StartseitePresseKontakt

| Interview

Sprache schafft Sichtbarkeit: über das Gendern im Berufsverband

Die Präsidentin des Berufsverbands Deutscher Internistinnen und Internisten über die Umbenennung des Verbandes und warum sie absolut kein Fan der Frauenquote ist.

© luismolinero – stock.adobe.com

von Julia Rotherbl

Es gibt Berufsverbände, an deren Spitze noch nie eine Frau gestanden hat. Bis September 2020 war das auch beim "Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten" so. Der damals auch noch "Berufsverband Deutscher Internisten" hieß – dann wurde die erste Präsidentin gewählt, Christine Neumann-Grutzeck. Eine der Änderungen, die sie angestoßen hat: den Berufsverband umzubenennen. Was das - im weitesten Sinne - mit einem Professor zu tun hat, der im Tutu durchs Krankenhaus tanzt...

"Frau Doktor, übernehmen Sie!" - Der Podcast der Apotheken Umschau zum Nachhören

„Medizin ist weiblich. Betrachtet man das komplette Gesundheitswesen, arbeiten dort in überwiegender Mehrheit Frauen. Trotzdem gibt es immer noch Berufsverbände oder andere Selbstverwaltungsorganisationen, an deren Spitze noch nie eine Frau gestanden hat. Bis September 2020 war das auch beim Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten so. Der damals auch noch Berufsverband Deutscher Internisten hieß. Dann wurde die erste Präsidentin gewählt, Christine Neumann-Grutzeck. Sie ist zu Gast in dieser Folge des Podcasts „Frau Doktor, übernehmen Sie!“. Ich bin Julia Rotherbl, Chefredakteurin der Apotheken Umschau. Und ich freue mich heute über einen Austausch unter anderem zum Thema, warum Sprache auch Macht ist.

Kapitel 1: Sprache schafft Sichtbarkeit – Über das Gendern im Berufsverband

Julia Rotherbl:
Herzlich willkommen, Frau Neumann-Grutzeck. Schön, dass Sie da sind.

Christine Neumann-Grutzeck:
Ja, vielen Dank. Schönen guten Tag. Ich freue mich auch sehr, bei Ihnen sein zu dürfen.

Julia Rotherbl:
Genau. Ich habe Sie ja schon vorgestellt und habe schon diesen langen Titel, diesen langen neuen Titel des Berufsverbandes genannt - Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten. Vielleicht können Sie mir nochmal erzählen, warum Ihnen dieser Schritt so wichtig war, dass auch die Frauen in dieser Verbandsbezeichnung auftauchen.

Christine Neumann-Grutzeck:
Es gibt ja immer diesen Spruch „Die Medizin wird weiblich“. Eigentlich muss man ehrlicherweise sagen, die Medizin ist schon weiblich. Und das betrifft alle. Das betrifft die Medizin an den Universitäten, das betrifft unsere Arbeitsweise. Es betrifft eben auch unsere berufspolitische Arbeit und das betrifft auch unsere Verbände. Und wir sehen halt, dass ein immer größerer Anteil... Gerade im Nachwuchs haben wir sogar mehr Frauen als Männer, die in den Verband eintreten. Und dann ist es einfach wichtig, dass alle sich vertreten fühlen und auch in dem Namen auftauchen. So ähnlich haben wir auch die Satzung geändert. Da gab es nämlich nur einen Präsidenten.

Julia Rotherbl:
Ja, das habe ich gelesen.

Christine Neumann-Grutzeck:
Da hätte ich gar nicht gewählt werden dürfen. Also musste man das eben anpassen. Das ist halt der Gang der Zeit im Moment. Und das war dann auch nötig. Und das hat viele Jüngere gerade gefreut.

