Berufspolitik
Nr. 7 • Juli 2012
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heute schon zu großen Anteilen
ambulant in einer Vertragsarztpraxis
stattfindet. Die Delegierten kritisier-
ten, dass dort eine angemessene Ver-
gütung nicht gewährleistet sei, solan-
ge die Weiterzubildenden in Arztpra-
xen keine eigenen Erlöse erzielen und
Praxisbudgets im entsprechenden
Umfang gesteigert werden können.
Dies ginge nur über eine Erhöhung
der Gesamtvergütung der Ärzte. Diese
sei dadurch gerechtfertigt, dass die
Weiterbildung des ärztlichen Nach-
wuchses eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe sei. Zudem sprach sich der
Deutsche Ärztetag dafür aus, bei der
Fortentwicklung der (Muster-)Weiter-
bildungsordnung deren Grundstruk-
tur mit Gebieten, Facharztkompeten-
zen, Schwerpunkten und Zusatzbe-
zeichnungen zu erhalten und zugleich
mehr Weiterbildung in Teilzeit zuzu-
lassen.
Mit Blick auf die Diskussion über eine
modulare Ausgestaltung der Weiter-
bildung betonten die Delegierten des
Ärztetages: „Neue Elemente sollen
nur dann eingeführt werden, wenn
klar ist, welche Probleme damit gelöst
werden und wenn sie die Facharzt-
identität stärken.“ Es gelte, das
Gesamtregelwerk flexibel für die Inte-
gration von Neuerungen zu machen.
„Eine Weiterbildung, die im Wesentli-
chen nur aus Modulen besteht, ist
nach Auffassung des 115. Deutschen
Ärztetages nicht wünschenswert.“
Grundsätzliche Fragen zu Struktur,
Inhalten, Zeiten und Richtzahlen zur
Weiterbildung sollen vor Eintritt in
eine grundlegende Überarbeitung mit
den Landesärztekammern abge-
stimmt werden.
In einem weiteren Beschluss sprachen
sich die Delegierten dafür aus, die
(Muster-)Weiterbildungsordnung an
dem Ziel einer kompetenzbasierten
Weiterbildung auszurichten. Im Rah-
men des Novellierungsprozesses
müsse definiert werden, welche ärzt-
lichen Kompetenzen in der Versor-
gungswirklichkeit in den jeweiligen
Facharztqualifikationen erforderlich
und in der Weiterbildungszeit realisti-
scherweise erreichbar seien.
Breite Palette der
Kooperationsformen
Innovative Konzepte für Kooperatio-
nen von Ärztinnen und Ärzten sollen
stärker gefördert werden. Das hat der
115. Deutsche Ärztetag in Nürnberg
gefordert, der sich in einem Schwer-
punktthema mit unterschiedlichen
Kooperationsformen in der Patienten-
versorgung beschäftigt hat. Dabei
wurde die gesamte Breite der Ver-
tragsgestaltung im SGB V vorgestellt,
von der integrierten Versorgung über
die hausarztzentrierte Versorgung bis
hin zu neuen gesetzlichen Möglich-
keiten des Versorgungsstrukturgeset-
zes, wonach Ärztenetze im Rahmen
des Kollektivvertrages selbst Budget-
verantwortung übernehmen können.
In einer Entschließung forderte der
Ärztetag die Ärztekammern, die Kas-
senärztlichen Vereinigungen und die
Berufsverbände auf, niedergelassene
Ärzte mit Beratungsangeboten bei der
rechtssicheren Umsetzung von
Kooperationen zu unterstützen.
