Berufspolitik
Nr. 8/9 • August 2012
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kommt in der Bewertung nicht beson-
ders gut weg. So werden die unter-
schiedlichen Qualitätskriterien bei der
Erbringung gleicher Leistungen im
Krankenhaus und in der Praxis
moniert. Die Wettbewerbsbedingun-
gen seien grundsätzlich ungleich
gewesen. Deshalb werden die jetzt
einheitlich zu definierenden Qualifika-
tions- und Qualitätsanforderungen
von den Sachverständigen bei der
Neufassung des § 116 b ausdrücklich
begrüßt. In der Analyse spielen der
Erlaubnisvorbehalt bei der Erbringung
ambulanter Leistungen über den EBM
und der Verbotsvorbehalt bei der
Erbringung stationärer Leistungen in
der Bewertung eine wichtige Rolle.
Die Sachverständigen begrüßen eine
vorsichtige Öffnung bei neuen Unter-
suchungs- und Behandlungsmethoden
auch für die niedergelassenen Fach-
ärzte, wenn sie die entsprechenden
Voraussetzungen erbringen. Der Sach-
verständigenrat geht davon aus, dass
es damit zwei Klassen von Fachärzten
gibt, solche, die für neue Methoden
zugelassen sind und einen größeren
Leistungskatalog anbieten können und
solche, die sich nach dem EBM zu aus-
zurichten haben.
Dieses Problem sieht der Sachverstän-
digenrat zumindest bei der anfängli-
chen Umsetzung des § 116 b nicht.
Solange der EBM als Grundlage gilt,
wird diese unterschiedliche Rechtsvo-
raussetzung noch nicht zum Tragen
kommen; wenn der Vergütungskata-
log der ambulanten spezialärztlichen
Versorgung jedoch auch Innovationen
aufnehmen wird, wird sich diese Dif-
ferenz durchsetzen.
Bezüglich der Arzneimittel, aber auch
bei der Anwendung von Tariflöhnen
sind entweder Krankenhäuser oder
Vertragsärzte benachteiligt. Diese
ungleichen Organisationsformen sind
aber grundsätzlich bei einheitlicher
Vergütung ein Grundmerkmal des
Wettbewerbs und deshalb nicht prin-
zipiell kritikwürdig. Berechtigt ist die
Kritik aber bei der unterschiedlichen
Investitionsförderung. Krankenhäuser
können die § 116 b-Leistungen unter
den Bedingungen erbringen, die von
der Investitionsseite von der öffentli-
chen Hand finanziert wurden. Diese
Möglichkeit besteht für den Vertrags-
arzt nicht. Die im Gesetz vorgesehene
5 %ige Abschlagsregelung ist offen-
sichtlich willkürlich gegriffen und bil-
det die tatsächliche individuelle Diffe-
renz zwischen Krankenhaus und Pra-
xis bei der jeweiligen Leistung nicht
ab. Begrüßt wird, dass die bei dem
alten § 116 b bestehenden Unterschie-
de in der Mengenbegrenzung zwi-
schen Krankenhaus und Ärzten aufge-
hoben worden sind und beide jetzt
offen abrechnen können, wenn sie die
entsprechenden Qualifikations- und
Qualitätsvoraussetzungen erfüllen.
Insgesamt begrüßt der Sachverständi-
genrat den neuen § 116 b und scheint
auch der Meinung zu sein, dass man
ihn durchaus auf die kurzzeitstationä-
re Behandlung ausdehnen kann. Er
überlegt, dass man den § 116 b auch
unter der selektivvertraglichen Rege-
lung abrechnen könnte. Er kommt
dabei dem Wunsch der Krankenkassen
entgegen, die die ambulante spezial-
fachärztliche Versorgung auch unter
dem Aspekt eines Einkaufsmodells in
die Diskussion eingebracht haben.
Qualitätswettbewerb
Selektives Kontrahieren ist nach Mei-
nung der Sachverständigen auch beim
§ 115 b, dem ambulanten Operieren,
wünschenswert und würde die Situa-
tion hier vereinfachen. Bei den medi-
zinischen Versorgungszentren spürt
man eine Reserve gegenüber der Ein-
schränkung der Investitionsmöglich-
keiten durch den Gesetzgeber, der nur
noch Krankenhäusern und Vertrags-
ärzten die Gründerebene offen lässt.
