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Bezahlung von Überstunden

Immer wieder sind geleistete Überstunden vor allem im Klinikalltag aber auch im Arztpraxisbereich ein Streitpunkt zwischen Ärzten und Klinikleitung bzw. Praxisinhaber. Eine Vergütung von Überstunden erfolgt grundsätzlich nur, wenn arbeitnehmerseits nachgewiesen werden kann, dass die Überstunden erbracht wurden, und dass sie arbeitgeberseits angeordnet wurden oder zumindest gebilligt wurden. Dies hat das Bundesarbeitsgericht erneut in mehreren Urteilen hervorgehoben (BAG Urteile vom 04.05.2022: 5 AZR 359/21; 5 AZR 451/21; 5 AZR 474/21).

Doris Wettmann © Privat / BDI

Im Arbeitsverhältnis werden Arbeitgeber zur Gewährung der vereinbarten Vergütung für die vereinbarte Arbeitsleistung verpflichtet. Innerhalb des vertraglich vereinbarten Zeitumfangs muss die erbrachte Arbeitsleistung vergütet werden, also die Vergütung der vereinbarten Arbeitszeit. Erbringen Arbeitnehmer Arbeit in einem die vereinbarte Arbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang, sind Arbeitgeber zu deren Vergütung nur verpflichtet, wenn sie die Leistung von Überstunden veranlasst haben, oder sie ihnen zumindest zuzurechnen sind.

Grund: Arbeitgeber müssen sich Leistung und Vergütung von Überstunden nicht aufdrängen lassen, und Arbeitnehmer können nicht durch überobligatorische Mehrarbeit ihren  Vergütungsanspruch selbst bestimmen. Es ist vielmehr grundsätzlich Sache der Arbeitgeber, im Rahmen der vertraglichen Vereinbarungen und ihres jeweiligen Weisungsrechts nach  §106 GewO Arbeitnehmern in qualitativer und quantitativer Hinsicht die zu erbringende Arbeitsleistung zuzuweisen. Arbeitnehmer können sich nicht über die vertraglichen Vereinbarungen hinaus selbst Arbeit „geben“ und so den Arbeitsumfang erhöhen. Kurzum, Überstunden müssen arbeitgeberseits angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sein.

Hierfür tragen Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des BAG sowohl die Darlegungs- als auch die Beweislast.

Was bedeutet das nun?

Im nationalen Zivilprozessrecht gilt der Grundsatz, dass derjenige, der von einem anderen etwas fordert, die seinen Anspruch begründenden Tatsachen darlegen und im Streitfall beweisen muss. Deshalb kann es für Arbeitnehmer schwierig sein, eine Überstundenvergütung gerichtlich durchzusetzen.

Der einem Arbeitsverhältnis zugrundeliegende Arbeitsvertrag ist ein Austauschvertrag, Arbeitnehmer sind zur Leistung weisungsgebundener Arbeit und Arbeitgeber zur Leistung der versprochenen Vergütung verpflichtet. Arbeitgeber versprechen die
Vergütung aller Dienste, die sie den Arbeitnehmern aufgrund des arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangen. Überstunden sind aber z.B. nicht vom Weisungsrecht der Klinik oder des MVZ oder Praxisinhabers gedeckt.

Eine Pflicht, Überstunden zu leisten, besteht grundsätzlich nur, wenn eine Notsituation vorliegt: Dann dürfen Ärzte z.B. bei Dienstschluss den Dienst nicht einfach beenden sondern müssen vielmehr den Notfall behandeln, auch wenn dies zu Überstunden führt. Auch Notsituationen wie ein Brand oder eine Überschwemmung können den Einsatz aller Arbeitskräfte zusätzlich fordern.

Außerhalb von solchen Notfällen kann mit Dienstschluss allerdings "der Stift fallen gelassen werden". Oftmals tun Ärzte dies aber nicht, weil sie sich den Kollegen und Patienten verpflichtet fühlen und/oder weil sie Nachteile für ihre Karriere in der Klinik oder Arztpraxis fürchten.  In der Praxis ist es daher häufig anzutreffen, dass etwa eine halbe Stelle  durch Überstunden de facto zu einer Dreiviertelstelle wird, allerdings ohne Bezahlung der Überstunden. Vertraglich vereinbarte 40-Stunden-Vollzeitstellen mutieren aufgrund der hohen Arbeitslast und der dünnen Personaldecken oftmals zu 60-Stunden-Tätigkeiten.

Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, dass jede (Mehr-)Leistung zu vergüten ist, existiert nicht. Entscheiden Arbeitnehmer sich aus freien Stücken ohne jede arbeitgeberseitige Veranlassung zu einer überobligatorischen Leistung, entspricht dies nicht dem vertraglich Vereinbarten, und sie können für eine solche Leistung keine zusätzliche Vergütung erwarten.

Auch vor dem Hintergrund, dass Arbeitgeber zur Einrichtung von Zeiterfassungssystemen für die Arbeitszeit verpflichtet sind, gilt nichts anderes. Die Pflicht zur Messung der Arbeitszeit
hat keine Auswirkung auf die Darlegungs- und Beweislast wenn es um die Frage der Vergütung von Überstunden geht, denn zwischen der arbeitsschutzrechtlichen und vergütungsrechtlichen Einordnung als Arbeitszeit ist zu unterscheiden. Regelungen zur Arbeitszeit finden nicht grundsätzlich auf die Vergütung von Arbeitnehmern Anwendung, und es besteht auch kein funktionaler Zusammenhang zwischen Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer und der Überstundenvergütung. Der Anspruch auf Überstundenvergütung besteht auch dann, wenn die Höchstarbeitszeit überschritten wird.

Für eine ausdrückliche Anordnung von Überstunden müssen Arbeitnehmer vortragen, wer wann auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet hat, entweder durch eine ausdrückliche Anordnung oder infolge konkludenten Handelns: Konkludent ordnen Arbeitgeber Überstunden an, wenn sie Arbeitnehmern Arbeit in einem Umfang zuweisen, der unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmer nur durch die Leistung von Überstunden zu bewältigen ist. Dazu müssen Arbeitnehmer darlegen, dass eine bestimmte angewiesene Arbeit innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu leisten ist, oder zur Erledigung der aufgetragenen Arbeiten ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben war, der nur durch die Leistung von Überstunden eingehalten werden konnte. Das Unterliegen von Arbeitnehmern in Überstundenvergütungsprozessen findet seine Ursache nicht selten darin, dass diese bis zur gerichtlichen Geltendmachung von Überstunden über einen längeren Zeitraum abwarten und keine aussagekräftigen Unterlagen (mehr) zur Begründung ihres Anspruchs in Händen haben. Stellen Arbeitnehmer aber fest, dass sie unbezahlte Überstunden leisten müssen, gebietet es nach Auffassung des BAG schon die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, sich Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitszeiten zu machen.

Wie erfolgt ein derartiger Nachweis?

Arbeitnehmer können aus eigener Wahrnehmung vortragen, auf welche Art und Weise der oder die Arbeitgeber-/in die entstandenen Überstunden veranlasst hat. In manchen Kliniken werden die Dienstzeiten elektronisch präzise erfasst. Eine Überschreitung der regelmäßigen vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit ist dann ohne weiteres erkennbar. Der Arzt sollte darauf achten, dass er monatlich einen Ausdruck der Dienstzeiten erhält, dieser sollte archiviert werden, so kann ggf. ein Dokument vorgelegt werden. In manchen Fällen können Überstunden in der Software von den Ärzten selbst erfasst werden und müssen dann genehmigt werden. Teilweise werden Dienstzeiten in Kliniken, MVZ und Arztpraxen aber auch nicht oder nur lückenhaft erfasst. Dann ist es der für den Arzt sicherste Weg, dass er seine Überstunden jeweils wöchentlich in einer von ihm selbst geführten Tabelle dokumentiert (geordnet nach Wochentag und Zeit) und sich diese Tabelle dann jede Woche oder zumindest am Ende des Monats vom ärztlichen Direktor mit Datum und Unterschrift abzeichnen lässt. 

Fazit: Die Vergütung von Überstunden muss im Arbeitsvertrag geregelt sein, und Arbeitnehmer müssen dafür Sorge tragen, dass die Anordnung und die Erbringung der Überstunden dokumentiert und so nachgewiesen werden kann.

Ein Beitrag von Doris Wettmann, Syndikusrechtsanwältin und Justitiarin im BDI

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