Der Vize-Präsident der Bundesärzte-
kammer und Präsident der Bayeri-
schen Landesärztekammer, Dr. Max
Kaplan, wies darauf hin, dass die
Palette möglicher Kooperationsfor-
men breit sei und von der Gemein-
schaftspraxis, über die Versorgungs-
praxis, dem Regionalen Versorgungs-
zentrum bis hin zum Ärztenetz rei-
che. Die junge Ärztegeneration sollte
die vorhandenen Chancen nutzen,
forderte der BÄK-Vize und nannte vier
Hauptgründe für die Notwendigkeit
von Kooperationen. Diese ergebe sich
vor allem aus dem wachsenden und
sich verändernden Versorgungsbedarf
aufgrund des demografischen Wan-
dels, aus den veränderten Bedürfnis-
sen der Patienten, aus dem zuneh-
menden Fachkräftemangel sowie aus
dem zunehmenden Fortschritt mit
Spezialisierungen in der Medizin. „Es
besteht dringender Handlungsbedarf,
da sich die Patientenversorgung künf-
tig nur über kooperative Versorgungs-
strukturen sicherstellen lässt“, sagte
Kaplan.
Eingehend befasste sich der Ärztetag
auch mit dem kooperativen Belegarzt-
wesen. Dieses leiste seit Jahren einen
wichtigen Beitrag für eine nahtlose
ambulante, vorstationäre, stationäre
und nachstationäre Patientenbehand-
lung, sagte Dr. Martina Wenker, BÄK-
Vize-Präsidentin und Präsidentin der
Ärztekammer Niedersachsen. „Die
sektorübergreifende Tätigkeit von
Belegärzten ist integrierte Versorgung
schlechthin.“ Wenker forderte, das
Belegarztwesen zu erhalten und zu
stärken. Dabei müsse die freiberufli-
che Ausprägung der belegärztlichen
Tätigkeit und die wirtschaftliche
Selbstständigkeit der Belegärzte
bewahrt werden.
Die BÄK-Vizepräsidentin sprach sich
für eine intensive Förderung der
unterschiedlichen Kooperationsmög-
lichkeiten im Gesundheitswesen aus.
Neben Ärztekammer, Kassenärztlichen
Vereinigungen und Berufsverbänden
sieht sie auch die Politik und die Kos-
tenträger in der Verantwortung, die
Ausgangsbedingungen für neue
Kooperationsformen zu verbessern.
Notwendig seien eine angemessene
Vergütung der Kooperations- und
Managementaufgaben sowie eine
Anschubfinanzierung für Kooperati-
onsprojekte.
Der Ärztetag hat den Gesetzgeber
außerdem zu Bürokratieabbau im
Gesundheitswesen aufgefordert. Befra-
gungen hätten gezeigt, dass Klinikärz-
te mehr als ein Drittel ihrer Arbeitszeit
mit Dokumentationen verbringen, die
von der gesetzlichen Krankenkasse
vorgeschrieben werden. In den Arzt-
praxen sei der bürokratische Aufwand
noch höher. Die überbordende Büro-
kratie entziehe der eigentlichen
Patientenversorgung Zeit und Milliar-
denbeträge. Zudem vermindere sie die
Attraktivität des Arztberufes.
KS
Die Aktion dürfte von langer Hand
geplant gewesen sein. Und: Der „Fang-
prämien-Schuss“ des Spitzenverbandes
Bund der Krankenkassen (GKV-SV) traf
waidgerecht ins Schwarze. Pünktlich
am Tag der Eröffnung des 115. Deut-
schen Ärztetages in Nürnberg am
22. Mai 2012 führte der Kassenver-
band viele Leistungserbringer im
Gesundheitswesen buchstäblich als
quasi korrupt, bestechlich oder
erpressbar vor und stellte sie damit an
den öffentlichen Pranger. Die Berliner
Journaille griff das Thema hechelnd
auf, als der GKV-SV titeln ließ: „Studie
belegt: Zuweisungen gegen Entgelt
keine Einzelfälle – erhebliches Korrup-
tionspotenzial“. Wieder einmal gras-
sierte der Eindruck, die Zustände im
deutschen Gesundheitswesen sind
schlimmer als in einer „Bananenrepu-
blik“. Das hätte nicht sein müssen,
doch wieder einmal hatten die Öffent-
lichkeitsarbeiter der Interessenverbän-
de blendend gepennt und sich auf
ihren Lorbeeren früherer Jahrzehnte
ausgeruht.
