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Die seit 1. Januar 2013 gültige Be-
darfsplanungsrichtlinie des Gemeinsa-
men Bundesausschusses (GBA) für
die vertragsärztliche Versorgung sollte
Wunder bewirken und dem drohen-
den Ärztemangel trotzen. Die Bedarfs-
planung im ambulanten Sektor läuft
aber oft ins Leere. Inzwischen ist Er-
nüchterung eingetreten: Mit einer
Steuerung von Niederlassungen in
über- und unterversorgten Gebieten
ist es noch weit hin.
Die Ausgangslage: Es sollten neue
Planungsgruppen und geänderte Ver-
hältniszahlen in Kraft gesetzt, die Pla-
nungsbereiche neu und genauer ge-
gliedert, der Sonderbedarf neu defi-
niert und größere regionale Gestal-
tungsspielräume geschaffen werden.
Bislang hatten die Kassenärztlichen
Vereinigungen (KV) betont: Die neue
Bedarfsplanung sei ein besserer Plan –
aber auch nicht mehr! Selbst wenn
rechnerisch zunehmend neue freie
Arztsitze entstehen, ist noch kein zu-
sätzlicher Arzt gewonnen.
Dies gilt für alle Regionen. Wäh-
rend aber in den östlichen Bundeslän-
dern zum Teil Sitze in großer Zahl
verloren gehen, gibt es im Westen viele
zusätzliche neue Sitze, vor allem für
Hausärzte. Im Osten hingegen gelten
die Hausärzte als die „Verlierer der
Bedarfsplanung“. Es scheint, als gebe
es vor allem im hausärztlichen Bereich
eine wundersame Praxissitzvermeh-
rung: Nordrhein hatte im Juli 2013
nun 105,5 neue Hausarztsitze ausge-
wiesen, um eine hundertprozentige
Versorgung in den Planungsregionen
zu erreichen. Für Fachärzte, die bei
der Planung jetzt differenzierter be-
trachtet werden müssen, gibt es dage-
gen nur eine geringe Zahl zusätzlicher
Sitze. Mit den derzeit noch 67 alten
offenen und 213 neuen Sitzen (alle
Arztgruppen) können 280 offene Arzt-
sitze besetzt werden, 222 davon sofort.
Für 58 Sitze in Gebieten mit einem
Versorgungsgrad zwischen 100 und
110 Prozent will die KV die Über-
gangsregelung anwenden: Sie also frü-
hestens in zweieinhalb Jahren beset-
zen, erklärte Dr. Peter Potthoff von
der KV Nordrhein.
Damit will die KV Hausärzte vor-
rangig in Bereiche mit einem Versor-
gungsgrad von unter 100 Prozent lo-
cken.
Mehr Bedarfsdeckung und Patien-
tenorientierung sind angesagt: Die
neuen Sitze werden ohnedies in ländli-
chen Bereichen ausgewiesen. Ob es
aber gelingt, Hausärzte zu finden, die
die Sitze übernehmen, hängt weitge-
hend vom Geld und von den struktu-
rellen Voraussetzungen der Region ab.
Bundesweit gibt es doppelt so viele
Planungsbereiche wie bisher; diese fal-
len aber deutlich kleiner. Daraus er-
gibt sich bei einer Verkleinerung der
Planungsbereiche ein geringerer Be-
standsschutz, und auch die Verlegung
oder eine Zusammenlegung einer Pra-
xis ist nur innerhalb eines kleineren
Bereichs möglich. Dies dürfte den
Wert einer bestehenden Praxis eher
negativ beeinflussen.
(HC)
Neue Bedarfsplanung ist keine Wunderwaffe
Für Hausärzte wurden zwar
rechnerisch mehr Sitze
ausgeschrieben, an Ärzten
mangelt es trotzdem noch.
Mit dem Referentenentwurf des Ver-
sorgungsstärkungsgesetzes werden die
Vorgaben der Paragrafen 73 bis 140
SGB V neu sortiert, um Redundanzen
in den Vorschriften zu beseitigen.
Ganz nebenbei hat man auch Teile des
116b, der die ambulante spezialfach-
ärztliche Versorgung (ASV) regelt, ge-
ändert.
Die hausarztzentrierte Versorgung
(HzV) nach Paragraf 73b bleibt weit-
gehend unverändert. Schlanker will
das Ministerium nur das Prozedere bei
der komplizierten Bereinigung der Ge-
samtvergütung regeln – also das Ver-
fahren, mit dem KVen den Leistungs-
bedarf für HzV-Patienten aus der mor-
biditätsbedingten Gesamtvergütung
der Hausärzte herausrechnen. Auch
müssen Selektivverträge nicht mehr
der Kassenaufsicht vorgelegt werden.
