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| Interview

Mehr Diversität ist kein Selbstzweck

Dass das Thema Gendering bereits in der Verbandswelt angekommen ist, zeigt der Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten e. V. (BDI). Vor einem Jahr hat das heutige Präsidium den Impuls zur Erweiterung des Verbandsnamens mit der weiblichen Berufsbezeichnung gegeben. Im Interview mit dem Verbändereport berichtet der stellvertretende Geschäftsführer Bastian Schroeder, warum diese Veränderung für den Verband wichtig war, wie der Prozess abgelaufen ist und was er anderen Verbänden mit auf den Weg gibt.

© Verbändereport

Verbändereport: Das Thema Gendering polarisiert und wird in der Gesellschaft durchaus kritisch bzw. kontrovers diskutiert. Warum halten Sie das Gendering Ihres Verbandsnamen für wichtig und richtig?

Bastian Schroeder: Ich würde mir wünschen, dass alle – sowohl auf pro als auch auf der contra Seite – mit dem Thema etwas entspannter umgehen. Sprache war noch nie ein starres Gebilde und verändert sich ständig. In der Entwicklung sind wir beim Gendering sicherlich auch noch nicht am Ende. Deswegen sollte man es nicht so dogmatisch sehen. Unstrittig ist für mich jedoch, dass Sprache Wirklichkeit schafft und auch nachhaltig verändern kann. Für die strukturelle Sichtbarkeit von Frauen ist es deshalb ein wichtiger Schritt, die weibliche Form z.B. einer Berufsbezeichnung zu verwenden.

Als BDI haben wir den Anspruch, alle Internist:innen anzusprechen und zu vertreten. Dass der Verbandsname diesen Anspruch widerspiegelt, ist nur eine logische Konsequenz. Als das Thema „Umbenennung“ erst einmal auf dem Tisch war, gab es deshalb auch zu keinem Zeitpunkt eine Diskussion darüber, ob die Umbenennung richtig ist.

VR: Woher kamen die entscheidenden Impulse, den Verbandsnamen des BDI zu ändern?

Die Entscheidung ist über einen längeren Zeitraum gereift. Wir haben im Frühjahr 2019 auf die Initiative der jetzigen Präsidentin, Christine Neumann-Grutzeck, den Arbeitskreis „Internistinnen im BDI“ ins Leben gerufen, weil wir uns das Ziel gesetzt haben, Frauen besser in die Verbands- und Gremienarbeit zu integrieren. Knapp 40 Prozent unserer Mitglieder sind Frauen, Tendenz steigend. In der Altersgruppe bis 45 Jahre sind Frauen bereits in der Mehrheit und auch unter unseren Neumitgliedern sind mehr Frauen als Männer. Diese Entwicklung spiegelt einen allgemeinen Trend in der Medizin wider. Schaut man sich im Vergleich dazu aber die Verteilung von Frauen in Führungspositionen an, gibt es ein deutliches Missverhältnis. Im BDI sind z.B. nur 12 Prozent aller Funktionsträger:innen weiblich. Das ist nicht nur schlecht für die Repräsentation unserer weiblichen Mitglieder, sondern auch für die Formulierung von berufspolitischen Inhalten. Mehr Diversität ist kein Selbstzweck, sondern eine notwendige Voraussetzung für eine ausgewogene, erfolgreiche Interessenvertretung.

Die Gründung des Arbeitskreises war also Ausdruck für ein gestiegenes Problembewusstsein innerhalb des Verbandes und damit auch die Basis für weitere Schritte. Den entscheidenden Impuls für die Umbenennung, die ja quasi ein öffentliches Bekenntnis ist, dass der BDI für einen Kulturwandel und Gleichberechtigung steht, kam dann nach der Neuwahl unseres Präsidiums im Herbst 2020. Der BDI hat seitdem nicht nur zum ersten Mal eine Präsidentin, sondern auch insgesamt ein deutlich jüngeres Führungsteam. Gemeinsam haben wir dann relativ schnell entschieden, als eine der ersten Maßnahmen den Verband umzubenennen.

VR: Welche drei konkreten Hauptziele verfolgen Sie mit der Namensänderung?

Mit der Umbenennung wollten wir in erster Linie ein Zeichen setzen, dass der BDI für Gleichberechtigung steht und allen Internistinnen – egal ob im und außerhalb des BDI – signalisieren, dass wir auch ihr Verband sind. Wir erhoffen uns davon, dass die Identifikation mit dem BDI steigt.

Berufsverbände haben – sicher nicht ganz zu Unrecht – ein etwas verstaubtes Image. Unabhängig von der Namensänderung müssen wir uns deshalb kritisch hinterfragen, was einen modernen Verband ausmacht. Nur so können wir auch zukünftig für Internist:innen attraktiv sein und sie von einer Mitgliedschaft im BDI überzeugen. Ein inklusiver Verbandsname ist schlichtweg zeitgemäß und sendet ein deutliches Signal, dass der Verband sich verändert (hat).

Diesen Kulturwandel gilt es natürlich auch in die tägliche Verbandsarbeit zu übertragen. Er muss nicht nur im Namen, sondern in der Art und Weise, wie wir arbeiten, in unseren Inhalten und in unserem Auftreten spürbar sein. Ansonsten ist die Umbenennung natürlich wertlos und nur eine leere Hülse. Aber auch in diesem Bereich haben wir uns deutlich weiterentwickelt und sind auf einem guten Weg.

VR: Von der ersten Idee bis zur Änderung des Namens im Vereinsregister –In welchen Schritten sind Sie vorgegangen?

