen
und Eingriffe sowohl ambulant als
auch stationär erbracht werden kön-
nen. Nicht die Versorgungsebene
entscheidet, sondern der Zustand des
Patienten, ob er ambulant oder sta-
tionär behandelt wird. Die Grenze
ambulant/stationär verschwimmt
immer mehr, der Sicherstellungsauf-
trag für ambulante Leistungen ist
somit immer schwieriger abzugren-
zen.
Die Ordnungspolitik hat nicht die
logische Konsequenz gezogen und
das System geändert. Nein, sie hat
nur punktuell eingegriffen, um grobe
Unzulänglichkeiten auszugleichen.
Folge ist die sattsam beklagte Über-
bürokratisierung, aber auch die
Rechtsunsicherheit im System der
gesetzlichen Krankenversicherung.
Diese nimmt immer dann zu, wenn
die ordnungspolitischen Vorgaben
nicht mehr mit der Versorgungsreali-
tät übereinstimmen und neue
gesetzliche Regelungen zur Korrektur
eingeführt werden.
Zuerst wurde der Sicherstellungsauf-
trag durch die Vereinbarung zum
ambulanten Operieren und den stati-
onsersetzenden Leistungen merklich
durchlöchert. Nur durch kluges Agie-
ren von Kassenärztlichen Vereini-
gungen und Krankenkassen konnten
Lösungen gefunden werden, die die
Antwort auf die Gretchenfrage, ob
das System überhaupt noch zu halten
ist, umgangen haben.
Der BDI als Partner bei
Selektivverträgen
Um Bewegung in das System zu brin-
gen, hat man sich für die Einführung
von Selektivverträgen im Sozialge-
setzbuch entschlossen. Man wollte
den Wettbewerb zwischen dem Kol-
lektivvertragssystem, repräsentiert
durch die Kassenärztliche Vereini-
gung, mit freien Verträgen von allen
Leistungserbringern, ob Ärzten oder
Krankenhäusern, fördern, indem
man das selektive Kontrahieren mit
Kostenträgern erlaubt. Der Sicher-
stellungsauftrag ist damit für die
Kassenärztliche Vereinigung nicht
mehr das, was er einmal war. Offen
werden die Selektivverträge aber von
ihr nicht abgelehnt. Man arrangiert
sich mit dieser Vorgabe, versucht
aber ihre Umsetzung eher zu
erschweren. Gefördert werden sie
von der Kassenärztlichen Vereini-
gung zumindest nicht, auch wenn sie
zum Nutzen von den beteiligten Ver-
tragsärzten abgeschlossen werden
können.
Ein Berufsverband wie der BDI, der
die Interessen aller seiner ambulant
und stationär tätigen Mitglieder zu
vertreten hat, kann diese vertragli-
chen Möglichkeiten nicht ignorieren,
die der Gesetzgeber im System eröff-
net hat. Inzwischen liegen einige
Erfahrungen mit solchen Verträgen
vor, auch wenn die Zahl in den letz-
ten Jahren eher stagniert. Insbeson-
dere in Baden-Württemberg funktio-
nieren die Selektivverträge neben
dem Kollektivvertragssystem.
Bei der Umsetzung fällt aber auf,
dass der Gesetzgeber manchmal
Angst vor der eigenen Courage hat.
Typisches Beispiel hierfür sind die
Hausarztverträge, die die Honorare
in verschiedenen Regionen merklich
aufgebessert haben – vor allem weil
Leistung wieder bezahlt und nicht
budgetiert wurde. Die Krankenkas-
sen fürchten mehr Ausgaben, die sie
durch die Einsparpotenziale aus dem
Selektivvertrag nicht ausgleichen
können.
Sie machten ihren lobbyistischen
Einfluss bei dem Gesetzgeber geltend
und forderten, die Folgen dieser
Selektivverträge bei der Honorierung
der Vertragsärzte möglichst wieder
einzufangen. So wurde für den Fall
von Mehrausgaben gegenüber dem
Kollektivvertragssystem eingeführt,
dass dieses Geld von den Vertrags-
partnern, das heißt, den Ärzten und
ihren freien Verbänden, wieder
zurückgefordert werden kann. Diese
Refinanzierungsklausel muss schleu-
nigst wieder aufgehoben werden,
will man nicht die hausarztzentrier-
ten Verträge faktisch beerdigen.