Neben Strukturverträgen (73a)
wurden auch Selektivverträge im fach-
ärztlichen Bereich (73c) ersatzlos ge-
strichen, dafür wird der Paragraf 140
neu formuliert. Er beschränkt sich
nach dem Vorschlag nicht mehr auf
die sektorübergreifende Versorgung,
etwa von Vertragsärzten und Kliniken.
Er soll künftig auch interdisziplinä-
re fachübergreifende Verträge und rein
ambulante Verträge beinhalten. Der
neue Paragraf 140 wird inhaltlich er-
weitert. Es gilt der Verbotsvorbehalt
für die Vertragsinhalte: Das bedeutet,
ähnlich wie in der Klinik können Leis-
tungen auch über den Leistungskata-
log im EBM hinaus vereinbart werden.
Neben zugelassenen Leistungser-
bringern wie Vertragsärzte und Kran-
kenhäuser werden als Vertragspartner
Pflegekassen und Pflegeeinrichtungen,
Praxiskliniken, pharmazeutische Un-
ternehmen und Medizinprodukteher-
steller erwähnt. Auch die KV ist aufge-
führt. Die Hoffnung der Körperschaft,
zwingend an allen Verträgen beteiligt
zu werden, hat sich aber nicht erfüllt.
Die Landschaft der Selektivverträge
wird damit übersichtlicher und rechts-
sicherer als bisher geregelt.
Gibt es auch inhaltliche Verschie-
bungen? Der Wegfall des alten 73c,
der Selektivverträge ambulant tätiger
Fachärzte geregelt hat, wird durch den
neuen Paragrafen 140 inhaltlich über-
nommen. Dennoch ist es als politi-
sches Signal zu werten, dass man zwar
hausärztliche Verträge eigenständig re-
gelt, aber ambulant tätige Fachärzte
nur noch bei den sektor- und fach-
übergreifenden Regelungen unter-
bringt, also beim „Rest der Welt“.
Bedeutsamer sind die „kleinen“
Änderungen am Paragrafen 116b. Der
alte 116b war auf die ambulante Ver-
sorgung durch Krankenhäuser ausge-
richtet und ein Affront gegenüber den
spezialisierten niedergelassen Ärzten,
besonders für Onkologen. Der reno-
vierte 116b, genannt ASV, bindet die-
se Arztgruppe wieder mit ein und for-
dert verbindlich gleichberechtigte Ko-
operationen zwischen niedergelasse-
nen Ärzten und Krankenhäusern.
Bedeutsam sind bei gesetzlichen
Neuregelungen immer die Übergangs-
bestimmungen. Die alten 116b-Verträ-
ge mussten von den Länderministerien
genehmigt werden. Mit Einführung
der ASV wurde vorgeschrieben, dass
die Genehmigung der „Alt-Verträge“
noch zwei Jahre ab dem Zeitpunkt gilt,
zu dem der Gemeinsame Bundesaus-
schuss (GBA) die Umsetzungsvorga-
ben zum jeweiligen Krankheitsbild be-
schlossen hat. Danach mussten die
Länderminister ihre Genehmigung zu-
rückziehen, um den Weg für die ASV
freizumachen. Eine sinnvolle Lösung,
die Kontinuität in der Versorgung mit
konsequenter Umsetzung der ASV
verbunden hat. Das ändert sich jetzt!
Nach der Neuformulierung dürfen die
Länder nur noch die Genehmigung
entziehen, wenn die betroffenen Klini-
ken gegen die Bestimmung des alten
116b verstoßen haben.
Im Klartext: Die Altverträge blei-
ben bis in alle Ewigkeit bestehen,
wenn sich die betroffenen Kranken-
häuser nicht dumm anstellen. Sie kön-
nen so den Zwang zur Kooperation
mit dem ambulanten Sektor unterlau-
fen. In Bundesländern mit hoher Ge-
nehmigungsdichte des 116b ist dies
ein Schlag ins Gesicht der Vertrags-
fachärzte, weil sie bei den Altverträgen
ausgesperrt bleiben.
