Die Qualität in der stationä-
ren Versorgung zu verbes-
sern, hat sich die große
Koalition zum Ziel gesetzt.
Ein Qualitätsinstitut
formiert sich gerade,
weitere Anstöße sollen mit
der geplanten Krankenhaus-
reform geliefert werden.
Doch so simpel, wie es sich
im Koalitionsvertrag liest,
ist das Ziel nicht zu errei-
chen, wie Professor Günter
Ollenschläger, ehemaliger
Chef der ÄZQ, in seinem
Gastbeitrag darlegt.
Qualität – eine Frage der Perspektive
Wie kann die Qualität bei Gesundheitsleistungen gesteigert werden? Diese Frage diskutieren derzeit die Gesundheitspolitiker.
© ANDRES RODRIGUEZ/FOTOLIA.COM
Mit dem Koalitionsvertrag haben
Union und SPD Ende vergangenen
Jahres eine Qualitätsoffensive für
die stationäre Versorgung ausgeru-
fen. Ihre Vorstellung: Gute medizi-
nische Qualität soll sich auch finan-
ziell auszahlen. Ein Ansatzpunkt
sollen die Mehrleistungsabschläge
sein. Diskutiert wird, ob Leistungen
mit nachgewiesen hoher Qualität
von Mehrleistungsabschlägen aus-
genommen werden. Für besonders
gute Qualität wären sogar Zuschlä-
ge denkbar. Strittig ist, ob es für
unterdurchschnittliche
Qualität
auch höhere Abschläge geben soll.
Zudem haben Union und SPD
im Koalitionsvertrag vereinbart,
dass der Gemeinsame Bundesaus-
schuss (GBA) vier planbare Leis-
tungen benennen soll, für die Kas-
sen Qualitätsverträge mit einzelnen
Krankenhäusern abschließen kön-
nen. Vehikel dafür soll die Klinikre-
form sein, deren Inhalte immer
noch zwischen Bund und Ländern
verhandelt werden. Unterdessen hat
der GBA-Vorsitzende Josef Hecken
bereits klar gestellt: In dieser Legis-
laturperiode kann das Projekt nicht
vollständig gestemmt werden.
Zusätzlich haben die Politiker
analog zum Arzneimittelbereich ein
Institut für Qualitätssicherung und
Transparenz im Gesundheitswesen
(IGTiG) angestoßen. Es soll die
Versorgungsqualität möglichst sek-
torenübergreifend messen und dar-
stellen.
(jvb)
Das planen
Union und
SPD
QUALITÄTSOFFENSIVE
6
November 2014
BDI aktuell
Berufspolitik
„Qualitätssicherung - wem nützt das?“
so lautete der Titel eines Vortrages,
den ich 2000 zu Ehren von Johannes
Köbberling - einem der Vordenker zu
Evidenz und Qualität in der Inneren
Medizin - halten durfte. Mein damali-
ges, skeptisches Fazit: „Maßnahmen,
die angeblich zur Qualitätsförderung
beitragen sollten, nützen oftmals pri-
mär den ökonomischen Vorstellungen
von Kostenträgern und den lobbyisti-
schen Interessen von (Ärzte-)Verbän-
den. Es fehlen häufig die Belege für
positive Effekte auf die Qualität der
Patientenversorgung“.
Ich bedaure sehr eingestehen zu
müssen, dass diese Schlussfolgerung
auch heute, fast eineinhalb Jahrzehnte
später, weiterhin berechtigt zu sein
scheint. Hierzu einige Beispiele und
Kommentare:
Es fehlen Belege:
In den letzten
zwei Jahrzehnten, also im Zeitalter der
Evidenzbasierten Medizin, wurde zu
oft versäumt, den Nutzen aufwändi-
ger, angeblich auf Qualitätsförderung
zielender Maßnahmen durch gute Stu-
dien zu evaluieren: Wir wissen bis
heute nicht (sicher), ob – und wenn ja,
unter welchen Bedingungen und in
welchem Ausmaß – etablierte und ge-
plante deutsche Programme (wie Ex-
terne Qualitätssicherung mittels Indi-
katoren, Zertifizierungen, Leitlinien,
Internes Qualitätsmanagement, Disea-
se Management Programme, Mindest-
mengen, Pay for Performance) die
Versorgungsqualität unserer Patienten
beeinflussen.
Gruppeninteressen:
Qualifikations-
vorbehalte in der ambulanten Versor-
gung sind unverändert beliebt, um
Verbandsinteressen festzuschreiben.
Die in interdisziplinären Leitlinien
oder Qualitätsindikatoren-Sets müh-
sam konsentierten Absprachen werden
gerne im Nachhinein durch ergänzen-
de Dokumente beteiligter Gruppen
mit dem Argument „Qualität“ inter-
pretiert – nicht immer auf Grundlage
der zitierten Evidenz, aber gerne bera-
ten durch interessierte Dritte, etwa
Berufsverbände, Krankenhausträger,
Medizinindustrie,
Krankenkassen
(Quelle: eigene Erfahrungen aus elf
Jahren Moderation von Leitlinien-
gruppen).