Insgesamt war es ein überraschend gradliniger Prozess. Von der ersten Entscheidung bis zur Eintragung ins Vereinsregister ist zwar fast ein Jahr vergangen. Das lag aber nicht daran, dass wir auf Widerstand gestoßen sind, sondern ist darin begründet, dass für die Umbenennung eine Satzungsänderung notwendig war.- Das benötigt immer etwas Vorlauf.

Nachdem das Präsidium und die Geschäftsführung sich einig waren, diesen Schritt zu gehen, haben wir in einem zweiten Schritt den Vorstand in das Vorhaben eingeweiht. Das Ziel war von Anfang an, die Umbenennung als Antrag des gesamten Vorstandes einzubringen, um dem Vorschlag größtmögliches Gewicht zu geben. Im Vorstand haben wir deshalb auch ausgiebig diskutiert, wie der neue Verbandsname konkret lauten soll. Dabei wurden schnell zwei Dinge klar: Erstens: das Akronym „BDI“ soll erhalten bleiben. Zweitens: die Paarformel ist die bevorzugte Formulierung. Einen entsprechenden Antrag hat der Vorstand dann im Frühjahr an die Delegiertenversammlung gestellt. Natürlich gab es auch dort noch einmal Diskussionen. Aber letztendlich wurde der Antrag mit überwältigender Mehrheit angenommen und schließlich im September 2021 m Rahmen der Satzungsänderung offiziell beschlossen.

VR: Warum haben Sie keine Sternchen- oder Doppelpunkt-Variante gewählt?

Wir haben uns für die Paarformulierung entschieden, weil es dagegen keine sachlichen Argumente gibt. Gendern mit Sternchen oder Doppelpunkt polarisiert vielleicht auch deshalb so sehr, weil wir als Gesellschaft damit eine Entwicklungsstufe, nämlich die konsequente Nennung des weiblichen Geschlechtes, übersprungen haben. Stattdessen gehen wir mit dem Genderstern direkt vom generischen Maskulinum zur Einbeziehung nichtbinärer, diversgeschlechtlicher Personen. Das überfordert viele Menschen.

Wir haben die Verwendung des Gender-Doppelpunktes durchaus in Erwähnung gezogen. Am Ende war es uns aber wichtig, auch eine verbandspolitische Mehrheit zu finden. Die Paarformel war für uns am erfolgversprechendsten.

Ganz stringent sind wir aber übrigens nicht. Im Verbandsnamen und in offiziellen Veröffentlichungen verwenden wir zwar Paarformulierungen. In den sozialen Medien nutzen wir aber den Gender-Doppelpunkt. Das ist – vor allem auf Twitter – auch platzsparender. Ich finde das einen guten Kompromiss und eine schöne Möglichkeit, Erfahrungen mit dem Gendern zu sammeln.

VR: Welche Strahlkraft hatte die Veränderung auf das Umfeld des Verbands?

Wir haben mit der Umbenennung sicherlich für einen Aha-Effekt innerhalb der (ärztlichen) Verbändelandschaft gesorgt. Für die Entscheidung haben wir in der Ärzteschaft, vor allem bei den Jüngeren, viel Zuspruch erhalten: sowohl von Internist:innen als auch von Ärzt:innen anderer Fachdisziplinen, die sich wünschen, dass ihr Verband einen ähnlichen Weg geht. Von dem ein oder anderen Verband sind wir hingegen belächelt worden. Da schwingt meiner Meinung nach aber auch viel Unmut darüber mit, dass der BDI mit seiner Umbenennung eine Debatte losgetreten hat, die auf andere Verbände abfärbt. Bei unseren eigenen Mitgliedern gab es ebenfalls gemischte Reaktionen, bis hin zu Austritten aus dem Verband. Das muss man natürlich aushalten und darf sich nicht aus dem Konzept bringen lassen.

Letztendlich war die Umbenennung eine einzelne, einmalige Maßnahme, die nur dann langfristig ihre Wirkung entfalten kann, wenn man sie mit Leben füllt. Kulturwandel ist ein Prozess und das Zusammenspiel vieler kleiner Veränderungen. Insofern sehe ich uns noch lange nicht am Ziel.

VR: Welche Empfehlungen würden Sie anderen Berufsverbänden mit auf den Weg geben?

The only way is forward. Seit ich beim BDI bin, führen wir unentwegt Diskussionen darüber, wie der Verband wieder attraktiver werden kann. Das geht ganz sicher nicht, indem man in alten Denk- und Verhaltensweisen verhaftet ist, denn die Mentalität der Zielgruppe hat sich deutlich verändert. Deswegen muss man mutig sein und neue Dinge wagen. Denn schlechter als der Status quo kann es meist nicht werden. Insofern sollte jede:r Verantwortliche mehr Angst vor Stagnation als vor Veränderung haben. Und man sollte den eigenen Mitgliedern mehr zutrauen. Ich glaube, dass viele von der Erkenntnis überrascht wären, dass der Wunsch nach Veränderung und Innovation bei den eigenen Mitgliedern mindestens genauso hoch ist, wie bei einem selbst.

VR: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Bastian Schroeder (35) ist seit August 2018 stellvertretender Geschäftsführer des BDI und verantwortet schwerpunktmäßig die Bereiche Politik und Kommunikation. Zuvor war der gelernte Islam- und Politikwissenschaftler vier Jahre als Senior Projektmanager für die Konrad-Adenauer-Stiftung in den Palästinensischen Gebieten tätig.

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