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Auch in Österreich gibt es eine rot-
schwarze große Koalition, die sich
mit der Neuordnung des dortigen
Gesundheitswesens beschäftigt. Sie
hat unter Leitung eines früheren,
krankenkassenerfahrenen
Gesund-
heitsministers, Alois Stöger, eine
„Bundeszielsteuerungskommission“
gegründet, die einen Vorschlag für
die künftige Primärversorgung in Ös-
terreich ausgearbeitet hat. Das Papier
wurde am 30. Juni 2014 veröffent-
licht. Inzwischen ist Ärztin Dr. Sabi-
ne Oberhauser Gesundheitsministe-
rin im Nachbarland.
Zentral im Konzept ist das soge-
nannte
„Primärversorgungsteam“,
das in verschiedenen organisatori-
schen Strukturen abgebildet werden
kann. Dazu gehören lokale Gesund-
heitszentren, aber auch Medizinische
Versorgungszentren und größere Pra-
xen. Insgesamt besteht dieses Team
aus Ärzten für Allgemeinmedizin, di-
plomiertem Gesundheits- und Kran-
kenpflegepersonal sowie Ordinations-
assistenten mit Zusatzkompetenzen
bei der Versorgung von Kindern und
älteren Menschen, beim Medikati-
onsmanagement, bei der Prävention
bei psychosozialer Versorgung und
bei Palliativpatienten. Dieses soge-
nannte Kernteam kann durch weitere
medizinische und soziale Berufe bei
Bedarf erweitert werden und stellt
hierzu die Schnittstellen her.
Ein solches Gesundheitszentrum
soll ärztlich von einem Allgemeinme-
diziner geleitet werden. Es ist davon
auszugehen, dass die Zahl der Leis-
tungen mit einem Arztvorbehalt ab-
nehmen und dass die Möglichkeit der
Delegation auf nicht ärztliche Berufs-
gruppen erweitert werden soll.
Mit diesem System wird versucht,
insbesondere die Allgemeinmedizin
und die Primärversorgung von der
zweiten Versorgungsstufe mit ambu-
lanten spezialisierten Versorgungen
durch niedergelassene Fachärzte und
Spezialambulanzen abzugrenzen. Die
dazu notwendige Kompetenz soll
durch Qualitätssicherungsmaßnah-
men und Einführung von konsequent
eingehaltenen Versorgungsabläufen
gesichert werden.
Steuerung über Primärversorgung?
Einen eindeutigen Überweisungsvor-
behalt für die zweite Versorgungsstufe
wird in dem Papier nicht angespro-
chen. Es heißt, dass man den freien
Zugang zu den einzelnen Versor-
gungsstufen nicht beschränken will.
Zwischen den Zeilen wird aber
deutlich, dass man die Primärversor-
gung so aufstocken will, dass faktisch
eine Steuerung über das Primärver-
sorgungsteam stattfinden wird.
Auch über die Verfügbarkeit der
Zentren hat man klare Vorstellungen:
Sie sollen wohnortnah und verkehrs-
mäßig gut erreichbar sein. Man geht
davon aus, dass die Tagesrandzeiten
mit abgebildet werden, sodass von
Montag bis Freitag von sieben bis 19
Uhr geöffnet werden soll. Akutfälle
sollen täglich rund um die Uhr von
den zuständigen Primärversorgungs-
strukturen unter Einbindung von wei-
teren Versorgungspartnern zusätzlich
sichergestellt werden. Detaillierte Or-
ganisationsvorschläge werden in dem
Papier nicht gemacht.
Den Zentren kommen ausgedehn-
te Koordinierungsfunktionen zu, die
neben der Dokumentation und dem
Führen einer elektronischen Patien-
tenakte auch sogenannte Erinne-
rungssysteme bei chronisch Kranken
möglich machen. Dabei wird der Pa-
tient auf Untersuchungstermine hin-
gewiesen, die er einhalten soll. In
dem Papier geht die österreichische
Bundesregierung nicht so weit, dass
sie feste Ambulatorien mit einem ent-
sprechenden nicht freiberuflich orga-
nisierten Arztbild vorschreibt. Sie
lässt bewusst die Organisationsform
offen, in der ihre Vorgaben erfüllt
werden. So kann sie sich vorstellen,
dass mehrere in Ordinationen bzw.
Praxen freiberuflich tätiger Personen
mit weiteren Gesundheitsdienstleis-
tern als Einheit auftreten und dass
Gruppenpraxen die Funktion über-
nehmen, die auch noch andere Be-
rufsgruppen anstellen können, genau-
so wie Ambulatorien mit einer multi-
professionellen Zusammensetzung.
Man schreibt damit in dem System
die Struktur nicht vor.
Das gleiche gilt für die Honorie-
rung, bei der sich die Autoren des Pa-
piers mehr oder weniger allgemein
ausdrücken. Von Einzelleistungen ist
hier nicht die Rede, sondern mehr
von Betreuungsleistungen mit Ma-
nagementaufgaben. Wörtlich heißt es:
„die Honorierung muss möglichst
überschaubar, transparent und admi-
nistrativ einfach sein. Die Honorie-
rung innerhalb der Primärversor-
gungsstruktur sollte von der Erbrin-
gung einzelner Leistungen und auch
von der persönlichen Inanspruchnah-
me möglichst abgekoppelt sein, um
angebotsinduzierte Mengenauswei-
tungen zu vermeiden. Gleichzeitig
sind neue Spielräume für die Hono-
rierung von neuen Leistungsanforde-
rungen zu schaffen.“
Blaupause für Deutschland?
Inzwischen geistert schon die Vorstel-
lung durch die deutschen Medien,
dass damit unser Nachbarland Öster-
reich eine Blaupause auch für das
deutsche System geliefert hat. Wie
immer steckt aber der Teufel im De-
tail, wenn es an die Umsetzung geht.
Auch fürchtet man neue Strukturen,
die in die Rechte der im Gesund-
heitswesen Tätigen in Österreich ein-
greifen könnten. Insofern werden
zwar Vorgaben für die Organisation
gemacht, rechtliche und strukturelle
Voraussetzungen bleiben offen. Auch
fürchtet man das klare Wort des
Überweisungsvorbehaltes beim Pri-
märarztsystem, obwohl man von der
Lotsenfunktion spricht.
Auf Deutschland ist das System al-
lein schon deshalb nicht übertragbar,
weil eine so große Anzahl von Allge-
meinmedizinern für eine flächende-
ckende Umsetzung rund um die Uhr
erforderlich wird, die weder zurzeit
noch in mittlerer Zukunft zu Verfü-
gung stehen wird. Hausärztliche Ver-
sorgung ist in Deutschland auch ohne
hausärztlich tätige Internisten, Kin-
derärzte sowie Kinder- und Jugend-
psychotherapeuten nicht denkbar.
Für die Primärversorgung
im Nachbarland Österreich
haben Experten neue Kon-
zepte erarbeitet. Übertrag-
bar sind die Ideen auf das
deutsche Gesundheitswe-
sen kaum – auch wenn
es bei hiesigen Politikern
Anklang finden würde.
Primärversorgung:
Österreich kein Vorbild
Von Dr. Hans-Friedrich Spies
Das „Primärversorgungsteam“ steuert den Patienten durchs System: Ein neues Ver-
sorgungskonzept wird in Österreich heiß diskutiert.
© RAWPIXEL - FOTOLIA.COM
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