Seit Jahren steht die ambulante Versorgung zunehmend unter Druck, viele niedergelassene Kolleginnen und Kollegen ächzen unter den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen für ihre tägliche Arbeit. Dabei ließ der programmatische Titel des Koalitionsvertrages „Mehr Fortschritt wagen“ der Ampelregierung auf einen zeitgemäßen, sektorenübergreifenden Wandel im Gesundheitswesen hoffen. Stattdessen ist die Ärzteschaft nunmehr mit der Verknappung von Finanzmitteln, unzureichender Digitalisierung sowie einem eklatanten Personalmangel konfrontiert. Das Versprechen des Koalitionsvertrages, die ambulante Versorgung zu stärken, wurde auch zwei Jahre nach dem Regierungswechsel bedauerlicherweise noch nicht eingelöst.
Bislang hat Bundesgesundheitsminister, Professor Karl Lauterbach (SPD), weder veritable Lösungen für die Strukturprobleme in der ambulanten Versorgung präsentieren können, noch die Bereitschaft signalisiert, sich den drängenden Problemen und begründeten Forderungen der Niedergelassenen überhaupt zu widmen. Stattdessen schürt der Minister mit irreführenden Zahlen über die wirtschaftliche Lage der Praxen erneut im öffentlichen Diskurs eine kontraproduktive Neiddebatte oder plant teure Parallelstrukturen, wie beispielsweise Gesundheitskioske, die vollkommen an der Versorgungsrealität vorbeigehen.
Entbudgetierung ja, aber wann?
Bereits am 18. August wurde der Gesundheitsminister von der Krisensitzung der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft in Berlin unter Vorlage eines ausgearbeiteten Forderungskatalogs ultimativ dazu aufgefordert, hierzu Stellung zu beziehen. Bedauerlicherweise ließ Lauterbach, mit dem Verweis auf eine große Vielzahl an Zuschriften, diese Gelegenheit vorerst verstreichen. Zwar antwortete der Minister am 21. September dem KBV-Vorstand in einem zweiseitigen Brief auf jede Forderung der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft, jedoch war Lauterbachs Antwort alles andere als befriedigend.
Die Entbudgetierung in der hausärztlichen Versorgung werde kommen, leider fehlt das Datum der Realisierung. Den Honorarabschluss zwischen KBV und GKV-Spitzenverband bezeichnet der Minister als „angemessene Weiterentwicklung“ der Honorare. Auch die weiteren Antworten zu Bürokratieabbau, Regressen, Ambulantisierung und Digitalisierung bleiben unkonkret. Konkret ist nur das Festhalten an den TI-Sanktionen. So kann es nicht weiter gehen!
In der Folge riefen die Berufsverbände mit Unterstützung des BDI im Zuge der Kampagne „Praxis in Not“ am 2. Oktober 2023 zu bundesweiten, fachgebietsübergreifenden Praxisschließungen auf, um auf die dringend notwendigen gesundheitspolitischen Reformen aufmerksam zu machen.
So blieben allein in Hamburg rund 800 Praxen am Brückentag geschlossen, um mit dem ganzen Team an der Fortbildung „Der Notfall in der Praxis – Die Praxis als Notfall“ teilzunehmen. In Berlin warfen die Kolleginnen und Kollegen ihre Arztkittel vor das Bundesgesundheitsministerium. Dies sind nur Beispiele für die vielseitigen bundesweiten Aktionen, die auch ein entsprechendes Medienecho fanden.
Die sieben BDI-Maßnahmen
Zusätzlich hat der BDI sieben Maßnahmen formuliert, um die ambulante Versorgung nachhaltig zu verbessern:
- Bedarfsgerechte Steuerung von Patientinnen und Patienten durch Haus- oder Fachärzte mittels verbindlicher Versorgungspfade,
- Entbudgetierung der haus- und fachärztlichen Leistungen,
- angemessene Finanzierung der ambulanten ärztlichen Weiterbildung,
- Bekämpfung des Fachkräftemangels unter den Medizinischen Fachangestellten,
- rasche Umsetzung der notwendigen Digitalisierung auf eine Art und Weise, die Arbeitsprozesse unterstützt und vereinfacht, anstatt hemmt und verkompliziert,
- Bürokratieabbau, um die Arbeitsbelastung zu senken und mehr Zeit für die Betreuung der Patienten und Patientinnen zur Verfügung zu haben,
- Umsetzung einer modernen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) für eine transparente und leistungsgerechte Honorierung.
Es geht nur gemeinsam!
Nun liegt es an uns, den Protest weiter voranzutreiben und uns das notwendige Gehör bei der Politik zu verschaffen. Es muss der breiten Öffentlichkeit transparent gemacht werden, dass die medizinische Versorgung aller Patientinnen und Patienten mittelfristig bedroht ist. Dafür ist die Unterstützung aller nötig – egal, ob hausärztlich, fachärztlich oder auch klinisch tätig. Lassen Sie uns also gemeinsam Minister Lauterbach nachdrücklich dazu auffordern, nach Lösungen zu suchen und die Versorgungssicherheit wieder zur Priorität zu erklären. Alle Kolleginnen und Kollegen sind daher eingeladen, sich an den kommenden Protesten der Ärzteschaft zu beteiligen und auch die nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe solidarisch bei ihren Protestaktionen zu unterstützen. Der BDI wird weiter für Sie eintreten!
Ein Beitrag von Christine Neumann-Grutzeck, Präsidentin des BDI, erschienen in der BDI aktuell 11/2023