Julia Rotherbl:
Jetzt ist so ein bisschen meine Frage, ob es die Älteren auch gefreut hat. Wir haben ja in der Apotheken Umschau jetzt dasselbe im Prinzip umgesetzt. Wir schreiben jetzt von Ärztinnen und Ärzten von Patientinnen und Patienten, von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Und ich bekomme schon auch viele Leserbriefe, teils auch nicht wirklich freundlich formuliert, was dieser Scheiß eigentlich soll. So in die Richtung. Bei Ihnen im Verband hat das jetzt den Eindruck gemacht, als wäre das tatsächlich sehr harmonisch abgelaufen und von allen mitgetragen worden. War's denn so?

Christine Neumann-Grutzeck:
Das war auch so, muss man sagen. Also das war wirklich so. Da gibt es natürlich vereinzelte Stimmen immer mal. Es gab auch ganz vereinzelt Kollegen, die den Verband verlassen haben aufgrund dieser Umbenennung. Aber das waren wirklich Einzelfälle. Und in der Delegiertenversammlung, im Vorstand ist das alles sehr einvernehmlich über die Bühne gegangen und auch gerade... Es gab auch viele Ältere, die gesagt haben „Ja, das müssen wir unbedingt machen.“

Julia Rotherbl:
Wie argumentieren Sie denn, wenn jetzt jemand zu Ihnen sagt, er versteht diese Veränderungen nicht? Eigentlich sind mit dem generischen Maskulinum, wie man so schön sagt, ja alle mitgemeint.

Christine Neumann-Grutzeck:
Es gibt so ein schönes Beispiel. Also, es ist im Prinzip so dargestellt - Professor Maier tanzt im Tütü über den Flur der Universität. Und dann soll jeder sich mal vorstellen, was er selber sich in dem Moment vorstellt. Und ich fand es eben ein schönes Beispiel. Ich habe das irgendwo gelesen - ehrlicherweise ich weiß gerade nicht wo - aber man stellt sich keine Frau vor, weil wenn das eine Frau gewesen wäre, würde man sagen „Okay, die geht heut zum Ballett, was auch immer.“ Aber bei einem Mann kommen da direkt andere Ideen und das ist eben doch nicht so, dass man das automatisch mitdenkt. Also es gibt viele Situationen, wo einfach mit dem generischen Maskulinum eben doch die Frauen nicht mitgedacht werden. Und deswegen muss man es manchmal auch aussprechen.

Kapitel 2: Mehr Mut! Frauen für die Verbandsarbeit motivieren

Julia Rotherbl:
Was glauben Sie, woran liegt es denn, dass so wenig Funktionsträger - jetzt auch in ihrem Verband, aber generell, wenn man sich die Selbstverwaltung der Medizin anschaut - eben Frauen sind. Hat es mit der Organisation dieser Verwaltungen zu tun, dass die Treffen usw. immer irgendwie zu Zeiten stattfinden, wo vielleicht auch Mütter schlecht können? Dass Frauen sich nicht so in den Vordergrund drängen, dass die Männer immer die Männer wählen?

Christine Neumann-Grutzeck:
Ich glaube, es sind ganz viele Punkte. Sie haben schon viele wichtige angesprochen. Natürlich - man weiß es, es hat ja auch Untersuchungen gegeben - der Mann sucht dann eher wieder den Mann aus und spricht ihn eher an. Es ist sicherlich auch eine Frage, wie funktionieren solche Systeme? Welche Netzwerke gibt es?
Sicherlich, es spielt auch eine Rolle, dass Frauen manchmal ein Stück weit zu zurückhaltend sind und sich gar nicht trauen, nach vorne zu gehen und sich zu melden. Manchmal fehlt uns dann ein kleines bisschen das Selbstbewusstsein, einfach mal zu sagen „Wir können das auch.“ Weil wir viel kritischer an vielen Stellen oder viele Frauen sehr viel kritischer mit sich selber umgehen und sich sehr viel mehr hinterfragen „Traue ich mir das zu. Bin ich wirklich die Beste? Kann ich das wirklich machen? Wer nicht der Mann vielleicht doch besser?“ Und da müssen wir uns einfach mehr trauen und auch ein Stück weit unsere Netzwerke bilden. Das finde ich einen ganz, ganz wichtigen Punkt dabei.

Julia Rotherbl:
Wie haben Sie denn zu dem Vertrauen gefunden, sich auf dieses Amt zu bewerben?

