Berufspolitik
Nr. 7 • Juli 2012
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Das Institut macht seine Ergebnisse
an der Entwicklung des Case-Mix bei
der Abrechnung der Krankenhäuser
fest. Hierbei handelt es sich um eine
diagnosegerichtete Abrechnung
gegenüber den Krankenkassen. Das
RWI stellt fest, dass von 2006 bis
2010 pro Jahr 3,1 % mehr Geld ange-
fordert wurde und dass die Fallzahl
um 2 % pro Jahr gestiegen ist. Es wird
behauptet, dass dies durch die Demo-
grafie nicht belegt sei, obwohl Daten,
die dies belegen könnten, nicht ange-
geben werden. Man glaubt, dass diese
Entwicklung nur über ökonomische
Vorgaben plausibel gemacht werden
kann und weist darauf hin, dass unter
anderem bei einem hohen Basisfall-
wert auch die Fallzahlen in den Kran-
kenhäusern gestiegen sind. Man
macht den Anreiz der Grenzkostenbe-
rechnung bei der DRG-Vergütung als
Ursache für die Mengenausdehnung
aus. Gleichzeitig beklagt man, dass es
keinen Wettbewerb im DRG-System
gibt. Die Ist-Kosten-Analyse, die für
die DRG gilt, ist aber ein Preiswettbe-
werb, wie er in dem Gutachten gefor-
dert wird, vom Prinzip her nicht
denkbar.
Ökonomisch orientierte
Anreizsysteme als Lösung?
Das RWI macht sich die Mühe, einige
Vorschläge zu unterbreiten, um diese
aus ihrer Sicht ökonomisch nicht
begründbare Entwicklung einzudäm-
men. Dementsprechend werden auch
rein ökonomisch orientierte Anreiz-
systeme vorgeschlagen.
Zunächst wärmt man den Vorschlag
wieder auf, dass Selektivverträge mit
Krankenhäusern abgeschlossen wer-
den sollen, um die Verpflichtung nach
dem Krankenhausbedarfsplan zu
unterlaufen, dass mit allen zugelasse-
nen Krankenhäusern Versorgungsver-
träge abgeschlossen werden müssen.
Der alte Spruch „Elektiv ist Selektiv“
macht wieder die Runde. Man
wünscht sich einen Wettbewerb bei
den Leistungsanbietern, ohne ihn
gleichzeitig von den Kostenträgern zu
fordern.
Einen besonderen Beigeschmack hat
die Forderung, dass die Schiedsstel-
lenfähigkeit von Verhandlungen zwi-
schen Krankenhäusern und Kranken-
kassen entfallen soll. Dies bedeutet,
dass die Krankenkassen die Verhand-
lungsergebnisse mit den Krankenhäu-
sern diktatorisch vorgeben können.
Die Rechtssicherheit von Vergütung
der Krankenhäuser wird durch diesen
Vorschlag in Frage gestellt.
Zertifikatehandel mit ärztlichen
Leistungen?
Eine besonders interessante Variante
bietet der Vorschlag eines Zertifikate-
handels. Ausgangspunkt ist dabei ein
begrenztes Krankenhausbudget insge-
samt. Es werden Zertifikate für Leis-
tungen an Krankenhäusern vergeben.
Bei Mehrleistungen wird die Vergü-
tung mit einem hohen Abschlag oder
gar nicht mehr bezahlt. Krankenhäu-
ser, die ihre Zertifikate nicht benöti-
gen, können diese an andere Kranken-
häuser verkaufen. Dieser Vorschlag
erinnert an den Zertifikathandel beim
CO
2
-Ausstoß. Der Handel mit Abgasen
hat offensichtlich Pate gestanden bei
dem Vorschlag einer zukünftigen
Krankenhausfinanzierung.
