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Die Frage, in welchen Fällen man eine
intrakranielle Blutung operativ behan-
deln soll, lässt sich derzeit nur unbe-
friedigend beantworten. Die – mittler-
weile abgelaufenen – Leitlinien sind in
diesem Punkt wenig konkret, die Evi-
denz, die aus den STICH (Surgical
Trial in Intracerebral Haemorrhage)-
Studien I und II gewonnen wurde, ist
gering.
Wie Professor Gerhard Hamann,
Leiter der Klinik für Neurologie am
BKH Günzburg, auf dem 87. Jahres-
kongress der Deutschen Neurologi-
schen Gesellschaft (DGN) mit Neuro-
woche in München betonte, liegt das
vor allem an dem zugrunde liegenden
„Uncertainty“-Prinzip, das ein extre-
mes Selektionsbias bedingt hat: In die
Studie eingeschlossen waren aus-
schließlich Fälle, bei denen im Vorfeld
unklar war, ob die Operation einen
Nutzen bringen würde oder nicht.
Dies traf nur für 7,8 Prozent der Pati-
enten mit Hirnblutung, die in den be-
teiligten Zentren im Studienzeitraum
behandelt wurden, zu. In der
STICH-II-Studie hatte zudem jeder
fünfte Patient von der ihm zugewiese-
nen konservativen Behandlungsgruppe
in die Operationsgruppe gewechselt.
In der STICH-I-Studie hatte sich der
frühe neurochirurgische Eingriff nicht
erfolgreicher als eine konservative
Therapie erwiesen. In STICH II hatte
man eine Subgruppe von Patienten
mit kleinen lobären Hämatomen ope-
rativ behandelt – ebenfalls ohne Vor-
teil.
Gezielte Auswahl der Op.-Methode
Nach Dr. Berk Orakcioglu, Oberarzt
an der Ruprecht-Karls-Universität in
Heidelberg, haben operative Maßnah-
men bei differenzierter Indikationsstel-
lung dennoch ihre Berechtigung; dabei
komme es jedoch auf die gezielte Aus-
wahl des Op.-Verfahrens an. Der Ex-
perte schlägt hierzu einen Algorithmus
vor, der in erster Linie den klinisch-
neurologischen Zustand des Patienten
und die Gerinnungssituation berück-
sichtigt. „In der zunehmend antiko-
agulierten Bevölkerung spielt die
Substitution (der Antikoagulation; die
Red.) eine große Rolle“, sagte Orakci-
oglu. Daneben richte sich die Wahl
der Methode auch nach der Lokalisa-
tion der Hirnblutung; das Alter des
Patienten sei dagegen eher zweitran-
gig.
Bei einer intrakraniellen Blutung
mit hypertensiven Stammganglien
wird beim Blutungsvolumen nach zwei
Schwellenwerten abgestuft: Liegt das
Volumen unter 20 ml, ist eine Operati-
on bei Patienten ohne progredientes
neurologisches Defizit (PND) wenig
sinnvoll. Bei fortschreitendem Defizit
und größeren Hämatomvolumina gilt
die 30-ml-Schwelle: Bei Volumina, die
darunter liegen, kommt die stereotak-
tische Entleerung unter Einsatz von
rt-PA (rekombinantem Gewebs-Plas-
minogen-Aktivator) infrage. Ist die
Blutung größer, rät Orakcioglu eher
zur mikro- oder endoskopischen Eva-
kuation.
Antikoagulierte Patienten: Vorsicht!
Erhöhte Vorsicht ist bei Patienten an-
gebracht, die Antikoagulanzien oder
Plättchenhemmer einnehmen: Wegen
der Blutungsgefahr verbieten sich Ver-
fahren wie die Dekompression oder
die stereotaktische Methode.
Bei Patienten, die sich neurologisch
verschlechtern, kommt in dieser Situa-
tion allenfalls die mikroskopische oder
endoskopische Entleerung infrage, al-
lerdings nur nach Substitution oder
Antagonisierung der antikoagulieren-
den Substanz. „Eine ultrafrühe Opera-
tion ist mit einer hohen chirurgischen
Komplikationsrate verbunden“, warn-
te Orakcioglu. Bis zum Eingriff sollte
daher ein Zeitraum von zwölf bis 24
Stunden nach Ausgleich der Antiko-
agulation abgewartet werden.
