Revolutionär des deutschen Gesundheitswesens oder professoraler Traumtänzer, der die Rechnung ohne die Länder gemacht hat? Die kommenden Monate werden zeigen, ob Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach das eine oder das andere ist. Aus Sicht des Ministers ist die Sache natürlich schon ausgemacht: Die dritte Stellungnahme der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung wird zu einer „Revolution“ des deutschen Gesundheitswesens führen.
In der Tat schwebt der Regierungskommission eine weitreichende Reform vor, die weit über das hinausgeht, was der Titel der Stellungnahme „Grundlegende Reform der Krankenhausvergütung“ vermuten lässt. Über das Vergütungssystem der Krankenhausversorgung hinaus tangieren die Vorschläge auch die Krankenhausplanung sowie den ambulanten Versorgungsbereich – Minister Lauterbach ist also Gegenwind gewiss.
Im Kern hat der Vorschlag der Kommission drei Bestandteile: Erstens wird eine einheitliche Gruppierung der Krankenhäuser in verschiedene Versorgungslevels empfohlen. Zweitens sollen Leistungsgruppen gebildet werden (z.B. Gastroenterologie statt Innere Medizin), um die Planungsschärfe zu erhöhen und drittens sollen die DRG-Pauschalen durch eine fallmengenunabhängige Vergütungskomponente ergänzt werden. Der erste Reformbestandteil hat u.a. das Ziel, bundeseinheitlich eindeutige Mindestvoraussetzungen und Strukturvorgaben für die Krankenhäuser des jeweiligen Versorgungslevels zu definieren. Da die Bundesländer bisher verschiedene Klassifikationssysteme benutzen, sind zentralen Vorgaben bislang „definitorische“ Grenzen gesetzt.
Wer übernimmt die Notfallversorgung?
Der Kommission schweben drei Versorgungslevel vor (I: Grundversorgung, II: Regel- und Schwerpunktversorgung, III: Maximalversorgung), wobei Level I und III nochmals untergliedert werden sollen. Interessant ist hier vor allem, dass es grundversorgende Kliniken mit und solche ohne Notfallversorgung geben soll.
Die grundversorgenden Kliniken, die nicht mehr an der Notfallversorgung teilnehmen, sollen zukünftig eine Schlüsselrolle in der ambulant/stationären Grundversorgung sowie der lokalen akut pflegerischen Versorgung einnehmen. Bemerkenswerterweise sollen sie ein anderes Vergütungssystem erhalten als die „übrigen“ Krankenhäuser und sich überwiegend aus Tagespauschalen finanzieren. Damit sich diese neuen Krankenhäuser ins ambulante Versorgungsspektrum einfügen, schwebt der Expertenkommission eine Harmonisierung der stationären und ambulanten Bedarfsplanung vor. Wie könnte es anders sein: Natürlich durch eine Stärkung der staatlichen Planungskompetenzen. Wie nicht anders zu erwarten, haben die Akteure der Selbstverwaltung gegen diesen Vorschlag schon rebelliert.
Das zweite Kernelement der Expertenkommission, die Einführung von Leistungsbereichen, soll die Krankenhausplanung verfeinern und somit ein besser aufeinander abgestimmtes stationäres Leistungsangebot nach sich ziehen. Führt man sich vor Augen, dass die Qualitätsvorgaben zentral definiert werden sollen und die geplante Vorhaltekostenvergütung eine Konzentration von Leistungsgruppen an wenigen Krankenhäusern begünstigen soll, so kann man sich leicht vorstellen, dass die Länder diesen Weg nicht ohne Klagen mitgehen werden. Nicht überraschend hat sich Karl-Josef Laumann, Landesgesundheitsminister in NRW und Vorreiter in puncto aktive Krankenhausplanung in Deutschland, schon kritisch zu Wort gemeldet und einer zentralen Steuerung aus Berlin eine Absage erteilt. Ähnliches war vom bayrischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek zu hören, der darüber hinaus kritisierte, dass die Expertenkommission das gesamte Erlösvolumen der Krankenhäuser im Jahr der Umstellung unverändert lassen möchte.
Ausgelastete Kliniken gewinnen nichts
Die geplante Vorhaltekostenfinanzierung – sie soll je nach Leistungsbereich 40 bis 60% betragen – soll nämlich aus den jetzigen DRG kostenneutral „herausgeschnitten“ werden. Eine zum jetzigen Zeitpunkt ausgelastete internistische Klinik würde nach der Logik in Zukunft also keinen Euro mehr bekommen als jetzt. Vorteile bietet die Vorhaltekostenfinanzierung vor allem für solche Leistungsbereiche, die starken Nachfrageschwankungen unterliegen und zumindest zeitweise nicht ausgelastet sind.
Wie geht es nun weiter? Anfang Januar startet das Ministerium den inhaltlichen Austausch mit den Ländern. Eine sicherlich herausfordernde Aufgabe für Lautebach und die Ampel-Koalitionäre. Die Aufgabe wird nicht einfacher dadurch, dass die Gesundheitspolitiker der Regierungskoalition selbst erst 24 Stunden vor Veröffentlichung der Stellungnahme von den Inhalten erfuhren. Es bestand also kaum Zeit, sich innerhalb der Koalition mit den Vorschlägen zu beschäftigen. Deswegen überrascht z.B. nicht, dass Prof. Andrew Ullmann, Gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, wissen ließ, dass die Empfehlung zwar eine „gute Richtmarke“ sei, aber der Fokus nicht nur auf den Kliniken liegen dürfe sondern auch die Niedergelassenen Berücksichtigung finden müssten.
PD Dr. med Kevin Schulte
Erschienen in BDIaktuell 1/2023