Christine Neumann-Grutzeck:
Durch Unterstützung von vielen Männern, die gesagt haben „Du kannst das, macht das.“ Also, das spielt schon eine Rolle. Ich finde es auch ganz wichtig, dass man eine Unterstützung hat, dass man Kolleginnen und Kollegen hat, die einem helfen und ein Stück weit auch bestärken. Das war bei mir auch so.

Julia Rotherbl:
Und jetzt generell so sind Sie ja in dieser Verbandsarbeit hauptsächlich von Männern umgeben. Wo finden Sie denn dann Anknüpfungspunkte zum Netzwerken?

Christine Neumann-Grutzeck:
Also, ich habe schon zu meiner Zeit als Vizepräsidentin einen Arbeitskreis „Internistinnen im BDI“ gegründet und wir haben da Veranstaltungen gemacht. Am Anfang haben wir die noch versucht in Präsenz zu machen und haben sehr schnell gesehen... Da hat uns die Pandemie natürlich in die Karten gespielt, machen das mittlerweile als regelmäßige Veranstaltung, als Videokonferenzen. Und das hat sich sehr bewährt, weil es einfach die Möglichkeit gibt, mal eben abends zwei Stunden sich irgendwo einzuschalten. Das kann man von zu Hause machen, das kann machen... Dann sind die Kinder vielleicht schon im Bett oder irgendwie der Partner hat Zeit, sich um die zu kümmern. Man muss nicht nochmal die ganze Reisezeit auf sich nehmen. Das hat sich sehr bewährt.
Und da haben wir mittlerweile einen festen Stamm von vielen Kollegeninnen, die dabei sind, die sich untereinander austauschen. Wir haben da verschiedene Themen bewegt. Und das ist ein Weg. Und das geht eben zum einen in den Beruf rein, aber das zweite geht eben auch in die Berufspolitik , dass man es eben schafft, Frauen zu motivieren.

Julia Rotherbl:
Sind sie denn... Also, haben Sie tatsächlich so ein Gefühl von Optimismus, dass sich da jetzt was tut? Oder stoßen Sie schon noch an viele Grenzen?

Christine Neumann-Grutzeck:
Ich bin da eigentlich optimistisch. Ich glaube wirklich, dass in vielen Bereichen das Bewusstsein auch da auch wahrgenommen wurde. Also, es gibt ja auch andere Berufsverbände, die sich jetzt umbenannt haben. Es gibt die Bestrebung, aktiv zu werden und auf lange Sicht wird es funktionieren, wenn es gut läuft. Und ansonsten glaube ich schon, dass wir auf einem guten Wege sind. Manchmal geht es nicht ganz so schnell, wie man es vielleicht gerne hätte. Aber ich glaube, der Weg ist richtig eingeschlagen und das Ziel wird auch erreicht.

Kapitel 3: Berufspolitik als Chance, das System gerechter zu machen

Julia Rotherbl:
Wenn Sie jetzt an Ihre berufliche Laufbahn vor diesem Amt denken - gab es Punkte, wo Sie gescheitert sind, weil Sie eine Frau sind?

Christine Neumann-Grutzeck:
Ja. Ja, es gab... Also, so eine der ersten Situation, wo es mir richtig bewusst geworden ist, als ich als Mutter zweier kleiner Kinder mich auf eine Stelle beworben habe und der Chefarzt mir explizit gesagt hat „Sind ja gut qualifiziert, wäre alles schön. Aber Sie haben zwei kleine Kinder, da sind Sie ja dauernd krank“. Und das war der Grund, mich nicht einzustellen.
Heutzutage würde man da wahrscheinlich sogar juristisch gegen vorgehen können. Damals habe ich das nicht gemacht und ich kann sagen im Nachhinein, wenn ich auf meine Berufstätigkeit zurückguck, ich habe - und das kann ich immer noch nachschauen - zwei Tage in meiner ganzen Berufstätigkeit, in der Zeit meine Kinder überhaupt in dem betreuungsnotwendigen Alter waren, wo ich wirklich mal dieses berühmte Kind-krank genommen habe. Ansonsten war ich immer da.