Dekompression wenig plausibel
Von einer dekompressiven Hemikrani-
ektomie rät der Referent generell ab.
Dadurch würde eine große Wundflä-
che erzeugt, was zu Sekundärkompli-
kationen regelrecht einlade. Das Ver-
fahren sei zudem „allein schon aus
physiologischer Sicht bei Hirnblutung
wenig plausibel“, weil sich damit zwar
der intrakranielle Druck gut senken
lasse, der Sauerstoffpartialdruck aber
nahezu unbeeinflusst bleibe.
Eine mögliche Indikation für die
Dekompression seien allenfalls Patien-
ten mit PND, raumforderndem Hirn-
stamminfarkt und diffusen Einblutun-
gen (hämorrhagische Transformation).
Hier komme aber auch ein minimalin-
vasives Vorgehen infrage. Dieses setze
ebenfalls den Ausgleich der Antiko-
agulation voraus. Gewarnt wird in die-
sem Zusammenhang vor einer stereo-
taktischen Lysetherapie; diese würde
die Situation nur noch verschlimmern.
Lobärblutungen werden in der Re-
gel einer konservativen Therapie zuge-
führt, vor allem, wenn das Risiko für
ein Fortschreiten gering ist und ein
GCS (Glasgow Coma Scale)-Score
von 14 oder 15 vorliegt, wie Orakciog-
lu betonte. Bei fortschreitenden Defi-
ziten und größer werdendem Häma-
tom empfiehlt der Referent jedoch
auch hier ein mikrochirurgisches oder
endoskopisches Vorgehen. Die stereo-
taktische Methode mache in diesem
Fall wenig Sinn, weil, so der Experte
in München, „die Patienten in der Re-
gel keine Längsachse haben, an der ein
Katheter eingeführt werden könnte“.
Minimalinvasive Studie unterwegs
Mit der bereits angelaufenen Studie
MISTIE III (Minimally Invasive Sur-
gery plus rt-PA for Intracerebral
Hemorrhage Evacuation Phase III)
wird derzeit der Effekt eines minimal-
invasiven Verfahrens bei Hirnblutun-
gen untersucht; dabei wird ein Kathe-
ter mithilfe eines speziellen Navigati-
onsverfahrens durch die Schädeldecke
zielgenau in die Blutungshöhle gelegt.
Über diesen Zugang wird dann der
Blutverdünner Alteplase verabreicht.
An der internationalen Studie sind
rund 90 Zentren in den USA, Europa,
Israel, China und Australien beteiligt,
es werden insgesamt 500 Patienten
eingeschlossen. Endgültige Ergebnisse
werden für 2017 erwartet. Eine kleine-
re Studie, MISTIE II, war im April
2013 beendet worden.
Orakcioglu sieht die Zukunft vor al-
lem in der Endoskopie. Die endosko-
pische Entleerung intrakranieller Hä-
matome sei ein sicheres Verfahren, das
relativ zügig zu einer suffizienten Ent-
lastung führe und eine erhebliche Re-
duktion der Mortalität bewirken kön-
ne. Selbstverständlich habe man eine
gewisse Mortalität bei älteren Patien-
ten, sagte der Referent in München.
„Aber mit der Endoskopie verlieren
Sie praktisch keine Patienten unter
65.“ Hierzu müsse man jetzt dringend
prospektive Studien in Angriff neh-
men.
Hirnblutungen: Im Einzelfall
doch operieren?
Bei der Behandlung einer
spontanen intrakraniellen
Blutung bleibt die Frage
„Operieren, ja oder nein?“
nach dem Scheitern der
STICH-Studien ungeklärt.
Auf der Neurowoche in
München wurde jetzt ein
Algorithmus vorgestellt, der
nach neurologischem
Status und Gerinnungs-
situation differenziert.
Von Dr. Elke Oberhofer
Bei einer intrakraniellen Blutung ist für eine Operationsentscheidung die sorgfältige Patientenauswahl entscheidend.
