Berufspolitik
Nr. 2 • Februar 2013
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Warum haben Sie Medizin studiert?
Der ärztliche Beruf hat in unserer
Familie eine lange Tradition. Mein
Großvater war bereits Chirurg an der
Klinik in Lübeck. Da ich mich zunächst
gegen diese „Tradition“ stellen wollte,
habe ich im ersten Semester auch
Betriebswirtschaft in Berlin studiert,
dies dann aber schnell bleiben lassen.
Warum sind Sie Internist geworden?
Auch diese Entscheidung war nicht ein-
fach. Während meiner Medizinalassis-
tentenzeit in Heidelberg war für mich
das große Vorbild der Chef der Chirur-
gischen Klinik, Prof. Dr. Lindner. Meine
Präferenz ging damals Richtung Herz-
chirurgie, ein zu dieser Zeit schnell auf-
strebendes Fach. In einem langen
Gespräch hat mir Herr Prof. Lindner
damals geraten und dargestellt, dass er
die breitere Entwicklung eher nicht in
der Herzchirurgie sehen würde, da hier
die Möglichkeiten der Entwicklung von
vornherein nur auf die Klinik einge-
schränkt seien, sodass ich mich dann in
Richtung Innere Medizin entwickelt
habe.
Wann ist ein Arzt ein guter Arzt?
Grundvoraussetzung, ein guter Arzt zu
sein, ist für mich zunächst eine fun-
dierte Ausbildung und intensive und
breite Weiterbildung, unabhängig von
dem gewählten Spezialgebiet. Nur so
wird es mir gelingen, einem Patienten
mit überzeugenden Argumenten gegen-
überzutreten. Eine weitere wichtige
Voraussetzung ist die Fähigkeit, einem
Patienten genau zuzuhören, sich dafür
auch die Zeit zu nehmen und Empathie
zu entwickeln.
Was gefällt Ihnen am deutschen
Gesundheitswesen?
In meinem Berufsleben habe ich das
Gesundheitswesen in verschiedenen
Staaten und Erdteilen kennengelernt.
Daher kann ich mit Fug und Recht
behaupten, dass wir in Deutschland ein
sozial tragfähiges und qualitativ hoch-
wertiges Gesundheitssystem besitzen,
das wir unbedingt bewahren sollten.
Kein Patient fällt durch das Raster.
Jeder beneidet uns um die Pflichtversi-
cherung. Und jeder beneidet uns um
unser gut funktionierendes duales Sys-
tem von privaten und gesetzlichen Ver-
sicherungen.
Worin sehen Sie die größten Proble-
me im deutschen Gesundheitswesen?
Ich sehe das größte Problem darin,
dass die Politik vorgibt, dass alles
machbar und bezahlbar ist. Die Politik
scheut sich auch aus unverständlichen
Gründen, eine Debatte über die Priori-
sierung zu führen. Diese Debatte ist
bereits in anderen Ländern mit guten
Ergebnissen geführt worden. Hier kön-
nen wir von z. B. Schweden lernen. Ein
weiteres Problem sehe ich im jetzigen
Finanzierungssystem der Krankenhäu-
ser. Das aktuelle DRG-System fordert
die Kliniken geradezu auf, Abteilungen
nicht nach Bedarf einzurichten, son-
dern nach den besten Gewinnmöglich-
keiten, um damit der chronischen
Unterfinanzierung zu begegnen. Dieses
DRG-System ist auch die Keimzelle für
die nicht zu akzeptierenden Bonusver-
träge für Chef- und leitende Ärzte.
Was liegt Ihnen in der Berufspolitik
am meisten am Herzen?
Als Repräsentant der wissenschaftli-
chen Fachgesellschaft DGIM im Berufs-
verband der Deutschen Internisten hat
für mich die Debatte bei der Novellie-
rung der Weiterbildungsordnung hohe
Priorität, wie auch die Aus-, Weiter-
und Fortbildung insgesamt. Darüber
hinaus ist es mir wichtig, darauf hinzu-
wirken, dass durch Prioritätensetzung
unser Gesundheitssystem finanzierbar
bleibt.
Haben Sie ärztliche und berufs-
politische Vorbilder?
Meine ersten drei klinischen Semester
habe ich in Zürich studiert. Dort hatte
ich beeindruckende klinische Lehrer
wie z.B. den Psychiater Bleuler, den
Pädiater Prader und den Pathologen
Uehlinger. Unvergesslich sind mir auch
die phantastisch organisierten Vorle-
sungen und Perkussionskurse von
Herrn Prof. Siegenthaler. Ein bleibendes
berufspolitisches Vorbild ist für mich
der leider viel zu früh verstorbene
ehemalige Präsident der Bundesärzte-
kammer Prof. Hoppe.