Fazit: Dass man die Selektivverträ-
ge neu gestaltet und dabei den Fach-
ärzten keinen eigenen Paragrafen mehr
zugesteht, ist zu verschmerzen. Dass
man unter Parität in der KV der Fach-
arztfraktion die Psychotherapeuten zu-
rechnet, mag noch an einem alten
Denkfehler liegen. Dass man aber die
Kooperation mit Kliniken bei der ASV
unterläuft, macht den Referentenent-
wurf zum Facharztschwächungsgesetz.
Dies dürfte die Versorgung der gesetz-
lich Versicherten alles andere als ver-
bessern.
(Mitarbeit TR)
Reform entpuppt sich als
Facharzt-Schwächungsgesetz
Das Versorgungsstärkungs-
gesetz bremst die gerade
erst gestartete ambulante
spezialfachärztliche
Versorgung (ASV) aus. Für
Kliniken besteht dann kein
Anreiz mehr, neue Verträge
mit niedergelassenen
Spezialisten zu schließen.
Von Dr. Hans-Friedrich Spies
Für Kliniken würde die Kooperation mit Niedergelassenen mit dem neuen Gesetz uninteressant.
© ANDRES RODRIGUEZ/FOTOLIA.COM
Millionen Euro
werden jährlich zur
Versorgungsforschung
bereitge-
stellt. Diese werden je zur Hälfte
aus den Reserven des Gesundheits-
fonds und der Kassen gespeist.
Ein neu zu gründender „Innovati-
onsausschuss“ beim GBA soll über
die Vergabe der Mittel entscheiden.
Die Kassen sollen mehr Gestal-
tungsmöglichkeiten erhalten, um
mit sektorenübergreifenden und
gänzlich neuen Versorgungsmodel-
len auf das Älterwerden der Gesell-
schaft und den medizinischen Fort-
schritt angemessen zu reagieren.
4
November 2014
BDI aktuell
Berufspolitik
Die Beamten im Bundesgesund-
heitsministerium verstehen ihr
Handwerk. Sie haben einen Ent-
wurf für das Versorgungsstärkungs-
gesetz erarbeitet, dem eine eindeu-
tige Systematik zugrunde liegt: Die
Politik hat im Koalitionsvertrag die
politischen Ziele festgelegt, das Mi-
nisterium sorgt mit gesetzlichen
Formulierungen für ihre Umset-
zung. Dabei macht sie selbst keine
direkten Vorschläge für Verbesse-
rungen der Versorgung, sondern er-
arbeitet Vorgaben für die Selbstver-
waltung. Dies betrifft Kassenärztli-
che Vereinigungen (KV), Kassen
und die Deutsche Krankenhausge-
sellschaft (DKG).
Dabei wird genau differenziert,
ob die KV allein über ihre Satzung
oder die Krankenkassen und die
KV gemeinsam über einen Bundes-
mantelvertrag oder auch noch zu-
sätzlich mit der DKG über Rah-
menvereinbarungen bei der Umset-
zung zuständig sind. Der für diese
Aufgaben so beliebte Gemeinsame
Bundesausschuss (GBA) spielt mal
wieder eine große Rolle.
Für die Politik und die Ministe-
rien hat dieses Vorgehen durchaus
Charme: Formuliert man doch die
allseits akzeptierten und gewünsch-
ten Vorgaben, überlässt die Umset-
zung aber den Betroffenen, die man
dann auch dafür verantwortlich ma-
chen kann, wenn etwas schief geht.
Auch die Verantwortung für die zu
erwartenden weiteren bürokrati-
schen Maßnahmen, die notwendig
sind, um die gesetzgeberischen Vor-
stellungen zu realisieren, werden
mit Sicherheit der Selbstverwaltung
angekreidet. Ein solches Vorgehen
des Gesetzgebers muss schon als
Missbrauch des Selbstverwaltungs-
gedankens betrachtet werden.
So besteht noch mehr als bisher
die Gefahr, dass etwa die Pflicht-
mitglieder einer KV ihre eigene Ins-
titution nur noch als Drangsalie-
rungsinstrument empfinden. Es
muss daher bezweifelt werden, ob
dies auf die Dauer der Akzeptanz
des Systems insgesamt zuträglich
ist. Man kann nur hoffen, dass das
Gesetz nicht aus dem Bundestag
herauskommt, wie es hineingegan-
gen ist. Es ist Aufgabe der Berufs-
verbände, für dieses Thema die zu-
ständigen gesundheitspolitischen
Sprecher in der Koalition zu sensi-
bilisieren.
Missbrauch der
Selbstverwaltung
DER CHEFREDAKTEUR MEINT
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