Julia Rotherbl:
Aber das ist eine Erfahrung, die viele Frauen machen, dass es dann einem erst so richtig bewusst wird, was es noch für Gender-Unterschiede gibt, wenn man dann eine Familie gegründet hat. Das war auch bei mir der Punkt, wo ich gemerkt habe „Oh okay, jetzt gibt's irgendwie hier plötzlich Vorurteile.“
Also, ich hatte zum Beispiel einen Anruf von einem Chefredakteur, der mich zu einem Vorstellungsgespräch quasi einladen wollte und ich war hochschwanger und ich hab's ihm nicht gesagt , dass ich hochschwanger bin. Hab mich mit ihm dann getroffen. Ich weiß noch genau, als ich durch die Tür reingekommen bin – er kannte mich schon - sind ihm kurz die Gesichtszüge entglitten. Und ich hab ihm dann gesagt, dass ich mir das eigentlich so vorstelle, dass mein Partner Elternzeit nimmt und dass ich dann kurz danach wieder im Beruf einsteige. Und das hat er mir nicht abgenommen. Also es war so „Na ja, jetzt warten Sie mal, dann kommen die Hormone nach der Geburt und dann bleiben Sie bestimmt doch zu Hause“.

Christine Neumann-Grutzeck:
Das ist ja auch das, was wir in der Biografie sehen, wenn wir uns jetzt die Ärztin und die Karriereentwicklung angucken. Die Ärztinnen starten super in das Studium, die schließen das gut ab, die starten in jungen Jahren toll, die sind genau so weit wie die Männer und mit - ich sage mal – so Anfang, Mitte 30 mit der Kinderplanung gibt's diesen Karriereknick und der zieht sich halt durch. Und manches, was man da an Knick hat, kann man auch im Laufe seines Lebens einfach nicht wieder aufholen.
Und was auch ja über weite Strecken auch andere Verbände mittlerweile sehen, ist diese große Benachteiligung von Frauen während der Schwangerschaft. Das Mutterschutzgesetz führt eben doch zu deutlichen Einschränkungen. Hat gerade in der Pandemie dazu geführt, dass eigentlich alle Frauen direkt mit der Schwangerschaft ins Beschäftigungsverbot geschickt wurden in der Medizin, weil eben immer diese Infektionsgefahr dort als Wichtigstes angesehen wurde. Dabei sagt das Gesetz eigentlich etwas anderes. Das sagt, man muss prüfen in jedem Einzelfall, welche Möglichkeiten es gibt und versuchen mit Schutzmaßnahmen das Arbeiten zu ermöglichen. Und da fängt der Karriereknick schon an.

Julia Rotherbl:
Sie haben ja jetzt dieses Mutterschutzgesetz genannt. Gibt's da noch andere Möglichkeiten, wo man jetzt quasi auch von so einer Berufsvertretungsseite irgendwie was an Schrauben drehen kann, um die Benachteiligung von Frauen in der Medizin zu lindern?

Christine Neumann-Grutzeck:
Da wir eben schon mal darüber gesprochen haben - Netzwerke sind ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Die Unterstützung, die die Herren untereinander an vielen Stellen haben. Dass man eben Kontakte herstellt, dass man Möglichkeiten hat, dass man auch von Vorbildern lernen kann. Auch das ist ja Teil der Netzwerkarbeit, dass jemand, der diese Stufen schon mal durchlebt hat, einem sagen kann „An der Stelle machst du dieses oder jenes.“ Das fällt mir auch bei unseren Treffen immer auf, dass das die großen Fragen sind „Wie mache ich das denn?“ Und genauso ein weiterer Punkt ist, dass wir uns anschauen...
Also Beispiel Weiterbildungsordnung. Als ich in Teilzeit eine Zeit gearbeitet habe, hab ich erst nach ein paar Wochen festgestellt, dass man Teilzeittätigkeit in einer Weiterbildung hätte bei der Ärztekammer anmelden müssen. Ich habe das dann getan und habe dann einen Bescheid bekommen, in dem drinnen stand, dass ab dem Tag der Antragstellung diese Weiterbildung anerkannt würde. Aber die Wochen davor eben nicht. Und dann habe ich gedacht „Das muss ja nicht sein“. Heute ist es anders. Heute ist dieses vorbei und heute werden Teilzeitweiterbildungen auch anerkannt. Aber das sind Dinge, die Frauen berufspolitisch erarbeitet haben. Einfach durch die Tatsache, dass sie in den Kammern aktiv dafür war.

