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Berufspolitik
Nr. 8/9 • August 2012
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Mit dem überraschenden
BGH-Urteil vom 29. März 2012,
das am 22. Juni veröffentlicht
wurde, wird die ärztliche Frei-
beruflichkeit deutlich gestärkt.
Der Vertragsarzt ist weder ein
Amtsträger noch ein Beauftrag-
ter der Krankenkassen, so lautet
der Tenor des Urteils. Vertrags-
ärzte üben ihren Beruf in frei-
beruflicher Tätigkeit aus, auch
wenn die Zulassung zur ver-
tragsärztlichen Versorgung zur
Teilnahme an dieser Versorgung
nicht nur berechtigt, sondern
auch verpflichtet. Die Tätigkeit
des Arztes wird zuerst von der Arzt-
Patient-Beziehung bestimmt. Dahin-
ter tritt die Rechtsbeziehung zur
Krankenkasse zurück.
Damit scheidet nach dem derzei-
tigen Strafgesetzbuch der Strafbe-
stand der „Bestechung im geschäft-
lichen Verkehr“ aus. Krankenkassen
können nicht frei bestimmen, was
im Gesundheitswesen strafrechtlich
zu verfolgen ist. Dies ist allein Sache
und Aufgabe des Gesetzgebers.
Dass es korruptes Verhalten einzel-
ner Ärzte gibt, ist eine leider nicht
zu bestreitende Tatsache. Dies
widerspricht dem Sozialgesetzbuch
ebenso wie der Berufsordnung.
Hier sind vor allem die Ärztekam-
mern gefordert, gegen schwarze
Schafe konsequenter vorzugehen.
Es ist aber auch festzuhalten, dass
die allermeisten Ärzte sich an dieser
Stelle professionell, also ethisch
und moralisch einwandfrei, verhal-
ten.
Der Berufsverband Deutscher
Internisten, Ihr BDI e.V., begrüßt
dieses Urteil zur Stärkung der
Freiberuflichkeit, verurteilt aber
Präsident
Dr. med. Wolfgang Wesiack,
Hamburg
gleichzeitig korruptes Verhalten
einzelner Ärzte.
Editorial
Wir werden uns an dieser Stelle
auch in Zukunft in die Diskussion
einbringen und uns dazu auch in
der Öffentlichkeit melden.
Dr. med. Wolfgang Wesiack
Präsident BDI e.V.
Die Bundesregierung will ein zweites
Betätigungsfeld beackern, das nicht
minder kostenträchtig ist. Es geht um
die Medizinprodukte. Während die
Arzneimittelsicherheit durch zahlrei-
che inhaltliche Zulassungsvorschrif-
ten vor allem auch europaweit gere-
gelt scheint, ist die Zulassung für
neue Medizinpro-
dukte weit weni-
ger abgesichert.
Der Obmann der
Grünen im
Gesundheitsaus-
schuss, der Arzt
und Bundestags-
abgeordnete Dr.
Harald Terpe aus
Mecklenburg-
Vorpommern,
benennt das Pro-
blem, in dem er
auf „völlig unzu-
reichende Zulas-
sungsverfahren
und fehlende Stu-
dien für riskante
Medizinprodukte“ verweist.
Insider wissen, dass Deutschland für
die Anwendung neuer Medizinpro-
dukte ein Eldorado für die Industrie
darstellt. Auch die sonst so liberale
USA hat über die Food and Drug
Administration (FDA) deutlich höhere
Hürden für eine flächendeckende
Anwendung neuer Medizinprodukte
vorgesehen.
Terpe fordert konsequent ein „euro-
paweit einheitliches Zulassungsver-
fahren“ für Hochrisikoprodukte,
strenge Vorgaben für klinische Studi-
en, ein Medizinprodukteregister und
eine bessere Nutzenbewertung neuer
Untersuchungs- und Behandlungsver-
fahren (NUB).
Dieser Vorschlag – so sinnvoll er auf
den ersten Blick erscheint – ist alles
andere als einfach umsetzbar. Allein
die Definition sogenannter Hochrisi-
koprodukte enthält genügend Spreng-
stoff. Die Bundesregierung macht es
sich am Ende
ihrer Legisla-
turperiode
deshalb ein-
fach, indem sie
die Aufgabe an
Europa dele-
giert und für
Deutschland
allein keinen
umfassenden
Handlungsbe-
darf sieht –
nach dem
Motto: Es
bleibt alles
beim alten.
Dies freut vor
allem die
Industrie, aber auch die Krankenhäu-
ser. Ihr Leistungskatalog lässt sich bei
dem bekannten gesetzlichen Verbots-
vorbehalt für neue Leistungen durch
die NUB-Regelung nahezu beliebig
erweitern und sichert zusätzliche
Einnahmen für den Krankenhaussek-
tor, der sich als Motor medizinischer
Innovationen im deutschen Gesund-
heitswesen sieht.
Alle Beteiligten sollten mit den libera-
len Bedingungen in Deutschland vor-
sichtig und sehr verantwortungsbe-
wusst umgehen, sonst ist Ärger vor-
programmiert.
HFS
Der Markt ohne Grenzen?