Von einer Fensterfront der Zentrale
des GKV-SV in der Berliner Mittelstra-
ße blickt man auf die aktuell gar nicht
mehr so prächtige Renommierallee
„Unter den Linden“. Von den Zwangs-
beiträgen der 145 Kassen lässt es sich
halt gut leben und planen. Am Abend
des 22. Mai 2012 spazierte gegen
18.40 Uhr der Pressechef des Verban-
des, Florian Lanz (44), sichtlich zufrie-
den, aber gezeichnet vom Stress des
Tages, über den Boulevard zur nahe
gelegenen U-Bahn-Station, um nach
Hause zu gelangen. Wieder einmal war
es ihm und seiner Truppe gekonnt
gelungen, den Medizinern die Vorherr-
schaft in den Medien zu klauen. Denn
zu normalen Zeiten hätten die Ausfüh-
rungen auf der Eröffnungsveranstal-
tung des traditionellen Ärzte-Things
die Schlagzeilen dominiert. Im Jahr
2012 war das anders. Mit der Wieder-
auflage der „Fangprämien-Debatte“
produziert man schönere Storys als
politische Salbadereien aus dem Fran-
kenlande. Ob wenige Zimmer weiter
oder später in einer der über 13.000
gastronomischen Unternehmungen in
der Hauptstadt an diesem Abend die
Champagnerkorken geknallt haben
oder aber süffiges Weizenbier die
Kehle herab glitt, ist unbekannt. Aber
Gernot Kiefer (55), das zuständige Vor-
standsmitglied beim GKV-SV, dürfte
sich nicht nur die Hände vor lauter
Freude gerieben haben. Im internen
Vorstandswettbewerb „Wer führt die
Leistungsanbieter am besten vor“
hatte der diplomierte Sozialwirt wich-
tige Punkte gesammelt. Denn das
Thema „Korruption im Gesundheits-
wesen“ gehörte schon zu seinen Zeiten
als stellvertretender Vorstandsvorsit-
zender des IKK-Bundesverbandes zu
seinen Lieblingssteckenpferden.
Neben den sanft dahin dämmernden
PR-Chefs der Interessensverbände der
Leistungsanbieter müsste sich aber
eigentlich auch die Hauptstadtjour-
naille vor Scham verstecken. Sie ließen
sich von einer repräsentativen EMNID-
Studie blenden, die wissenschaftlich
vom Economy & Crime Research Cen-
ter der Hallenser Universität in Auftrag
gegeben worden war. Von einer reprä-
sentativen Befragung spricht man,
wenn mindestens 1.004 Interviews
auswertbar sind. EMNID hatte 600
niedergelassene Mediziner (je 60 Ärzte
aus zehn Facharztgruppen) telefonisch
befragt. Darüber hinaus 361 weitere
Leistungserbringer aus Apotheken,
Sanitätshäusern sowie Hörgeräteakus-
tiker, Orthopädieschuhmacher und
Physiotherapeuten sowie 180 leitende
Mitarbeiter stationärer Einrichtungen.
Die Auswahl der Interviewten erfolgte
innerhalb der gebildeten Gruppen
nach dem Zufallsprinzip. Alles ganz
sauber und wissenschaftlich relevant.
Das Problem jedoch: Die Ergebnisse
der telefonischen Befragungen wurden
auf die Allgemeinheit der über vier
Millionen Tätigen im deutschen
Gesundheitswesen „hochgerechnet“
und damit „verallgemeinert“, wie es
immer so schön heißt. Danach meinen
eben fast zwei Drittel aller nicht-ärztli-
chen Leistungserbringer, „dass nieder-
gelassenen Ärzten gelegentlich oder
häufig wirtschaftliche Vorteile für
Zuweisungen gewährt würden.“ Ob es
eine Tüte Drops oder eine Geldleistung
ist, geht aus der der A+S-Redaktion
vorliegenden Zusammenfassung der
Studienergebnisse nicht hervor. Derar-
tige Ergebnisse stellen aber ein gefun-
denes Fressen für die „Attacke“-Truppe
beim GKV-SV dar.