So stellen sie klar, dass die Befürch-
tung, die Zulassung nicht ärztlicher
Kapitalgeber führe zu einer Beeinflus-
sung der Qualität der Leistungserbrin-
gung nicht durch Studien belegt ist,
und sie sehen auch keine Gefahr einer
Beeinflussung von der Eigentümer-
struktur wie politisch diskutiert, son-
dern halten eher einen auf dem
Anbieter lastenden wirtschaftlichen
Druck unabhängig vom MVZ für
bedeutsamer. Bei dem Thema sekto-
renübergreifender und populations-
orientierter Qualitätswettbewerb
kommt der Sachverständigenrat zu
folgendem Fazit:
▶ Er vermutet weiterhin Effizienz-
verluste durch bislang ungenutzte
Substitutions- und Verlagerungs-
potenziale zwischen der derzeitigen
stationären und ambulanten Leis-
tungserbringung.
▶ Für identische Leistungen sollte ein
einheitlicher Ordnungsrahmen mit
vergleichbaren Qualitätssicherungs-
systemen, gleicher Abrechnung, ein-
heitlichen Leistungsdefinitionen
und vergleichbaren rechtlichen
Möglichkeiten eingeführt werden.
Dabei soll nicht auf den jeweiligen
Sektor Rücksicht genommen wer-
den.
▶ Der Sachverständigenrat stellt klar,
dass es keinerlei Erfahrung dazu
gibt, dass einzelne versorgungspoli-
tische Ziele durch bestimmte
Rechtsformen der Leistungserbrin-
ger besser erreicht werden können
als durch andere. Dieser Satz bedeu-
tet, dass nicht unbedingt Kranken-
häuser auch ambulante Leistungen
besser erbringen als Vertragsärzte
und umgekehrt.
▶ Der Sachverständigenrat spricht sich
dafür aus, dass bei der Aufhebung
sektoraler Grenzen eine Vergü-
tungsangleichung zwischen beiden
Sektoren stattzufinden hat. Er
bemängelt insbesondere, dass die
Vergütung stationärer Kurzzeitfälle
deutlich über der ambulanten
Honorierung angesiedelt ist, sodass
für die Krankenhäuser keinerlei
Anreiz besteht, ihre stationären
Kapazitäten zu reduzieren. Auch das
Fehlen einer monistischen Kranken-
hausfinanzierung zur Angleichung
der Vergütungssysteme wird
moniert.
▶ Positiv bewertet der Sachverständi-
genrat die neu geschaffene ambu-
lante spezialfachärztliche Versor-
gung. Dies sollte aber nach seiner
Meinung nur der Anfang sein, um
das ambulante Potenzial im System
besser auszuschöpfen. Hier wird
eine stärkere selektivvertragliche
Gestaltung der Versorgung gefor-
dert. Insgesamt gesehen sollte diese
Versorgung nach und nach auch die
ambulanten Operationen und die
stationsersetzenden Eingriffe, sta-
tionäre Kurzzeitfälle, Hochschulam-
bulanzen, psychiatrische Institut-
sambulanzen und sozialpädiatrische
Zentren in einer Säule zusammen-
fassen.
▶
Zu guter Letzt fordert er in seinem
Fazit auch einen verstärkten Wett-
bewerb der Krankenversicherer, um
eine gute Versorgung sicherzustel-
len und damit auch um die Versi-
cherten beim Leistungskatalog mehr
Wahlmöglichkeiten zu eröffnen.
(Zu) viele Ansätze für Selektiv-
verträge
In einem gesonderten Kapitel gehen
die Sachverständigen auf die Effizienz
und Effektivverbesserung durch selek-
tive Verträge ein. Derzeit gibt es die
hausarztzentrierte Versorgung (nach
§ 73 b), die besondere ambulante
ärztliche Versorgung nach § 73 c,
integrierten Versorgungsformen nach
§ 140 und strukturierte Behandlungs-
programme nach § 137 sowie Modell-
vorhaben nach § 63 und § 65.
Diese unterschiedlichen Ansätze füh-
ren zu einem erheblichen bürokrati-
schen Aufwand und werden entspre-
chend kritisiert. Insbesondere der
Zwang der gesetzlichen Krankenversi-
cherung, eine hausarztzentrierte Ver-
sorgung anzubieten, hält man für kon-
traproduktiv. Diese widerspreche auch
der Vertragsfreiheit. Die Möglichkei-
ten für selektive Verträge würden
durch die engen gesetzlichen Regelun-
gen mehr eingegrenzt als gefördert.