Manchmal fehlt dem Gesetzgeber
halt der Mut, vernünftige Wege auch
gangbar zu machen, auch wenn er
sie selbst eingeführt hat.
Dennoch öffnet sich der BDI für diese
Vertragsformen und steht in Zukunft
als Partner zur Verfügung. Unmittel-
barer Anlass für diese Entscheidung
war die Diskussion über die wohn-
ortnahe Facharztpauschale in der
Kassenärztlichen Vereinigung gewe-
sen. Alle niedergelassenen Fachärzte
versorgen ihre Patienten wohnort-
nah. Die Mittel für diese neue Pau-
schale sollten jedoch nicht den Inter-
nisten mit Schwerpunkt zur Verfü-
gung stehen. Im Gegenteil, man
generiert die notwendigen Finanzen
durch Umverteilungsmechanismen
zu Lasten dieser Gruppe. Unabhängig
von den finanziellen Folgen dieser
inzwischen von den Krankenkassen
abgesegneten Entscheidung, ist auch
der psychologische Effekt bei den
betroffenen Ärzten zu berücksichti-
gen, die Zweifel daran haben, dass
sie in dieser Kassenärztlichen Verei-
nigung noch ausreichend repräsen-
tiert sind.
Welche Vertragsmöglichkeiten
stehen dem Verband zur Verfü-
gung?
Im § 73 b des SGB V werden Selektiv-
verträge in der hausärztlichen Ver-
sorgung geregelt. Das Gesetz sieht
hier vor, dass der einzige Vertrags-
partner der Krankenkassen der Haus-
ärzteverband sein kann. Dies bedeu-
tet für den BDI, dass er allein solche
Verträge nicht abschließen kann,
obwohl die hausärztlich tätigen
Internisten immer mehr an diesem
Versorgungsbereich beteiligt sind.
Will der BDI sich an 73 b-Verträgen
beteiligen, benötigt er den Hausärz-
teverband als Partner.
In § 73 c ermöglicht der Gesetzgeber
auch der ambulanten fachärztlichen
Versorgung Selektivverträge. Wie alle
Verträge außerhalb des Kollektivver-
tragssystems, können die Inhalte
zwischen den Vertragspartnern frei
gestaltet werden. Man muss sich
nicht an den EBM und nicht an den
Leistungskatalog der gesetzlichen
Krankenversicherung halten. Der BDI
ist der geborene Partner für 73 c-
Verträge, die er zusammen mit sei-
nen Schwerpunkten abschließen
kann. Entsprechende Verträge sind in
Vorbereitung.
§ 140-Verträge werden langfristig
vom BDI angestrebt
Während die 73 c-Verträge als
Pflicht bei den Selektivverträgen
anzusehen sind, ist der § 140 die Kür.
Diese Verträge werden langfristig
vom BDI angestrebt, weil hier alle
drei Versorgungsebenen – hausärzt-
liche, fachärztliche und stationäre
Versorgung – in einem Vertrag abge-
bildet werden können. Hierzu gibt es
bereits frühere Erfahrungen. Zahlrei-
che 140-er Verträge sind aber der
1%-Finanzierungsregelung und deren
Beendigung zum Opfer gefallen. Der
§ 140 setzt eine genaue Kenntnis der
ordnungspolitischen Vorgaben
voraus. Hier muss die Vergütung in
der Regel neu erfunden werden, da
der Verbotsvorbehalt aus dem statio-
nären Bereich gilt, der über DRG
finanziert wird. Der EBM reicht für
eine Finanzierungslösung in der
Regel nicht aus. Die Probleme, die
sich durch eine Bereinigung der bud-
getierten Vergütung ergeben, sind
hier besonders ausgeprägt, da sie
auch den stationären Bereich erfas-
sen können. 140-er Verträge kann
der BDI auch nicht mit seinen bei
ihm organisierten Krankenhausärz-
ten abschließen, sondern muss einen
neuen Vertragspartner, nämlich die
Krankenhausträger, miteinbeziehen.