© HEMERA TECHNOLOGIES / PHOTOS.
Mit der Endoskopie
verlieren Sie
praktisch keine
Patienten unter
65 Jahren.
Dr. Berk Orakcioglu
Oberarzt in der Neurochirurgischen
Universitätsklinik Heidelberg
„Sudden Unexpected Death in Epi-
lepsy“, kurz: SUDEP, ist nicht sel-
ten“, sagte PD Dr. Rainer Surges
auf der Neurowoche in München.
Er trifft 1,5 Patienten pro 1000 Per-
sonenjahre; ist die Epilepsie schwer
behandelbar, steigt das Risiko sogar
auf 6-9/1000 Personenjahre. In der
Allgemeinpopulation hingegen be-
läuft sich die Gefahr, plötzlich und
unerwartet zu versterben, auf
0,06/1000 Personenjahre. Surges
nannte Zahlen, nach denen in
Deutschland von etwa 800
SUDEP-Fällen pro Jahr auszuge-
hen ist. Nimmt man die verlorenen
Lebensjahre als Vergleichspunkt,
rangiert SUDEP hinter Schlaganfall
auf Platz zwei aller neurologischen
Krankheiten. Denn SUDEP schlägt
in jungen Jahren zu: 70 Prozent der
Fälle ereignen sich vor dem 40. Le-
bensjahr.
Risikofaktoren sind beispielswei-
se ein Beginn der Epilepsie vor dem
16. Lebensjahr und eine Dauer von
mehr als 15 Jahren. Männer sind
häufiger betroffen als Frauen. Der
wichtigste Faktor ist aber eine akti-
ve Epilepsie mit höherer Anfallsfre-
quenz, vor allem generalisierte to-
nisch-klonische Anfälle (GTKA).
Pathophysiologisch erklärt sich die-
se daraus, dass die Hirnregionen,
die am Anfallsgeschehen teilhaben,
auch an der Kontrolle der Atem-
und Herzfunktion beteiligt sind.
Als SUDEP-Prävention ersten
Ranges ist deshalb laut Surges die
Anfallskontrolle zu betrachten – sei
es durch Antikonvulsiva, chirur-
gisch oder durch Vagusstimulation.
Gelingt die Kontrolle, sinkt das
SUDEP-Risiko um rund 80 Pro-
zent (Odds Ratio 0,17). Kommt es
bei einem GTKA zum Herz-Kreis-
laufstillstand, muss die Reanimati-
on binnen drei Minuten einsetzen,
um den Patienten vor dem plötzli-
chen Tod zu bewahren.
(rb)
Anfallskontrolle
ist das A&O
gegen SUDEP
Das Risiko für SUDEP
ist gegenüber der Allge-
meinbevölkerung um
den Faktor 24 erhöht.
EPILEPSIE
Morbus Parkinson geht mit der Ab-
lagerung von alfa-Synuclein einher.
Doch die Rolle dieses potenziellen
Biomarkers für die Pathogenese ist
noch unklar und seine Bestimmung
bisher schwierig. Ein praktikabler
Frühtest ist das also (noch) nicht.
„Wenn wir eine Krankheitsmodifi-
kation erreichen wollen, müssen wir
früher behandeln“, betonte Profes-
sor Jürgen Volkmann, Direktor der
Neurologischen Universitätsklinik
Würzburg. Eine Immunfluoreszenz-
färbung von Schnitten kryokonser-
vierter Biopsate der Haut ermög-
licht eine Abschätzung der alfa-
Synuclein-Ablagerungen und des
axonalen Schadens. Die beste Sen-
sitivität und Spezifität ließ sich in
Studien bisher mit Biopsien des
Nackens erzielen, berichtete Volk-
mann auf der Neurowoche in Mün-
chen. Also werde nun in dieser
Richtung auch mit größeren Ko-
horten weiter geforscht.
(fk)
Frühtest auf
Parkinson noch
Zukunftsmusik
SYNUCLEIN-ABLAGERUNGEN
12
November 2014
BDI aktuell
Medizin
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