Ordnungs- und wettbewerbspolitische
Aspekte werden gefordert, die den
Zwang zum Vertragsausschluss aufhe-
ben und die inhaltliche Gestaltung
einschließlich der Vergütung mehr
den Vertragsparteien überlassen.
Besonders kritisch wird die im GKV-
Versorgungsstrukturgesetz vorgesehe-
ne übergeordnete Beitragsstabilität bei
der besonderen ärztlichen Versorgung
bei den integrierten Versorgungsfor-
men kritisiert. Eine enge Bindung an
die Beitragsstabilität mache es
unmöglich, innovative Projekte zu ini-
tiieren, die anfangs vergleichsweise
hohe Kosten verursachen, sich aber
später amortisieren und zudem einen
Beitrag zur Verbesserung der gesund-
heitlichen Ausgaben leisten könnten.
In diesem Kapitel widmet sich der
Sachverständigenrat nochmals der
ambulanten spezialfachärztlichen Ver-
sorgung und weist darauf hin, dass die
Neuordnung des § 116 b einer mehr-
fachen Forderung des Sachverständi-
genrates nachkommt, um an der
Schnittstelle zwischen dem ambulan-
ten und stationären Sektor für die
Krankenhäuser und die niedergelasse-
nen Ärzte einen einheitlichen Ord-
nungsrahmen mit gleichen Zugangs-
und Wettbewerbsbedingungen zu
schaffen. Kritisiert wird dabei das zu
schmale Leistungsspektrum, das noch
enger ausfalle als im vorhergehenden
§ 116 b, der nur den Krankenhäusern
zugänglich war. Auch die ursprünglich
angedachte Erweiterung um ambulant
durchführbare Operationen und stati-
onsersetzende Leistungen aus dem
§ 115 b ist nach Ansicht des Sachver-
ständigenrates zu Unrecht gestrichen
worden, wohl auf Druck der Bundes-
länder und der Krankenkassen.
Auf deren Bedenken geht der Sachver-
ständigenrat gesondert ein. Die Kassen
beklagen, dass eine Bedarfsplanung
oder eine Mengenbegrenzung in dem
Konzept fehle. Hier schlägt der Sach-
verständigenrat eine selektive Ver-
tragsgestaltung vor, die den Kranken-
kassen die Möglichkeit geben soll,
Mengenbegrenzungen und ggf. Vergü-
tungsabschläge zu vereinbaren.
Reform des DRG-Systems
gefordert
Es wird aber festgestellt, dass die
Krankenhäuser sich in ihrer Versor-
gung – im Vergleich zu niedergelasse-
nen Ärzten – kaum mit selektiven Ver-
trägen konfrontiert sehen. Ursache
sind die DRG, bei denen es sich um
nach Ist-Kosten kalkulierte Festpreise
handelt, die den Krankenhäusern
keine Möglichkeit bieten, die Nachfra-
ge über den Preis ihrer Leistung zu
beeinflussen. Eine entsprechende
Reform des DRG-Systems wird von
den Sachverständigen gefordert, um
die Möglichkeit selektiver Verträge
mit Krankenhäusern durch Kranken-
kassen zu eröffnen. In einem weiteren
Kapitel geht es um die Bereinigung der
ambulanten ärztlichen Versorgung bei
selektivvertraglichen Regelungen, die
vom Sachverständigenrat einen beson-
deren Stellenwert erhält. Es ist wohl
aufgefallen, dass die Angst vor dem
Bereinigungsverfahren in der Gesamt-
vergütung der Kassenärztlichen Verei-
nigung ein entscheidender Grund ist,
selektive Verträge möglichst nicht
abzuschließen. Es wird im weiteren
auf die geltenden Bereinigungsverfah-
ren eingegangen, selbige werden kriti-
siert und Verbesserungsvorschläge
eingebracht.
Integrierte Versorgung
Auf die Ergebnisse einer Befragung zur
integrierten Versorgung nach § 140 a
bis d SGB V wird detailliert eingegan-
gen. Ohne auf die besonderen Ergeb-
nisse der Befragung einzugehen, wird
klargestellt, dass es in den Jahren 2008
bis 2009 zu einem Anstieg der Ver-
tragsbeendigungen gekommen ist.