Julia Rotherbl:
Das heißt, je mehr Frauen sich dann tatsächlich berufspolitisch engagieren würden, desto mehr würden auch die Interessen von Frauen in den Blick kommen und vertreten werden.

Christine Neumann-Grutzeck:
Auf jeden Fall. Das ist einer der Gründe, weshalb ich Frauen motiviere, da mitzumachen. Und es macht auch Spaß.

Julia Rotherbl:
Ja, es hört sich immer sehr trocken an... Also, so Ärztekammer... Was würden Sie denn sagen, was hat Ihnen oder macht Ihnen am meisten Spaß?

Christine Neumann-Grutzeck:
Es macht Spaß zu gestalten und Dinge verbessern zu können. Also, ich finde es schwierig, über Sachen zu schimpfen und nicht versuchen, sie zu ändern. Das ist so eine Grunddevise in meinem Leben, dass wir versuchen etwas dagegen zu tun, wenn mir was nicht gefällt. Und es macht einfach Spaß, weil man auch viele Kontakte hat, nette Gespräche hat und gemeinsam Dinge gestalten kann und durchsetzen kann. Das ist einfach eine spannende Arbeit. Und nochmal eine ganz andere Perspektive auf den eigenen Beruf.

Kapitel 4: Das „Ich-würde-sagen“-Spiel

Julia Rotherbl:
Frau Neumann-Grutzeck, wir würden jetzt auch gerne kurz die Perspektive wechseln. Wir würden gerne ein kleines Spiel mit Ihnen spielen. Durch diese Spiel begleitet uns meine Podcast-Redakteurin Anja. Hallo Anja.

Anja Kopf:
Hallo.

Julia Rotherbl:
Und Anja erklärt uns jetzt auch gleich, was wir eigentlich tun müssen.

Christine Neumann-Grutzeck:
Ich bin gespannt.

Anja Kopf:
Ja, ich freue mich auch total, dass ich hier bei dem Spiel die Spieleleiterin sein darf, während ich sonst bei den Aufnahmen immer sehr ruhig auf dem Regiestuhl sitze. Für das Spiel habe ich Sätze oder genauer gesagt Satzanfänge rausgesucht, rund um das Thema Karriere, Frauen in der Medizin, Frauen an Führungsspitzen etc. Und ich lese diese Sätze vor und dann müssen entweder Sie, Frau Neumann-Grutzeck, oder du, Julia, die Sätze abwechselnd beantworten. Bei uns startet immer die Gästin...

Julia Rotherbl:
Und ich muss noch eins klarstellen - ich kenne die Sätze auch nicht. Frau Neumann-Grutzeck, ich werde genauso überrascht sein wie Sie.

Anja Kopf:
Genau das ist der Sinn des Spiels - spontan sein. Mal gucken, was passiert. Frau Neumann-Grutzeck, für Sie der erste Satz lautet „Wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme...“

Christine Neumann-Grutzeck:
Wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme, ist der Tag meistens noch lange nicht zu Ende.

Julia Rotherbl:
Und jetzt kommt noch dazu - zumindest bei allen, die wie ich im Homeoffice arbeiten, dass es auch kein wirkliches Arbeitsende gibt. Man steigt nicht ins Auto und fährt nach Hause, sondern man ist ja schon zu Hause. Und jetzt bin ich ganz gespannt auf meinen Satz.