Kritisiert wird auch die mangelnde
Indikationsstellung bei medizinischen
Eingriffen. Man will kursorisch die
Kontrollen verstärken, unter anderem
mit der sattsam bekannten Zweitmei-
nung. Wie üblich macht man sich
über die Kosten dieses Verfahrens
keine Gedanken. Man hat offensicht-
lich die Absicht, die Indikationsstel-
lung für Leistungen ökonomisch zu
rationieren.
Keine medizinischen Argumente
Betrachtet man die vom RWI unter-
breiteten Vorschläge, so erinnern sie
an die politischen Vorschläge der
Krankenkassen aus der Vergangen-
heit. Bei all diesen Punkten wird in
dem Gutachten der Auftraggeber
sichtbar.
Bei der Veröffentlichung des Gutach-
tens wird insbesondere erwähnt, dass
die Kritik sich an der Versorgung von
Herz-Kreislauf-Krankheiten und an
Gelenkoperationen festmacht. Um das
Maß voll zu machen, behauptet
Johann-Magnus von Stackelberg als
2. Vorsitzender des Spitzenverbandes
Bundes der gesetzlichen Krankenkas-
sen, dass man davon ausgeht, dass
diese Mengenentwicklung medizi-
nisch nicht notwendig ist. Auch Rück-
fragen beim Spitzenverband Bund,
wie diese Behauptung aufgrund der
Datenlage begründet werden kann,
sind bisher nicht ausreichend beant-
wortet worden.
Aus ärztlicher Sicht fällt auf, dass das
Thema ohne ein einziges Argument
zur medizinischen Versorgung bear-
beitet wird. Ökonomische Daten wer-
den dargestellt, die medizinische Ver-
sorgung als unzulänglich unterstellt.
BDI: Rein ökonomische
Betrachtung des Gesundheitswesens
ist gefährlich
Der BDI hat in zahlreichen Entschlie-
ßungsanträgen und Publikationen in
der letzten Zeit klar gemacht, dass er
auf die Dauer eine rein ökomische
Betrachtung unseres Gesundheitswe-
sens für hoch gefährlich hält. Offen-
sichtlich gehen die Gesundheitsöko-
nomen von den Vorgaben bei Produk-
tionsgesellschaften, z. B. in der Auto-
industrie, aus. Dort wird die Automo-
bilproduktion kontinuierlich gestei-
gert. Die Produkte bringt man über
Marketingaktionen an den Mann, um
somit den Profit des Unternehmens
zu erhöhen. Wann lernen die Gesund-
heitsökonomen endlich, dass operati-
ve Eingriffe in der Medizin keine
Autos und für Patienten nicht vergnü-
gungssteuerpflichtig sind?
Bei genauer Betrachtung gibt es eine
Reihe von plausiblen Gründen,
warum die vom Spitzenverband Bund
angesprochenen Leistungen – Versor-
gung von Herz-Kreislauf-Krankheiten
und Gelenkoperationen – in unserer
Gesellschaft häufiger angewandt wer-
den. Die Operationsverfahren, insbe-
sondere in der Gelenkchirurgie, die-
nen einer Verbesserung der Lebens-
qualität. Die Indikationsstellung für
diese Verfahren hat sich durch scho-
nendere Operationstechniken und
reduzierte Operationsrisiken entspre-
chend verändert. Solche Eingriffe sind
im Vergleich zu früheren Jahren deut-
lich risikoärmer und mit einer schnel-
leren Rekonvaleszenz durchführbar.
Hinzu kommt der Patientenwunsch
einer älter werdenden Bevölkerung:
Man möchte – und wer will das
nicht? – trotz eines hohen Alters noch
beweglich bleiben und seine Lebens-
qualität erhalten.
All diese Überlegungen bleiben bei
dem Gutachten unberücksichtigt, weil
sich ansonsten die Ökonomen mit
medizinisch notwendigen Daten aus-
einander setzten müssten.
Dafür ist das ordnungspolitische Ziel
der Studie aber eindeutig. Man möch-
te auf Dauer die Krankenhauskosten
für die Krankenkassen festschreiben.