Dies hat mit Sicherheit mit dem Aus-
laufen der 1 %-Finanzierung für die
Verträge zu tun. Insgesamt haben aber
71,6 % der Krankenkassen die Qualität
in der Integrierten Versorgung für
besser als in der herkömmlichen Ver-
sorgung gehalten. Weitere 27,2 % hiel-
ten sie für vergleichbar und nur eine
einzelne Krankenkasse war der
Ansicht, dass die herkömmliche Ver-
sorgung bei ihrem Vertrag besser sei.
Die Krankenhäuser sehen die Situation
anders. Nur etwa ein knappes Viertel
der Häuser schätzt die Versorgung in
der Integrierten Versorgung als besser
ein, 69,2 % sind der Auffassung, dass
sie gleich gut ist und 5,3 % halten die
übliche Versorgung außerhalb der
integrierten Versorgungsformen für
besser. Knapp die Hälfte der Kranken-
kassen sahen ihre Erwartungen in
dem Vertrag erfüllt, aber nur 32 % der
Krankenhäuser.
Die unterschiedlichen Ergebnisse zwi-
schen Krankenkassen und Kranken-
häusern liegen sicher an den Vergü-
tungssituationen, aber auch an der
eher begrenzten Zahl von Patienten,
die in die Verträge eingeschrieben
wurden.
Im letzten Kapitel des Gutachtens
wird der Wettbewerb im Leistungsbe-
reich und hier insbesondere der
Zusatzbeitrag angesprochen, darauf
soll hier nicht detailliert eingegangen
werden.
Politische Implikationen
Aus dem Gutachten ergeben sich eini-
ge politische Implikationen, die auch
für die Politik durchaus einen Anreiz-
charakter besitzen. Der Sachverständi-
genrat sieht offensichtlich, wie Politik
und Krankenkassen, im Wettbewerb
eine Möglichkeit der Kostendämpfung,
auch wenn dies nicht so eindeutig
ausgesprochen wird. Auch in diesem
Gutachten wird Qualitätssteigerung
wieder mit Kostenreduktion gleichge-
setzt.
Die selektiven Verträge werden durch
eine massive Überbürokratisierung
behindert, hier wird mehr Freiheit für
Kostenträger und Leistungserbringer
in der Gestaltung gefordert. Die große
Vielzahl der rechtlichen Möglichkeiten
ist dabei eher hinderlich.
Die Beitragsstabilität hat offensichtlich
nicht den hohen Stellenwert bei den
Sachverständigen, wie man ihn bei
Politik und Krankenkassen findet. So
wird insbesondere bei dem Abschluss
der selektiven Verträge beklagt, dass
auch die Gesetzgebung der letzten
Koalition die Beitragsstabilität über
solche Vertragsgestaltungen gestülpt
hat.
In dem Gutachten gibt es einen Abge-
sang auf die Integrierte Versorgung
nach § 140 d. Offensichtlich hat das
Streichen der 1 %igen Zusatzfinanzie-
rung, aber auch die Schwierigkeit, die
Leistungen in den verschiedenen Sek-
toren zu bereinigen, den Niedergang
der § 140 d Verträge eingeleitet. Eine
Reanimation ist nicht in Sicht.
Als einen wesentlichen Schritt in die
richtige Richtung wird die ambulante
spezialärztliche Versorgung angesehen.
Aber auch hier wird beklagt, dass man
nicht den Mut gehabt hat, zusätzliche
Leistungen angefangen vom ambulan-
ten Operieren bis hin zur stationären
Kurzzeitbehandlung aufzunehmen. Für
die Leistungserbringer ist besonders
der Vorschlag von Bedeutung, dass die
Finanzierung überwiegend über selek-
tive Verträge zustande kommen soll.
Dies bedeutet, dass der Ansatz des
Gesetzgebers, die Zulassung über die
Qualität zu regeln, von den Kranken-
kassen unterlaufen werden könnte. Die
Forderung der Krankenkassen, elektive
Eingriffe im Krankenhaus durch Selek-
tivverträge zu lösen und damit den
Kontrahierungszwang mit zugelasse-
nen Krankenhäusern zu beenden,
stand hier offensichtlich Pate. Insofern
ist es nicht erstaunlich, dass insbeson-
dere diese Passage bei den Kostenträ-
gern Beifall ausgelöst hat.
HFS