Was bewegt Sie außerhalb Ihres
Berufes am meisten?
Meine größer werdende Familie, politi-
sche Entwicklungen und der Tennis-
sport.
Wohin reisen Sie in den Urlaub?
Seit Jahrzehnten freuen wir uns auf die
Frühjahrs-Skiferien in der Schweiz oder
seit einigen Jahren Österreich. Im Som-
mer verbringen wir drei Wochen in
unserem schönen Ferienhaus auf der
Insel Föhr. Im Herbst versuchen wir
noch einmal Sonne zu tanken in Süd-
spanien oder einer schönen Insel wie
Sardinien oder Sizilien.
Was halten Sie von BDI aktuell?
Die regelmäßige Lektüre von BDI aktu-
ell ist für mich ein Muss. BDI aktuell
greift sehr schnell Entwicklungen im
medizinpolitischen Bereich auf. Sie ver-
schafft mir auch die Vermittlung eines
Meinungsbildes innerhalb des BDI zu
aktuell relevanten Themen.
10 Fragen an ...
Prof. Dr. med. Ulrich R. Fölsch
Der BDI aktuell Fragebogen
Prof. Dr. Ulrich R. Fölsch studierte Medi-
zin in Berlin, Zürich und Heidelberg und
war anschließend an Kliniken in Heidel-
berg, Pforzheim, Dundee (Schottland)
und Göttingen tätig. Von 1990 bis zu
seiner Emeritierung 2009 war er Direk-
tor der Klinik für Allgemeine Innere
Medizin des Universitätsklinikums
Schleswig-Holstein, Campus Kiel.
Im Mai 2012 wurde Prof. Fölsch die
Ehrendoktorwürde durch die Carol
Davila Universität zu Bukarest verliehen.
Darüber hinaus ist Prof. Fölsch Ehren-
mitglied mehrerer wissenschaftlicher
Fachgesellschaften und war und ist in
zahlreichen Gesellschaften in Vorstand
und Präsidium aktiv. So ist er seit 2001
Vorstandsmitglied der Deutschen Gesell-
schaft für Innere Medizin (DGIM), war
2003/04 Präsident und ist seit 2011
Generalsekretär der DGIM. Als Vertreter
der DGIM ist er auch Mitglied des Vor-
standes des BDI.
Der aufgeklärte Patient als Dreh-
und Angelpunkt
Kernbotschaft des sechsseitigen
Beschlusses zur Gesundheitspolitik bil-
det der aufgeklärte Patient, der
zukünftig Dreh- und Angelpunkt des
Gesundheitswesens bilden soll. Ausge-
hend von der These, dass die Gewinn-
maximierung zu Gunsten des Men-
schen im Gesundheitswesen zurück-
stehen sollte, beschreibt die Partei in
ihrem Beschluss mehr unverbindliche
Aussagen als echte innovative Ideen.
Durch die Einbeziehung der Gesund-
heitslehre in den Schulunterricht über
die Prävention als zentrale Aufgabe des
Gesundheitswesens streben die Pira-
ten eine am Patientennutzen orientier-
te Gesundheitsversorgung an. Hierun-
ter verstehen sie die Verbesserung der
Kommunikation zwischen allen Betei-
ligten und ein am Behandlungsergeb-
nis und am Patientennutzen ausge-
richtetes Gesundheitssystem. Hierfür
seien „geeignete Infrastrukturen und
Anreize“ zu schaffen. Soweit wie mög-
lich solle der Mensch selbstbestim-
mend über „Form, Intensität und
Reichweite der Behandlung“ entschei-
den. Dies setze eine Transparenz des
Leistungsangebotes und der Ergebnis-
qualität der Leistungserbringer voraus.
Nachhaltige Gesundheitspolitik zielt
nach Ansicht der Piraten nicht unbe-
dingt nur auf Kostendämpfung son-
dern erreicht eine tatsächliche Wirt-
schaftlichkeit vermutlich eher, sofern
mehr Geld für Qualität und Betreuung
zur Verfügung gestellt wird. Hierbei
wird vor allem auf die sodann niedri-
geren Folgekosten von Erkrankungen
hingewiesen.