Anja Kopf :
Und der lautet „Als Vorbild sehe ich...“

Julia Rotherbl:
Boah, das ist jetzt fies. Das finde ich tatsächlich schwierig, weil ich bin schon öfter. gefragt worden, wen ich als Vorbild sehe und ich kann niemanden so konkret nennen Tut mir leid, den Satz kann ich nicht vervollständige.

Christine Neumann-Grutzeck:
Das ist auch ein schwieriger Satz.

Anja Kopf:
Der nächste Satz ist jetzt aber auch ein bisschen leichter. Der geht dann an Sie, Frau Neumann-Grutzeck. Der lautet „Ohne Kaffee am Morgen...“

Christine Neumann-Grutzeck:
Ohne Kaffee am Morgen geht gar nichts.

Julia Rotherbl:
Ist bei mir genauso. Kann ich nur bestätigen

Anja Kopf:
Julia, für dich – „Von Männern aus dem direkten Umfeld konnte ich lernen ...“

Julia Rotherbl:
... konnte ich lernen... Vieles. Aber, was mir jetzt spontan einfällt, ist, dass man auch sehr oft drüber reden sollte, wenn man was sehr gut gemacht hat. Man kann es nicht oft genug wiederholen

Christine Neumann-Grutzeck:
Das tun wir sicher zu wenig.

Anja Kopf:
Nun kommt auch schon der letzte Satz für Sie, Frau Neumann-Grutzeck. Der lautet „Wenn ich nochmal 20 wäre, würde ich...“

Christine Neumann-Grutzeck:
... gar nicht so viel anders machen.

Kapitel 5: Brauchen wir eine Frauenquote?

Julia Rotherbl:
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Sie diese Diskussion schon begleitet hat, als Sie 20 waren. Mich begleitet die Diskussion jedenfalls schon ziemlich lange. Es geht um die Frauenquote. Brauchen wir eine Frauenquote? Wie ist Ihre Meinung dazu?

Christine Neumann-Grutzeck:
Ich bin eigentlich kein Quotenfan, weil ich hab immer diese Hoffnung, dass wir es so schaffen. Ich weiß, es gibt ne ganze Menge Frauen, die sagen, da muss man nur alt genug werden, dann ist man für die Quote. Das hab ich mir letztes erst wieder sagen lassen. Aber ich habe einfach die große Hoffnung, dass wir es so schaffen, dass wir es einfach über die Motivation schaffen. Ich sehe auch immer mehr Akzeptanz, auch bei den Herren und dass die das einfach auch sehen, dass wir für Frauen brauchen. Und es wird sich ein Stück weit über die Zeit ergeben. Und meine große Hoffnung ist, dass wir es ohne Quoten schaffen. Das wäre sozusagen das allerletzte Mittel.

Julia Rotherbl:
Sehen Sie sich denn selbst als eine Art Quotenfrau?

Christine Neumann-Grutzeck:
Nein. Also, das hab ich ja immer betont. Und da will ich auch nie drauf reduziert werden. Das ist mir immer ganz, ganz wichtig gewesen. Ich möchte nicht gewählt werden, weil ich Mann oder Frau bin, sondern ich möchte gewählt werden, weil ich meine Arbeit gut mache und weil ich mich um die Themen kümmere. Dass man das nicht ganz ausblenden kann, ist wahrscheinlich so. Dass ich eine Frau bin, das ist nun mal unbestritten. Und ich weiß nicht, was in den Köpfen jedes Einzelnen vorgegangen ist, der gewählt hat. Aber ich finde es auch ein gutes Zeichen für den Verband. Aber ich habe immer und legt da immer Wert darauf, dass das wahrlich nicht das einzige Thema ist, um das ich mich kümmere, sondern dass das ein Thema ist, weil ich natürlich einen anderen Blick auf das eine oder andere habe. Aber ganz sicher möchte ich nicht als Quotenfrau gewählt werden und sehe mich auch nicht so.

Julia Rotherbl:
Würden Sie das Gleiche auch abseits von Verbänden sagen? Also es ist ja auch so, dass wenn man sich die Führungspositionen zum Beispiel in Kliniken anguckt, an Universitäten et cetera, dass hier auch ganz klar die Männer dominieren. Obwohl an den Start ja mittlerweile fast 70 Prozent Frauen gehen.