Ökonomische Steuerung:
Viel dis-
kutierte Rationalisierungsmaßnahmen
für das deutsche Gesundheitswesen
sind etwa die Reduktion der Zahl von
Krankenhausbetten, die Konzentrati-
on von Versorgungsleistungen auf we-
nige, dafür aber besser qualifizierte
Krankenhäuser, die stärkere Bindung
an Leitlinien zur Kontrolle bestimmter
kostentreibender Indikationsstellun-
gen. Wichtig ist, dass in den jeweiligen
Debatten für und wider solcherlei
Maßnahmen bereits strittig ist, ob es
sich um Rationalisierungen im erstge-
nannten Sinne handelt (also um Qua-
litätsverbesserung) oder aber um Leis-
tungsabsenkungen (also Qualitätsmin-
derung).
So würde die Reduktion der Zahl
der Krankenhäuser in den Augen der
einen auch eine Reduktion der Versor-
gungsqualität (Erreichbarkeit der Kli-
nik) bedeuten. In den Augen anderer
berühren diese Nachteile aber keine
notwendigen Versorgungsaspekte, viel-
mehr würde die Versorgungsqualität
steigen (erfahrenere und dadurch
kompetentere Ärzte bei Konzentration
der Leistungen auf bestimmte Zent-
ren).
Fazit:
Viele der Maßnahmen, die in
den vergangenen zwei Jahrzehnten mit
dem Ziel der Qualitätsförderung etab-
liert wurden, haben ihr eigentliches
Ziel, die Verbesserung der Versor-
gungsqualität verfehlt oder ihre Wirk-
samkeit konnte zu häufig nicht wissen-
schaftlich belegt werden. Ja, es mehren
sich die Anzeichen für Qualitätseinbu-
ßen in unserem Gesundheitssystem:
Verzicht auf die Verschreibung für
notwendig gehaltene Medikamente,
Reduktion von Therapien... illustrie-
ren dies, so der Ethikrat 2011. Der
Sachverständigenrat beschreibt im ak-
tuell veröffentlichten Jahresgutachten
2014 eindrücklich die deletären Fol-
gen einer mangelnden Berücksichti-
gung von Qualitätsaspekten bei der re-
gionalen Versorgungsplanung.
Ausblick:
Es hat den Anschein, dass
sich die Akteure im Gesundheitswesen
bewusst geworden sind, wie dringlich
konkrete Schritte hin zu einer wirksa-
men Qualitätsorientierung im Ge-
sundheitswesen sind.
Die vergangenen zwei Jahrzehnte
waren gekennzeichnet durch Metho-
dendominanz („Wir machen das
Machbare, messen das Messbare“),
Monopolisierung des Top-Down-An-
satzes („Der Gemeinsame Bundesaus-
schuss ist zuständig“), Selbstzufrie-
denheit der ärztlichen Selbstverwal-
tung (die Ärzteschaft tut was, die Pati-
enten sind zufrieden, die Qualität ist
gut), Wettbewerb um jeden Preis
(Krankenkassen gegen Krankenkas-
sen/ Ärzte gegen Ärzte/ Krankenkassen
gegen Ärzte) und Mangel an strategi-
schen Planungen auf der bundespoliti-
schen Ebene („dann etablieren wir
eben mal ein Institut des Gemeinsa-
men Bundesausschusses...“), Fehlen
von Nutzennachweisen.
Gefragt sind gemeinsame, strategi-
sche Planungen für eine qualitätsori-
entierte Patientenversorgung.
Dabei ist Folgendes zu berücksich-
tigen:
1. Qualität ohne ausreichendes und
angemessen qualifiziertes Personal gibt
es nicht. Nötig sind ausreichende In-
vestitionen und Incentives für bessere
Aus-/ Weiter-/Fortbildung und bessere
Vergütung von Personal in der Patien-
tenversorgung. Die Realisierbarkeit
von Facharzt-Rezertifizierung gilt es
ebenso zu diskutieren wie die allge-
meine Verfügbarkeit von unabhängi-
gen Informationssystemen für Berufe
im Gesundheitswesen (medizinisches
Wissensmanagement). Die Abhängig-
keit der ärztlichen Fortbildung von der
Medizinindustrie muss beendet wer-
den.
2. Realisierbare Qualitätsziele set-
zen einen allgemeinen Konsens über
„Was ist gute Versorgungsqualität“ vo-
raus. Patienten, Gesundheitsberufe,
Kostenträger und Politik haben unter-
schiedliche Vorstellungen von guter
Versorgungsqualität. Sollte es möglich
sein, zu einem einheitlichen Verständ-
nis von Qualität und Qualitätszielen zu
kommen, ergeben sich Qualitätskrite-
rien automatisch.
Von Professor Günter Ollenschläger
GASTBEITRAG
Qualität zum Zweck der Kostendämpfung
Professor Günter Ollenschläger ist Internist und
lehrt am Institut für Gesundheitsökonomie des
Universitätsklinikums Köln