Kein Wunder, wenn sich Vorstand Kie-
fer wie folgt zitieren ließ: „Ich bin
sicher, dass viele Leistungserbringer
korrekt handeln. Wenn man aber
durch die Selbsteinschätzung der Bran-
che sieht, dass jeder fünfte Arzt die
berufsrechtlichen Verbote nicht kennt
und zugleich Zuweisungen gegen Ent-
gelt auch als selbstverständlich
ansieht, ist das ein Skandal. Denn das
hieße, dass hochgerechnet mehr als
27.000 niedergelassene Vertragsärzte
schon heute gegen das Berufsrecht
verstoßen. Würde hier das Strafrecht
angewendet werden, wäre klar wel-
ches hohe Korruptionspotenzial im
deutschen Gesundheitswesen besteht.“
Noch viel etablierter sei das System bei
stationären Einrichtungen und bei den
von den ärztlichen Verordnungen
abhängigen Leistungserbringern. Etwa
ein Viertel (24 Prozent) der stationä-
ren Einrichtungen und fast jeder zwei-
te (46 Prozent) der nichtärztlichen
Leistungserbringer hätten die Praxis
als „üblich“ bezeichnet.
Man kann trefflich darüber streiten, ob
eine einzelne „repräsentative“ Studie
ausreichend ist, „Nehmer“ und „Geber“
im Gesundheitswesen und dank
„Hochrechnungen“ gleich alle Berufs-
angehörigen an den Pranger zu stellen.
Eigentlich hat es weder ein gut situier-
ter Praxisinhaber noch eine eingeführ-
te Klinik nötig mit Fangprämien zu
arbeiten. Und auch wenn mancher
ängstliche Akteur mittelschwere oder
gar gravierende Umsatzeinbußen
befürchtet, ist er in seinem Fach Spitze,
dann dürfte auch im 21. Jahrhundert
das Einkommen trotz überfüllter
Märkte mehr als auskömmlich sein. Ob
„Kavaliersdelikt“ oder nicht, bedenk-
lich ist eher, dass mittlerweile durch
einzelne „schwarze Schafe“ ganze
Berufsstände als geldgierige Bewohner
von Bananenrepubliken diskriminiert
werden können. Den diversen Verbän-
den, Organisationen und Körperschaf-
ten im Gesundheitswesen sei empfoh-
len, hier in den eigenen Reihen zu for-
schen und ihre PR-Strategien auf den
Prüfstand zu stellen. Denn wenn der
GKV-SV weiterhin so gekonnt auf der
Klaviatur „alle sind korrupt“ spielt,
dürfte bald der Ruf nach dem Gesetz-
geber laut werden. Und auf ihre Wie-
derwahl erpichte Politiker lassen sich
gerne darauf ein, den „Saubermann“
zu spielen.
Wolfgang Lange
Der Kommentar ist erstmals erschienen
in A+S aktuell – Ambulant und Stationär
aktuell, Nr. 21 – 12.
Kommentar
Fangprämien: Leistungs-
erbringer lassen sich vom
GKV-SV gekonnt vorführen
Dr. Max Kaplan, Vize-Präsident der
BÄK, wies auf die zahlreichen
Kooperationsformen in der Medi-
zin hin: „Es besteht dringender
Handlungsbedarf, da sich die
Patientenversorgung künftig nur
über kooperative Versorgungs-
strukturen sicherstellen lässt“,
sagte er.
BÄK-Vize-Präsidentin Dr. Martina
Wenker forderte, das Belegarzt-
wesen zu erhalten. Die wirtschaft-
liche Selbstständigkeit der Beleg-
ärzte müsse bewahrt werden.
Bild: Bundesärztekammer
Bild: Bundesärztekammer