Christine Neumann-Grutzeck:
Ich weiß, ich weiß. Das ist immer eine ganz schwierige Diskussion. Also, ich glaube, das Ziel ist klar. Es müssen überall mehr Frauen hin. Man weiß das ja auch. Wer wirtschaftlich denken würde, würde ich auch sehen... Es gibt ja auch genügend Untersuchungen, die zeigen, dass in Teams, in denen Frauen mitarbeiten, deutlich besser funktioniert, dass sie effektiver arbeiten, dass auch der Führungsstil sich ein Stück weit ändern kann, dass man auch für ein Stück weit für ein Gemeinschaftsgefühl sorgen kann, dass es viele Gründe gibt , warum man Frauen braucht. Und meine Hoffnung ist ja immer noch, dass man das erkennt und die wirtschaftlichen Vorteile... Gerade im wirtschaftlichen Bereich stehen doch die Zahlen immer ganz vorne. Und wenn man diese Nachweise bringt, dass man mit Frauen - es geht ja nicht darum, dass Frauen das alleine machen - das deutlich besser machen kann, dann habe ich immer noch die Hoffnung. Aber wie gesagt, Quote als letztes Mittel. Aber immer noch den Versuch, es anders zu versuchen.

Julia Rotherbl:
Wie wichtig sind denn eigentlich vielleicht auch Vorbilder, dass Frauen sagen „Okay, es ist möglich, Präsidentin des Berufsverbandes der Internistinnen und Internisten zu sein? Oder es ist möglich, mit drei Kindern eine Chefärztinnenstelle an einer großen Klinik zu wuppen? Ich habe ja gerade vorher selber bei der Frage nach Vorbildern so ein bisschen gezuckt , weil mir fallen da immer nicht so viele ein. Wie sehen Sie das?

Christine Neumann-Grutzeck:
Ich glaube, dass Vorbilder wichtig sind. Diese Möglichkeit und dies zu zeigen ... So sehe ich meine Position auch ein bisschen, das zu zeigen. Und ich habe auch Kontakte in andere Berufsverbände und viele Gespräche schon geführt und viele Frauen kommen auf mich zu. Insofern, so ein Stückchen eine Vorbildfunktion, einfach mal zu zeigen, das geht, ist wichtig. Ich finde es auch an anderen Stellen wichtig. Das ist ja auch ein Bestandteil dieses Netzwerks, das man eben auch Vorbilder sieht, das man Chefärztinnen sieht.
Ich habe gerade... In Hamburg gibt’s eine Situation, da sind drei Kolleginnen gemeinsam Chefärztin an einer Klinik und die sind drei Fulltime-Chefärztinnen. Das sind nicht Teilzeit, irgendwie geteilte Stellen. Auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen, dass die das geschafft haben. Und das ist so ein Vorbild, was ich wichtig finde. Und ich finde es wichtig in der Berufspolitik, in der Wissenschaft, dass man einfach zeigt und Vorbilder das zeigen. Das ist auch ein Bestandteil dieser Veranstaltung „Karrierewege“, die wir machen. Dass einfach die, die es geschafft haben in Anführungsstrichen, einfach mal zeigen, wie sie es geschafft haben. Und man Fragen stellen kann „Wie hat es funktioniert?“

Julia Rotherbl:
Wie hätten Sie denn vorher den Satz vervollständigt „Mein Vorbild ist oder mein Vorbild war...“?

Christine Neumann-Grutzeck:
Das wäre mir genauso schwergefallen. Weil ich glaube, ich habe kein konkretes Vorbild. Ich glaube, es gibt so eine Mischung aus verschiedenen Verhaltensweisen, die man gut findet. Aber ich habe kein eigenes Vorbild, wo ich sagen kann „Die eine Frau oder der eine Mann ist mein Vorbild“.

Kapitel 6: Wie haben Sie es an die Spitze geschafft?