Damit wird eine Rationierung von
Leistungen eingeleitet, die mal wieder
der Arzt gegenüber dem Patienten
medizinisch begründen soll. Man
nennt so etwas: „Alter Wein in neuen
Schläuchen.“
Zu diesem Vorgang passt ein schlech-
ter Witz: „Woran kann man in Mal-
lorca die Rentner aus Großbritannien
von denen aus Deutschland unter-
scheiden? Die Antwort: Die Briten
gehen am Stock!“
Ist dies etwa das Versorgungziel der
deutschen gesetzlichen Krankenkassen?
HFS
Die Kassenärztliche Bundesvereini-
gung (KBV) hat im Jahr 2010 gemein-
sam mit der Universität Trier eine
Befragung über die Berufsperspekti-
ven von Medizinstudentinnen und
-studenten durchgeführt, deren
Ergebnisse im März 2012 veröffent-
licht wurden. Ein wesentlicher
Schwerpunkt des Berufsmonitorings
waren die wahrgenommenen Hürden
der Studenten für eine spätere ambu-
lante Berufsausübung. Insgesamt
beteiligten sich ca. 12.500 Studieren-
de an der Befragung. Ein Drittel der
Studenten befand sich im Grundstudi-
um, die Hälfte im Hauptstudium und
ca. ein Sechstel in der Abschlussphase
des Studiums.
Bei der Befragung wurde unter anderem
auch abgefragt, welche Facharztausbil-
dung für die Studierenden später in
Frage kommen würde. Insgesamt wur-
den 14 Gebietsbezeichnungen vorgege-
ben, von denen die Studierenden maxi-
mal drei ankreuzen durften. Das Ergeb-
nis der Befragung ist aus Sicht der Inne-
ren Medizin sehr erfreulich: Mit 42,6 %
rangiert die Innere Medizin auf Rang
eins deutlich vor der Allgemeinmedizin
mit 29,3 % bei der beliebtesten Fach-
arztausbildung. Geschlechtsspezifisch
haben 40,0 % der weiblichen Studieren-
den und 49,4 % der männlichen Studen-
ten die Innere Medizin favorisiert. Im
Hinblick auf die hausärztliche Versor-
gung haben 44,2 % der Studierenden,
die eine Facharztausbildung in der Inne-
ren Medizin anstreben, eine Tätigkeit als
Hausarzt nicht ausgeschlossen.
Die Work-Life-Balance steht bei über
90 % der befragten Studierenden im
Vordergrund und sollte demnach drin-
gend verbessert werden. Besonders
weibliche Studierende legen Wert
darauf, mehr in Teilzeit arbeiten zu kön-
nen, um Beruf und Familie „unter einen
Hut“ bekommen zu können. Für 75 %
der befragten Studierenden kommt eine
Niederlassung als Facharzt und lediglich
für 38 % eine Niederlassung als Hausarzt
in Betracht. Die hohe Bürokratisierung
und das finanzielle Risiko schrecken
viele Studierende allerdings von einer
Niederlassung ab.
Insgesamt betrachtet ist das Ergebnis
der Studie für die Zukunft der Allge-
meinmedizin ernüchternd, da von einer
recht großen Unterdeckung auszugehen
ist.
S
ebastian Ruff B.A./M.A. in Finance,
Gesundheitsökonom (ebs)
Assistent der Geschäftsführung des BDI
Befragung von Medizinstudenten
Innere Medizin beliebt wie nie zuvor
Spitzenverband Bund
(Fortsetzung von Seite 1)
Aufforderung zur Rationierung
an die Krankenhäuser
Medizinische Leistungen und CO
2
-Ausstoß scheinen einiges gemeinsam zu haben – zumindest soll
man nach Vorstellungen des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen künftig auch mit Zertifikaten
für ärztliche Leistungen handeln können.
Bild: ccvision