Medizinprodukte
Differenzierte Pauschalen
Die seinerzeit eingeführten Pauscha-
len sollen zukünftig wieder differen-
zierter dargestellt werden, verbunden
mit einer besseren Dokumentation
von besonderen Behandlungsanläs-
sen. Darüber hinaus sind Zeitzuschlä-
ge bei besonderer beziehungsweise
außerordentlicher Inanspruchnahme
geplant sowie eine bessere Dokumen-
tation in Differenzierung von neu auf-
getretenen beziehungsweise bekann-
ten Erkrankungen. In diesem Zusam-
menhang soll die sogenannte Kon-
taktziffer ersatzlos gestrichen wer-
den.
Die technischen Leistungen sollen
durchweg niedriger bewertet werden,
wobei sich die Bewertung auf die Fix-
kosten (Erstattung bis zu einer Fall-
obergrenze) und die variablen Kosten
(durchgängige Vergütung) stützen
wird. Kompensiert wird die Abwer-
tung der technischen Leistungen
durch eine Höherbewertung von
„Zuwendungsleistungen“. Darüber
hinaus wird die Kalkulation der tech-
nischen Leistungen dergestalt durch-
geführt, dass eine Auslastung bei
besonders kostenintensiven Verfah-
rung angestrebt wird.
Beispiel Hausärzte
Die Struktur eines neuen EBM soll
sich – am Beispiel der Hausärzte –
folgendermaßen darstellen:
Abgesenkte Versichertenpauschale
ohne Fixkostenanteil unter Berück-
sichtigung der Altersklassen (ggf.
Zuschlag für zeitaufwendige Erst-
anamnese und Abschlag bei Überwei-
sung von in der Versichertenpauscha-
le enthaltenen Leistungen)
+ Fallbezogene Fixkostenpauschale
+ Bonuszuschlag bei Veranlasser-
bezogenen Überweisungsaufträgen
+ Morbiditätsspezifische Zuschläge
+ Qualitätsgesicherte und/oder
besonders förderungswürdige Ein-
zelleistungen
+ Zeitzuschlag bei besonderer und
außerordentlicher Inanspruchnah-
me.
Erste Gespräche 2012, neuer EBM
2014?
Im Hinblick auf die Zeitschiene ver-
bietet sich jedoch ein Vergleich mit
der Automobilindustrie. Während ein
Facelift eines erfolgreichen Produktes
oft mehrere Jahre der Vorbereitung in
Anspruch nimmt, will die KBV ihre
Evaluation des EBM kurzfristig umset-
zen. Die ehrgeizigen Vorstellungen
sehen vor, bereits im September 2012
die Anpassung der Arztgruppenkapitel
mit strukturierten Gesprächen mit
den betroffenen Berufsverbänden zu
starten. Der hieraus entwickelte Kapi-
telentwurf soll an die Berufsverbände
zurückgespielt werden, um gegebe-
nenfalls in weiteren Folgegesprächen
eine finale Konzertierung zu erhalten.
Sofern dies für alle Arztgruppen
geschehen ist, werden die gesamten
Änderungen im KBV-eigenen Gremi-
um „AK 4“ vorgestellt, um sodann die
Grundlage der ersten Verhandlungs-
gespräche mit den Krankenkassen zu
bilden. Die KBV rechnet mit ersten
Gesprächen der Kassenvertreter nicht
vor Sommer 2013, sodass ihres Erach-
tens eine Einführung eines überarbei-
teten EBM nicht vor 2014 realistisch
ist. Auch an dieser Stelle darf man
skeptisch sein, wird doch sehr schnell
aus einem EBM 2014 ein EBM 2014+
Dennoch stellt die KBV in Aussicht,
dass einige derzeit besonders benach-
teiligte Arztgruppen in der Diskussion
bevorzugt behandelt werden könnten
und Korrekturen bereits kurzfristig
vorgenommen werden könnten.
Selbstverständlich wird sich der BDI
wie gewohnt dafür einsetzen, ein
optimales Ergebnis für die Innere
Medizin zu erreichen. Über die Ver-
handlungsergebnisse werden wir wei-
terhin im BDI aktuell berichten.
Dipl.-Betrw. Tilo Radau
Geschäftsführer
Berufsverband Deutscher Internisten
e.V.
Neuer EBM
(Fortsetzung von Seite 1)
EBM-Facelifting 2013,
2014 … 2020+
Mit dem AMNOG hat die Bundesregierung faktisch in die Arzneimit-
telversorgung restriktiv eingegriffen, um die in Deutschland bei den
Innovationen hohen Einstiegspreise in den Griff zu bekommen. Dies
ist ihr teilweise gelungen. Welche Folgen die neue Regelung auf das
Arzneimittelangebot in Deutschland haben wird, wird sich aber erst
in der Zukunft zeigen.
Das Zulassungsverfahren für neue Medizinproduk-
te ist rechtlich unzureichend geregelt, meinen
einige Gesundheitspolitiker und fordern neue –
möglichst europaweit einheitliche – Regelungen.
Möglicherweise wird das ärztliche Honorar schon 2014 neu berechnet. Die „Kontaktziffer“ soll im
neuen EBM wegfallen; „Zuwendungsleitsungen“ sollen hingegen höher bewertet werden.
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