Positiv ist bei den Selektivverträgen
zu werten, dass man aus dem budge-
tierten System der gesetzlichen
Krankenversicherung sowohl bei der
Kassenärztlichen Vereinigung als
auch bei der Krankenhausfinanzie-
rung ausbrechen kann. Auch die
überbordende Bürokratie lässt sich
im Einvernehmen mit den Kostenträ-
gern in der Regel reduzieren, sodass
der Verwaltungsaufwand einge-
grenzt werden kann. Bürokratischer
KV-Balast, wie z. B. Plausibilitätsprü-
fungen, kann man vergessen. Hinzu
kommt, dass nach gemachten Erfah-
rungen die Krankenkassen den mit
ihnen selektiv abgeschlossenen Ver-
trägen sehr positiv gegenüberstehen,
da sie bei der Gestaltung selbst mit-
gewirkt haben. Kündigungen sind
deshalb seltener als gemeinhin ange-
nommen.
Hoher Aufwand
Der Aufwand für die Umsetzung sol-
cher Verträge ist aber nicht gering.
Der BDI ist sich im Klaren darüber,
dass er für eine funktionierende
Abrechnung dieser Verträge und eine
entsprechende IT-Lösung sorgen
muss. Die technischen Voraussetzun-
gen müssen vorhanden sein, wenn
man gute Selektivverträge umsetzen
will. Der BDI weiß auch, dass man
Partner für solche Verträge bei den
Kostenträgern benötigt. Neben dem
Anreiz von Einsparvolumina an
anderer Stelle, sind solche Verträge
für Krankenkassen auch reizvoll,
wenn Leistungen außerhalb des EBM
angeboten werden.
Ziel sollten aus der Sicht des BDI
bundesweite Verträge sein, wahr-
scheinlich wird man aber bei der
Kassenstruktur zunächst nur regio-
nale und fachbezogene Lösungen fin-
den.
Der BDI betrachtet die Möglichkeit,
zu Selektivverträgen zu kommen,
durchaus nüchtern und weiß, dass es
sich um einen steinigen Weg der
kleinen Schritte handeln wird,
sodass man von Anfang an keine zu
hohen Erwartungen an diesen
Beschluss knüpfen darf. Dennoch
muss dieser Weg als Alternative
gegenüber unserem budgetierten
und überbürokratisierten Gesund-
heitswesen gegangen werden.
HFS
Kollektiv versus selektiv
Der BDI öffnet sich für Selektivverträge
(Forts. von S. 1)
Die Pressemitteilung zum Beschluss
des Berufsverbands Deutscher Inter-
nisten, sich für Selektivverträge zu
öffen, finden Sie ebenfalls auf dieser
Seite.
Der BDI öffnet sich für das Selektiv-
vertragssystem, weil er darin eine
sinnvolle Ergänzung zum Kollektiv-
vertrag sieht. Er will zukünftig als
Anbieter von Selektivverträgen
regional wie überregional auftreten.
Der Berufsverband strebt Vollverträ-
ge an, die sowohl die hausarztzen-
trierte Versorgung (§ 73b SGB V),
die facharztzentrierte Versorgung
(§ 73c) sowie die stationäre Versor-
gung (§ 140a ff, § 116b, § 115a) ein-
beziehen. Solche Verträge sollen mit
den Kostenträgern verhandelt wer-
den. Die Abrechnung soll über ein
geeignetes Abrechnungszentrum
abgewickelt werden.
Im stationären Sektor geht es in ers-
ter Linie nicht um aktive Honorar-
sicherung, sondern um optimierte
Versorgungsprozesse an der Schnitt-
stelle ambulant/stationär. Die Einbe-
ziehung des stationären Sektors bie-
tet den Vorteil einer internistischen
Behandlung aus einem Guss, von der
hausärztlichen Versorgung bis hin
zur spezialisierten stationären Ver-
sorgung. Hier ist der BDI prädesti-
niert, entsprechende Versorgungs-
programme anzubieten. Der BDI ist
bereit, mit allen notwendigen Ver-
tragspartnern zu verhandeln.
Pressemitteilung des BDI
vom 3. Februar 2014
BDI öffnet sich Selektivverträgen
Wesiack: Ein Plus für Ärzte
und Patienten
Der Berufsverband Deutscher Internisten, BDI e.V., will durch Selek-
tivverträge die vertragsärztliche Tätigkeit attraktiver machen und
die Zusammenarbeit zwischen den Sektoren unseres Gesundheitswe-
sens fördern. Die Honorarumverteilung durch die KBV benachteiligt
besonders die Internisten. BDI-Präsident Dr. Wolfang Wesiack:
„Daran ist vor allem die Budgetierung schuld.“
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