Julia Rotherbl:
Sie haben ja vorher gerade gesagt, Sie würden gerne jungen Frauen, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, zeigen, wie man es schafft. Wie haben Sie's denn geschafft? Was wären so zwei oder drei Dinge, die Sie jungen Frauen mitgeben würden?

Christine Neumann-Grutzeck:
Ich glaube, das Wichtigste ist schon, dieses Stück weit ein Netzwerk sich aufbauen. Und ganz wichtig ist dieser Mut, einfach sich dann mal zu trauen. Und wenn man eine Chance bekommt, die auch zu ergreifen und nicht zurückzucken und sagen, sich das nicht zuzutrauen. Es gab so ein, zwei Situationen, da hat mich jemand gefragt „Willst du das machen?“ Da hab ich kurz gedacht „Bin ich wirklich gut genug? Gibt's nicht jemand Besseres.“ Und sich dann einfach mal zu trauen. Und manches kann man sich auch reinarbeiten.

Julia Rotherbl:
Und Sie haben sich in der Situation damals nicht getraut?

Christine Neumann-Grutzeck:
Doch, ich hab mich getraut. Ich hab mich getraut! Aber jedes Mal im Inneren einen Moment überlegt „Bin ich das wirklich? Kann ich das wirklich?“ Ich glaube, dieses sich selber hinterfragen, tun wir manchmal viel zu doll. Tue ich, glaube ich, bis heute immer noch, dass ich mich immer wieder „Kannst du das wirklich? Bist du gut genug? Kann das nicht jemand anders Besser?“ Und einfach diesen Mut dann auch mal zu ergreifen und auch mal zu schauen. Es gibt ja immer so diese Quotendiskussion „Da kriegt man dann eine schlechte Frau in den Vorstand, die unqualifiziert, nicht genügend qualifiziert ist.“ Und dann denke ich immer ich „Wenn wir überall nur hochqualifizierte Männer haben...“ Und wenn man sich das mal ganz genau anguckt... Also, richtig, richtig erfolgt und eine richtige Gleichstellung haben wir, wenn unqualifizierte Frauen überall was werden können. Weil im Moment ist es immer so, man muss immer noch dieses Tickchen besser sein an vielen Stellen.

Julia Rotherbl:
Frau Neumann-Gruzeck, ich weiß jetzt ehrlich gesagt gar nicht, auf wie viele Jahre man als Präsidentin des BDI gewählt ist. Wie viele Jahre sind Sie dann jetzt im Amt?

Christine Neumann-Grutzeck:
Vier Jahre

Julia Rotherbl:
Vier Jahre, okay. Was streben Sie an in vier Jahren? Wie viel Prozent Ihrer Funktionsträger werden weiblich sein?

Christine Neumann-Grutzeck:
Also, mein Ziel ist es auf jeden Fall - ich kann da keine feste Zahl nennen – es deutlich zu erhöhen. Und ich glaube, ich tue im Moment alles dafür, indem ich Frauen motiviere, mitzumachen. Auch über die ganze Bundesebene, dass ich immer wieder schaue, sie mitzunehmen und ihnen Mut zu machen, sich zu engagieren. Mehr kann man nicht tun. Also ich werde keine Quote schaffen.

Julia Rotherbl:
Aber das Engagement ist schon herausragend und ich freue mich sehr, dass Sie meine Gästin waren. Vielen Dank.

Christine Neumann-Grutzeck:
Ja, vielen Dank. Es hat mir auch sehr viel Spaß gemacht.

Julia Rotherbl:
Die Motivation von Frau Neumann-Grutzeck ist auch unsere, ist auch die, die hinter diesem Podcast steht. Wir wollen auf die aktuelle Situation aufmerksam machen und wir wollen vor allm, dass sich was ändert. Dazu wollen wir euch, liebe Zuhörerinnen, empowern, supporten, euch Tipps geben und euch auf einem Karriereweg begleiten, der hoffentlich ganz nach oben führt. Alle Folgen dieses Podcasts gibt's bei Apple Podcast, Spotify oder in eure Lieblingspodcast-App. Wir erscheinen alle 14 Tage neu, immer montags.“