Keine Sektorengrenzen
Des Weiteren stehen die Piraten für
eine freie Wahl der Leistungserbringer,
Behandlungsmethoden sowie aner-
kannten Arzneimitteln ein. Da die bis-
herigen starren Sektorengrenzen aus
Sicht der Piraten einer am Patienten
orientierten kontinuierlichen Behand-
lung aus einer Hand entgegenstehen,
sollen Versorgungsangebote von Seiten
des Patienten zukünftig ohne Beach-
tung von Sektorengrenzen frei wählbar
werden. Die Piraten sind im Hinblick
auf das derzeitige unflexible und
extrem regulierte System der Auffas-
sung, dass die derzeitigen Regulierun-
gen in erster Linie dem Schutz von
Partikularinteressen der Anbieter und
weniger der Kostendämpfung oder
dem Patienteninteresse dienen.
Im Bereich der unterversorgten Gebie-
te mit Vertragsärztinnen und Vertrags-
ärzten erhalten die Kommunen das
Recht, hausärztliche Vertragsarztsitze
zu übernehmen und dort Ärzte anzu-
stellen. Mobile Arztpraxen sollen darü-
ber hinaus den Einzug in die Regelver-
sorgung finden. Tiefergehende Analy-
sen und Vorschläge, wie solche Struk-
turen geschaffen werden könnten, bie-
tet der Beschluss leider nicht.
Auch zum Fachkräftemangel haben
sich die Piraten ein Meinungsbild erar-
beitet. Sie sind der Meinung, dass die-
sem wirksam entgegengewirkt werden
kann, sofern Arbeitsbedingungen und
Ausbildungskapazitäten positiv gestal-
tet werden – was immer dies bedeuten
mag...
Finanzierung durch Bürger-
versicherung
Im Hinblick auf die Finanzierung des
Gesundheitswesens deuten die Formu-
lierungen der Piraten auf eine Bürger-
versicherung hin. Ihrer Ansicht nach
sollen alle Bürger unter Berücksichti-
gung der individuellen finanziellen
Leistungsfähigkeit an der Finanzierung
des Gesundheitswesens beteiligt wer-
den. Die Vorstellungen, im Interesse
einer einkommens- und vermögens-
unabhängigen Gesundheitsversorgung
die Privilegien der privaten Kranken-
versicherungsunternehmen abzuschaf-
fen, scheinen hierzu im Widerspruch
zu stehen. Eine Antwort auf die Frage,
wie das Gesundheitswesen einkom-
mens- und vermögensunabhängig
unter der Beteiligung aller Bürger nach
ihren finanziellen Leistungsfähigkeiten
erfolgen soll, bleibt das Papier leider
schuldig.
Im Hinblick auf den Leistungskatalog
soll eine Fokussierung auf wirksame,
notwendige und wirtschaftliche Leis-
tungen unter Berücksichtigung von
Patienteninteresse und Finanzierbar-
keit erfolgen. An solchen Entscheidun-
gen über den Leistungskatalog soll ein
gesellschaftlicher Dialog angestoßen
werden. Grundsätzlich soll jedoch die
Versorgung mit medizinisch notwendi-
gen Leistungen unabhängig von der
finanziellen Leistungsfähigkeit des
Patienten und seiner Form der Versi-
cherung erfolgen.
Eine Förderung der Zusammenarbeit
der verschiedenen Akteure im Gesund-
heitswesen kann aus Sicht der Piraten
durch eine „schnellere Etablierung
offener Standards zur elektronischen
Kommunikation“ gefördert werden.
Im Hinblick auf ein faires Abrech-
nungssystem sind sich die Piraten
einig, dass bei gleichen Leistungen und
vergleichbarer Qualität grundsätzlich
unabhängig von Art und Struktur des
Leistungserbringers auch gleiche und
angemessene Honorierungen erfolgen
müssen. Sofern Pauschalierungen von
Honorarsystemen zur Anwendung
kommen, sollen „Behandlungen von
Patienten mit besonderem Aufwand
angemessen berücksichtigt werden“.
Grundsätzlich sollen die Vergütungen
der Leistungserbringer im Gesund-
heitswesen „angemessen, transparent
und planbar“ sein.
Im allgemeinen Teil der Begründung
des Antrages werden die Piraten doch
ein wenig konkreter, ohne zu starre
Festlegungen zu treffen. In erster Linie
sehen sie die Frage „Wie viel der
Gesellschaft die Gesundheit wert ist?“
Die Entwicklung dieser Vorstellung
geben sie sodann allerdings gleich wie-
der in die Hand der Gesellschaft
zurück. Erst nach einer diesbezügli-
chen Diskussion könnten konkretere
Formen der Finanzierung entwickelt
werden.
Dipl.-Betrw. Tilo Radau
Geschäftsführer BDI
Die Piraten entern die Gesundheitspolitik
(Fortsetzung von Seite 1)
Der Patient im Mittelpunkt