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Zwischen Euphorie und Ernüchterung

Rein in die Pantoffeln, raus aus den Pantoffeln. Gerade einmal vier Wochen ist es her, dass der Referentenentwurf für das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) bekannt geworden ist. Zwar inoffiziell, aber irgendwie auch offiziell genug, dass alle wichtigen Akteure aus Politik, Selbstverwaltung und Verbänden den Entwurf unwidersprochen kommentieren konnten.

Mittlerweile ist vieles davon schon wieder hinfällig, denn in einem aktualisierten Entwurf, mit dem das Bundesgesundheitsministerium (BMG) das geordnete Gesetzgebungsverfahren eingeleitet hat, wurde ordentlich der Rotstift angesetzt. Den meisten Maßnahmen, die der Streichorgie des BMG zum Opfer gefallen sind, werden weder die Ärztinnen und Ärzte noch die Krankenkassen nachweinen: Lauterbachs Gesundheitskioske waren von Anfang an kein sinnvolles Konzept für die flächendeckende Versorgung. Primärversorgungszentren stören zwar niemanden, setzen aber voraus, dass ausreichend Ärztinnen und Ärzte vor Ort sind. Wo sollen die herkommen? Und Gesundheitsregionen konnten bislang mehr in der Theorie als in der Praxis überzeugen. Bestes Beispiel: Das ehemalige Vorzeigeprojekt der integrierten Versorgung „Gesundes Kinzigtal“. Alles in allem also keine großen Verluste.

Sinnvoller ist – das haben die Niedergelassenen immer gesagt – die bestehenden Strukturen zu stärken. Ein brennendes Thema bleibt deshalb die Entbudgetierung. Die geplante Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen nach dem Modell MGV-Plus ist zu begrüßen und muss ohne Wenn und Aber umgesetzt werden. Sinnvoll ist auch die Einführung einer Bagatellgrenze im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Unser Beifall darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch im fachärztlichen Bereich dringend eine Entbudgetierung notwendig ist. Erst recht, wenn es in der Folge der Entbudgetierung der Hausärzte zu einer erhöhten Leistungsanforderung in den Facharztpraxen kommt.

Weiterhin enthalten sind auch die Jahrespauschale für die Versorgung chronisch Kranker und die Vorhaltepauschale für echte Versorgerpraxen. Beide sind in der aktuellen Ausgestaltung noch reichlich unausgegoren und einer besseren Versorgung nicht zuträglich. Inzwischen hat sich wohl auch die initiale Euphorie des Hausärzteverbandes, der dem Minister diesen Floh ins Ohr gesetzt hat, gelegt. Der BDI setzt sich stattdessen für die Beibehaltung des Leistungsprinzips mit höheren Vergütungen für höheren Zeitaufwand in der Behandlung ein.

Unser Ziel ist stets, eine konstruktive, aber kritische Rolle einzunehmen. Wir fordern, dass die Stimmen von Haus- und Fachärzten, die tagtäglich den Versorgungsauftrag unter oft schwierigen Bedingungen erfüllen, gleichermaßen gehört werden. Dass zu allem Überfluss jetzt auch noch der Einfluss der Bundesländer in den Zulassungsausschüssen ausgeweitet werden soll, ist nicht nur ein massiver Eingriff in die Selbstverwaltung. Die vertragsärztliche Versorgung droht damit auch endgültig zu einem politischen Spielball zu werden.

Nicht bürokratische Experimente, sondern echte, nachhaltige Reformen müssen auf die Agenda. Hätte Herr Lauterbach von Beginn an nicht nur den Hausärzteverband gefragt, wie man ambulante Versorgung sinnvoll stärken kann, wären wir sicherlich schon einen Schritt weiter.

Ihre

Christine Neumann-Grutzeck
Präsidentin

Erschienen in BDIaktuell 5/2024