StartseitePresseKontakt

| Artikel

Einheitliche Qualifikationsvorgaben? Fehlanzeige!

Drei Stufen der Notfallversorgung gibt es in Deutschland. Und damit – wie könnte es anders sein – auch drei unterschiedliche Qualifikationsvorgaben. Ein Überblick.

© BDI

Von Dr. med. Alexander Schultze, stellvertretender Leiter der Zentralen Notaufnahme des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf

Notfallversorgung findet in Deutschland in den drei eigenständigen und getrennt organisierten Bereichen Rettungsdienst, ambulanter Sektor und stationärer Sektor statt. Dabei sind die Qualifikationsvorgaben, um in den jeweiligen Bereichen ärztlich tätig sein zu dürfen, sehr unterschiedlich:

Der Weg in den Rettungsdienst

Die Qualifikationsanforderungen an die notärztliche Tätigkeit im präklinischen Rettungsdienst sind landesrechtlich durch die Rettungsdienstgesetze geregelt. Hierbei gibt es nach wie vor Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern, die meisten verlangen die Zusatzweiterbildung „Notfallmedizin“, an einigen Orten reicht noch der sog. Fachkundenachweis Rettungsdienst aus. 2003 wurde vom Deutschen Ärztetag die Zusatzweiterbildung „Notfallmedizin“ erstmalig in die damalige Musterweiterbildungsordnung aufgenommen.

Gemäß der aktuellen Musterweiterbildungsordnung (/MWBO) der Bundesärztekammer müssen für den Erwerb der ZWB „Notfallmedizin“ 24 Monate in einem Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung geleistet worden sein, davon 6 Monate in den Bereichen Intensivmedizin, Anästhesiologie oder in der Notaufnahme. Zusätzlich sind ein 80-stündiger Kurs zu absolvieren und 50 Einsätze im Notarztwagen oder Rettungshubschrauber zu leisten. Die Umsetzung in den einzelnen Landesärztekammern erfolgt auf unterschiedliche Weise. Möglicherweise werden sich die Anforderungen zukünftig erhöhen. In Berlin beispielsweise müssen neue Notärztinnen und Notärzte mindestens sechs Monate ausschließlich im Rettungsdienst tätig sein, um eingesetzt zu werden.

Für einzelne ggf. sogar abschließende Behandlungen ist jedoch in vielen Fällen kein Facharztstandard gegeben. Bei akuter Exazerbation einer COPD wird z.B. von nicht-internistischen Ärztinnen und Ärzten im Rettungsdienst oftmals eine unnötig hohe Dosis an Steroiden appliziert.

Die Vorgaben für den ärztlichen Bereitschaftsdienst und die Notfallpraxen der KVen (ambulanter Sektor):

Gemäß §75 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) den Sicherstellungsauftrag für die vertragsärztliche Versorgung zu sprechstundenfreien Zeiten, hiervon ausgenommen ist explizit die notärztliche Versorgung im Rahmen des Rettungsdienstes. Alle anderen ambulanten Notfälle sind somit vertragsärztlich zu behandeln. Die „Zulassungsverordnung für Vertragsärzte“ regelt klar, dass eine abgeschlossene Facharztweiterbildung Voraussetzung für eine vertragsärztliche Tätigkeit ist. Zusätzliche Qualifikationsanforderungen für die Teilnahme am ärztlichen Bereitschaftsdienst und die Tätigkeit in Notfallpraxen der Kassenärztlichen Vereinigungen bestehen nicht.

Notfälle werden in diesem Bereich systematisch fachgebietsübergreifend behandelt, so dass für einzelne abschließende Notfallbehandlungen ggf. gar kein Facharztstandard gegeben ist (z.B. Behandlung einer Blutdruckkrise durch einen Facharzt für Chirurgie, Behandlung einer Blutzuckerentgleisung durch eine Fachärztin für Augenheilkunde etc.).

Die Anforderungen für die Notaufnahmen der Krankenhäuser (stationärer Sektor):

Es gibt keine gesetzlichen Mindestanforderungen bezüglich der Qualifikation von Ärztinnen und Ärzten in Notaufnahmen. Haftungsrechtlich sowie durch die Rechtsprechung in Streitfällen wird der Facharztstandard vorausgesetzt. Durch den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vom Frühjahr 2018 zur gestuften Notfallversorgung muss die Ärztliche Leitung einer Notaufnahme zukünftig im Besitz der Zusatzweiterbildung „Klinische Akut und Notfallmedizin“ sein (es existieren noch entsprechende Übergangsregelungen).

Voraussetzungen für den Erwerb dieser Zusatzweiterbildung sind eine zweijährige Tätigkeit in einer Notaufnahme nach einer Facharztanerkennung in einem Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung (inkl. 6 Monaten Tätigkeit in der Intensivmedizin) sowie ein 80-stündiger Kurs. Es ist nicht auszuschließen, dass zukünftig einmal festgelegt wird, dass auch die Personen, die die tatsächliche Patientenversorgung in Notaufnahmen durchführen, diese Zusatzweiterbildung haben müssen. Eine erste Unklarheit ist entstanden, nachdem der G-BA jüngst eine Richtlinie zur Versorgung der hüftgelenknahen Femurfraktur erlassen hat, bei der als allgemeine Mindestanforderung vorausgesetzt wird, dass „ein für die Notfallversorgung verantwortlicher Arzt […], der fachlich und organisatorisch eindeutig der Versorgung von Notfällen zugeordnet ist […], im Bedarfsfall verfügbar“ ist.

Es wäre absurd, wenn zukünftig z.B. ein Facharzt für Kardiologie eine Patientin mit einem akuten Koronarsyndrom in einer Notaufnahme nur noch behandeln darf, wenn er die Zusatzweiterbildung „Klinische Akut und Notfallmedizin“ besitzt. Für eine fachgebietsübergreifende abschließende Behandlung, wie sie in vielen Notaufnahmen regelhaft notwendig ist, könnte eine solche Zusatzweiterbildung hingegen eine sinnvolle Voraussetzung sein (z.B. eine Fachärztin für Anästhesiologie behandelt akute Kopfschmerzen abschließend).

Fortbildungspflichten gibt es nicht

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Qualitätsanforderungen in den einzelnen Bereichen der Notfallversorgung sehr unterschiedlich sind. Im Rettungsdienst dürfen Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung mit wenigen Jahren klinischer Erfahrung bereits abschließend vital bedrohte Patientinnen und Patienten behandeln. In den Notaufnahmen der Krankenhäuser ist de facto der Facharztstandard sicherzustellen, es wird sich zeigen, inwieweit die Zusatzweiterbildung „Klinische Akut und Notfallmedizin“ die Anforderungen für die tatsächliche Versorgung in Zukunft noch erhöhen wird. Immerhin gibt es Zusatzweiterbildungen für notfallmedizinische Aspekte im Rettungsdienst und für die Klinische Akut- und Notfallmedizin. Einen vergleichbaren Qualifikationsnachweis, z.B. eine „Zusatzweiterbildung für Ambulante Akut- und Notfallmedizin“ im vertragsärztlichen Sektor gibt es nicht. Im kassenärztlichen Notdienst und in den KV-Notfallpraxen findet nicht jede Behandlung bezogen auf das Fachgebiet des Behandelnden nach Facharztstandard statt. Zusätzliche Qualitätsanforderungen in Bezug auf medizinische Notfälle sind in diesem Bereich der Notfallversorgung bisher nicht gegeben. Fortbildungspflichten speziell für notfallmedizinische Themen bestehen bisher in keinem der drei Bereiche flächendeckend.